Ana Marna

Fellträger


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Wurzel fest. Keuchend stierte er über die Kante in den schäumenden Fluss. Tief unter ihm lag der reglose Körper des jungen Mannes.

      „Verdammt“, fluchte er. „Verdammt, verdammt, verdammt!“

      Seine Augen suchten das schäumende Wasser ab, doch von dem Mädchen war keine Spur zu sehen.

      „Na warte“, knirschte er. „Dich kriegen wir. Im Moment hast du gewonnen, doch ich werde dich finden, mein Wort drauf.“

      Das Wasser riss Aurora unbarmherzig mit sich. Es dauerte, bis sie wusste wo oben und unten war. Als sie nach Luft schnappend an die Oberfläche stieß, war ihr Absprungort schon außer Sichtweite.

      Mit letzter Kraft versuchte sie, ans Ufer zu gelangen. Ein umgefallener Baum erwies sich als Rettung. An ihm fand sie Halt und hangelte sich langsam an die Böschung. Dort blieb sie zitternd und nach Atem ringend liegen. Als sie das Gefühl hatte wieder Luft zu bekommen, rappelte sie sich hoch und torkelte vorwärts. Hier herumzuliegen und auf ihre Verfolger zu warten, war sicher nicht ratsam. Doch sie wusste von einigen versteckten Höhlen, wo sie erst einmal Schutz fand.

      Eine lange Stunde später hockte sie zitternd in einer kleinen Höhlung und umschlag die Knie mit ihren Armen. Ein gequälter Laut entrang sich ihrer Kehle. Warum hatten sie ihre Mutter erschossen? Was für Menschen waren das?

      Schluchzend presste sie ihr Gesicht gegen die Oberschenkel. Der Verlust ihrer Mutter tat so weh. Der Schmerz fraß sich durch ihren Kopf, durch ihren Bauch und ließ sie immer wieder verkrampfen. Es dauerte, bis die Erschöpfung ihren Tribut forderte und sie einschlafen ließ. Der Schlaf war unruhig, gespickt mit Bildern von Blut und Schrecken.

      6. Samstag, 17.3.2012

       Oregon

      In der ersten Morgendämmerung öffnete Aurora die Augen wieder und setzte sich langsam auf. Irritiert sah sie sich um. Dann brach die Erinnerung über sie herein und sie krümmte sich.

      Allein, jetzt war sie völlig allein.

      Niemand war da, zu dem sie gehen konnte. Ihren Vater kannte sie nicht. Sie wusste nicht einmal seinen Namen, und von anderen Verwandten hatte ihre Mutter nie erzählt. Freunde besaß sie nicht viele, und keinen von denen wollte sie in Gefahr bringen. Wer wußte schon, wozu diese Killer noch fähig waren? Doch wo fand sie jetzt Hilfe?

      Bei der Polizei?

      Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen.

      Was würde mit ihr passieren, wenn sie die Polizei aufsuchte?

      Nichts Gutes! Man würde sie in ein Heim stecken und mit großer Wahrscheinlichkeit landete sie dann in einer Pflegefamilie. Eindeutig nichts, was ihr gefiel, zumal sie nicht sicher sein konnte, dass diese Killer sie dort nicht finden würden.

      Doch was war die Alternative?

      Zunächst war es wichtig, einen möglichst großen Abstand zu ihren Verfolgern herzustellen. Und dann?

      Sie ballte die Fäuste. Sich zu Hause zu verstecken war nicht möglich. Die Gefahr, dass die Mörder sie dort suchten, war zu groß. Am besten sie mischte sich unter viele Menschen. Eine Stadt! Eine möglichst große Stadt, in der sie untertauchen konnte!

      Entschlossen stand sie auf und spähte aus der Höhle. Niemand war zu sehen. Sie holte tief Luft und trat hinaus.

      Verkniffene Gesichter, wohin er nur schaute. Sheriff Bones unterdrückte zum hundertsten Mal einen Fluch. Wahrscheinlich sah er genauso finster drein, wie seine Mitarbeiter. Und er fühlte sich ebenso unwohl.

      Silvy Weasts Leiche zu bergen war kein Spaß gewesen. Man hatte der Frau mit einer großkalibrigen Waffe mitten ins Gesicht geschossen. Der Anblick ihrer Überreste hatte einigen von ihnen den Magen umgedreht. Er selbst hatte seinen Mageninhalt nur mit Mühe bei sich behalten. Da war es nicht beruhigend, was er in diesem Moment zu hören bekam.

      „Also gut“, meinte er nüchtern und nickte Officer Massey zu. Der junge Mann war noch immer blass um die Nase. „Ich fasse mal zusammen. In dem Wagen hat eine zweite Person gesessen, vermutlich die Tochter – Aurora, nicht wahr? Zwölf Jahre, Einzelkind. Sie ist verschwunden, so wie es aussieht. Es waren noch zwei Wagen im Spiel, die den von Silvy Weast abgedrängt haben und hier oben irgendwann eilig gestartet sind. Soweit korrekt? Gut. Was sagt unser Spurensucher noch?“

      „Die Kleine ist offenbar verfolgt worden. Sie ist ins Gelände gerannt, weg von der Straße. Zwei Leute waren hinter ihr her. Unser Spurensucher hat sich auf die Fährte gesetzt. Er meint, dass das Ganze gestern Abend passiert ist und unser Forensiker hat das bestätigt. Außerdem ist das Haus der Weasts auf den Kopf gestellt worden. Was die Einbrecher gesucht haben, wissen wir noch nicht.“

      „Also müssen wir erstmal davon ausgehen, dass die Kleine entführt wurde“, knurrte Sheriff Bones. „Aber warum? Lösegeld macht keinen Sinn. Dann hätten sie wohl kaum die Mutter abgeknallt.“

      „Kinderhandel“, schlug sein Officer vor.

      „Vielleicht, aber wer geht so drastisch vor? Es laufen genügend Kids herum, die einfacher zu fangen sind, und bei denen niemand umgebracht werden muss. – Wir müssen das Mädchen unbedingt finden!“

      Auroras Bild wurde sofort auf die Suchliste für verschwundene Kinder gesetzt. Doch die Spur verlor sich.

      Aurora Weast blieb verschwunden.

      7. September 2012

       Huntsville, Texas

      Die Monate nach ihrem ersten Kontakt mit Robert Tellerond gestalteten sich für Sara anstrengend. Zwar besuchte er sie nicht täglich, doch wenn er kam, war er fordernd und beschäftigte sich die ganze Nacht mit ihr. Es war nicht der Sex, der sie belastete, den empfand sie sogar zu ihrer eigenen Überraschung als angenehm. Aber der regelmäßige Blutverlust zehrte an ihren Kräften und ließ sie zumindest am Tag danach unausgeglichen und ungeduldig werden. Und seine zynischen Tipps, wie sie die Blutregeneration schneller in Gang bringen konnte (jede Menge Fleisch und Orangensaft), waren nicht wirklich hilfreich.

      Auch auf ihrer Arbeitsstelle kamen bald Kommentare von ihren Kolleginnen. Diese zielten allerdings in eine andere Richtung.

      „Du solltest dir endlich einen Freund zulegen“, schlug Lydia vor. Sie war eine vierzigjährige, leicht korpulente Frau, die Sara schon öfters mit diesem Thema in den Ohren gelegen hatte. „Männer sind zwar manchmal anstrengend, aber der Sex mit ihnen kann durchaus ein Ausgleich zum Beruf sein.“

      Sara seufzte.

      „Ehrlich, Lydia. Ich habe Sex. Vielleicht nicht so regelmäßig wie du, aber dafür ist er jedes Mal sehr intensiv.“

      Lydia platzte fast vor Neugier, das sah man ihr an.

      „Wer ist es?“

      „Keiner, den ich als festen Freund haben möchte“, wich Sara aus. „Und schau mich nicht so an. Ich verrate dir nicht, wer es ist. Du kennst ihn sowieso nicht und dein Typ ist er eh nicht.“

      „Jung? Hübsch? Leidenschaftlich?“

      „Ich habe keine Ahnung, wie alt er ist. Gut aussehen tut er und leidenschaftlich ist er auch.“

      Lydia seufzte. „Er ist mein Typ! Trotzdem, du solltest ihn öfters treffen.“

      Das sollte ich ganz bestimmt nicht, dachte Sara still und lächelte nur verhalten.

      Sie überlegte eher, wie sie ein wenig Abstand zu ihrem Nachbarn gewinnen konnte, ohne dass dieser verärgert reagieren würde. Seine ursprüngliche Freundlichkeit hatte er inzwischen komplett abgelegt. Zwar vermied er es nach Möglichkeit, ihr Schmerz zuzufügen, doch er ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass er sie mehr als Besitztum und Nahrungsquelle ansah. Sie war offenbar ein schmackhafter Zeitvertreib, den er