Christina Hupfer

Miro


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grünes Licht drang durch die Ritzen ihres kleinen Schutzraums. Vögel zwitscherten, Verkehrsgeräusche brandeten an ihre Ohren. Rumo kratzte unruhig winselnd an der Tür. Erschrocken setzte sie sich auf, und noch im Halbschlaf stürzten die ganzen gestrigen Geschehnisse auf sie ein. Mühsam versuchte sie ihre Gedanken zu klären. Panik befiel sie. Sie musste irgendwann eingeschlafen sein und hatte noch keinen Plan, wie es nun weitergehen sollte. Hier jedenfalls konnten sie nicht bleiben. Bald würde das Tor aufgeschlossen, und der Wärter würde sie ganz sicher verscheuchen.

      Sie konnte nur hoffen, dass die Bande nicht nach ihr suchte. Dass Wladimir glaubte, sie sei wirklich das Opfer im Krankenwagen gewesen. Wenn sie an

      Johannes dachte, wurde ihr ganz elend, aber in ihrem Innern kam auch eine leise Freude auf. So leicht würden Wladimir und Konsorten nicht herausfinden können, was mit ihr geschehen war. Die würden sich hüten, offiziell nach ihr zu forschen. Für die wollte sie tot sein. Tot! Es gäbe keinen Grund mehr, ihre Familie zu bestrafen. Aber sie durfte nicht in dieser Stadt bleiben. Irgendwann würde einer sie erkennen. Sie brauchte Ruhe zum Nachdenken. Etwas zu essen, Geld. Hektisch schaute sie in die Tüte mit Johannes Einkäufen, die sie gestern noch in dessen Rucksack hatte hineinstecken können. Das reichte für ein, zwei Tage. Vielleicht war unten im Sack noch etwas mehr. Auch für Rumo. Sie prüfte noch einmal seine Pfote, in die er sich gestern bei dem Versuch zu seinem Herrchen in den Krankenwagen zu gelangen, eine Scherbe getreten hatte.

      „Sieht ganz gut aus, mein Kleiner. Ich hoffe, du kannst laufen?“

      Sie musste zu ihrer Mauer! Da steckte immerhin ein wenig Geld. Jetzt sofort! Bevor die Bande wieder ausschwärmte. Sie schnallte Johannes zusammengerollte Jacke oben auf den Rucksack, schulterte ihn und lief los, um sich direkt hinter der Hecke am Eingang zu verstecken. Bestimmt würde bald jemand kommen, um das Tor aufzuschließen.

      „Komm, mein Lieber. Schön ruhig.“

      Es war keine Minute zu früh, denn wie sie durch die Gitterstäbe erkennen konnte, schob gerade unten an der Friedhofsmauer ein uniformierter Mann ein klapperndes Fahrrad um die Ecke.

      „Warte!“

      In Windeseile rannte sie zurück und durchwühlte noch einmal den Abfallhaufen bis sie fand was sie suchte. Dann huschte sie mit ihrem Schützling schnell an dem perplexen Mann vorbei, der in diesem Moment die Pforte aufgeschlossen hatte und ihnen wütend hinterher brüllte.

      Verzweifelt versuchte sie, den Ort wieder zu finden, von dem sie gestern so unvorhergesehen aufgebrochen war. Sie wusste nur, dass sie stetig bergauf gelaufen waren. Aber diese Stadt war groß und fremd. Die wenigen Leute, die bereits unterwegs waren, musterten sie neugierig. Sie sahen eine große dünne Gestalt in einem langen, dunklen Steppmantel, dicker Wollmütze und einer Art Skisonnenbrille (wofür

      Johannes die wohl in seinem Rucksack gehabt hatte?), die unter dem Gewicht eines riesigen Bündels auf dem Rücken fast zusammenbrach. Die Schatten der hohen alten Häuser verdunkelten noch die historische Stadtmitte und glitten nur langsam über gezackte Giebel und prächtige Türme nach unten. Einzig die höchsten Erhebungen leuchteten bereits in der Sonne. Sie hastete durch die engen, mit Kopfsteinen gepflasterten Straßen und Gassen, und hatte bald keine Ahnung mehr, wo sie sich befand. Ohne den Hund, der wie wild an der Leine zerrte, wäre sie wahrscheinlich an dem Eingang des Einkaufszentrums vorbeigelaufen.

      „Rumo komm, bitte! Wir müssen los. Jeden Moment kann jemand von diesen Moshenitsis, diesen ekelhaften Leuten, auftauchen.“

      Sie zog und zerrte an der Leine des Tiers, das sich, die Vorderpfoten in den Asphalt gerammt, so sperrte, dass ihm fast die Augen aus dem Kopf traten.

      „Bitte, Rumo, wenn dein Herrchen noch lebt, finden wir ihn.“

      Bei diesem haltlosen Versprechen brach ihr fast die Stimme, doch irgendwie war sie zu ihm durchgedrungen, und er ließ sich nun widerstandslos wegführen. Überall hin, egal wo, wollte sie. Nur nicht in die Richtung aus der sie immer angekarrt wurden. Schnell, schnell!

      Sie hatte ihren verborgenen Schatz tatsächlich heben können, und eine Ecke weiter leuchtete aus einem Papierkorb ein vertrauter bunter Stofffetzen. Baba

      Doras Weste! Wie gebannt starrte sie auf den Inhalt ihrer Tasche, der unter dem Abfall der vergangenen Nacht herausschaute. Wladimir hatte genommen, was er brauchen konnte und den Rest einfach weggeworfen. Ihre wenigen, sorgsam gehüteten Fotos lagen verschmutzt weit unten. Sie konnte sie kaum erreichen. Sie musste unbedingt weg von hier. Und noch während sie im Müll wühlte sah sie aus den Augenwinkeln etwas näher kommen: eine glänzende Jacke über einer ausgeleierten Trainingshose. Sie meinte die verhasste raue Stimme dieses schrecklichen Menschen direkt in ihr Ohr dröhnen zu hören.

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