Ana Marna

Fellträger


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bekannte Facetten. Interessante Nuancen, die ihn schon beim ersten Mal fasziniert hatten. Diesen Moment wählte Sara, um wieder wach zu werden. Sie rieb sich die Augen und gähnte. Dann blinzelte sie ihn verwirrt an, bis sie sich wieder erinnerte und ihr Blick sich weitete.

      „Bin ich ... bin ich immer noch nicht tot?“

      „Ich dachte, Sie hätten es damit nicht so eilig?“

      Sara schluckte und fasste sich an den Hals.

      „Ja ... nun, eigentlich nicht, nein. Ich bin ja auch nicht undankbar, ehrlich. Nur ... könnte ich was zu trinken haben? Ich verdurste.“

      „So schnell verdurstet kein Mensch“, lächelte er und für einen kurzen Moment glaubte sie, spitze Eckzähne zu sehen. Zögernd hob sie die Hand und berührte seinen Mund.

      „Wissen Sie, das ... also als Kind habe ich ja gerne Horrorfilme gesehen, aber geglaubt habe ich sie nie. Sind diese ... äh diese Filmvampire eigentlich nach echten Vorlagen konstruiert?“

      Robert Tellerond fing an zu lachen und Sara konnte sein beeindruckendes Gebiss sehen. Die Eckzähne waren spitzer als gewöhnlich, wenn auch nicht übermäßig lang. Aber die Zähne wirkten allesamt kräftig und gesund.

      „Ist ja beinahe enttäuschend. Ich hätte gedacht, die wären länger. Weh genug tuts ja.“

      Telleronds Gelächter verstummte.

      „Das tut mir leid“, meinte er ernst. „Ich werde versuchen vorsichtiger zu sein.“

      „Nur nicht zuviel Umstände“, murmelte Sara. „Andererseits, vielleicht könnte ich ja doch etwas zu trinken bekommen?“

      Er betrachtete sie aufmerksam. Sie wirkte müde und erschöpft, aber in ihren Augen glomm ungebrochener Lebenswille. Es war höchst ärgerlich. Wenn diese Frau wenigstens dumm oder hässlich wäre, aber nein. Sie musste natürlich hübsch und sympathisch sein. Normalerweise wäre er nie auf die Idee gekommen, sie zu töten. Er erhob sich und betrat die Küche. Als er mit einem Glas Wasser in der Hand zurückkehrte, saß Sara auf der Couch und mühte sich angestrengt sitzen zu bleiben. Mit etwas zittriger Hand nahm sie das Glas entgegen und trank es hastig leer. Prompt verschluckte sie sich und fing an zu husten. Robert Tellerond hockte sich neben ihr nieder und klopfte fürsorglich ihren Rücken. Als sie sich wieder etwas beruhigt hatte, starrte sie angestrengt auf ihre Hände. Er umfasste ihr Gesicht und hob es an.

      „Sehen Sie mir in die Augen“, forderte er sie auf. Sara sah prompt nach unten.

      „Also, eigentlich möchte ich das lieber nicht.“

      „Und warum nicht?“

      „Weil ... ich denke, dann bin ich nicht mehr Frau meiner Glieder – und das mag ich nicht besonders.“

      „Wie kommen Sie denn dadrauf?“

      „Na ja, zum einen merke ich es, und zum andern - äh diese Sonnenbrille von dem Bogarts muss ja einen Grund haben.“

      Er fing wieder an zu lachen.

      „Funktioniert das denn? Ich mein, die Sonnenbrille?“

      Sein Kuss überraschte sie – und machte sie erneut wehrlos.

      „Süße Frau Nachbarin ...“

      „Ich heiße Sara.“

      „Süße Sara. Sie sind wirklich erfrischend. Leider ändert das aber nichts an den Gegebenheiten. Und was die Sonnenbrille angeht, dieser Mann hatte wirklich keine Ahnung, mit wem er sich da eingelassen hat.“

      Das klang nicht beruhigend. Ihr entging allerdings nicht, dass das keine echte Antwort gewesen war.

      Sara nahm allen Mut zusammen und sah ihm in die Augen.

      „Bitte, gibt es denn gar keine andere Möglichkeit? Ich würde ja wirklich alles tun.“

      „Alles?“ Er hob die Augenbrauen. „Das ist eine Menge, sind Sie sich da sicher?“

      Sie schluckte.

      „Na ja, ich gebe zu, kochen kann ich nicht besonders, Haushalt ist nicht gerade meine Stärke, aber wenn es sein muß, bügel ich sogar Hemden. Ansonsten kann ich nicht besonders viel – außer meiner Arbeit mit Kindern natürlich. Aber vielleicht fällt Ihnen ja noch was ein.“

      In ihren Augen standen Verzweiflung und Angst. Tellerond schüttelte den Kopf.

      „Es tut mir leid. Wirklich und wahrhaftig. Sie sind eine interessante und attraktive Frau, noch dazu eine wirklich außergewöhnlich gut schmeckende Blutspenderin, aber ....“

      Es klingelte. Dann pochte es laut an der Tür. Sara holte tief Luft.

      „Alle guten Dinge sind drei!“

      Tellerond fluchte zum dritten Mal an diesem Abend. Dann sah er mit einer Mischung aus Wut und Entnervung zur Tür.

      „Das ist wirklich nicht zu fassen!“

      „Ach wissen Sie, ich hab schon Schlimmeres erlebt“, murmelte Sara. „Machen sie ruhig auf. Ich schrei bestimmt nicht. Ich bin nicht an einem Massaker interessiert. An Ihrer Stelle würde ich aber die Schlafzimmertür zumachen. – Dieser Bogart ist echt kein netter Anblick.“

      Er küsste sie erneut.

      „Vielen Dank für den Hinweis.“

      Dann schob er ihr eine Decke zu. Sara wickelte sich gehorsam darin ein.

      Die Störenfriede entpuppten sich als zwei junge Männer, die lärmend ins Wohnzimmer drängten. Als sie Sara auf dem Sofa hocken sahen, rissen sie den Mund auf.

      „Mensch Robert“, grinste einer. „Tut mir ja leid, dass wir dich bei sowas stören.“

      „Das will ich hoffen“, knurrte Robert. „Liegt irgendetwas Besonderes an?“

      „Ja klar. Wir hatten ne Verabredung, schon vergessen?“

      „Verflixt ... ja, tut mir leid. Ich habs tatsächlich verschwitzt.“

      Der andere Mann grinste.

      „He, kein Grund zur Sorge. Du hast unser vollstes Verständnis.“ Er zwinkerte Sara zu. „Bei so einem süßen Käfer würde ich noch so einiges mehr vergessen. Ist nur die Frage, was du jetzt vorhast.“

      Sara ergriff die Gelegenheit und richtete sich auf. Mit all ihrer verbliebenen Entschlossenheit schaffte sie es, auf den Beinen zu bleiben.

      „Also an mir soll eine Verabredung nicht scheitern“, stieß sie hervor. Mit einigen torkelnden Schritten ging sie auf Robert Tellerond zu und hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen.

      „Also dann, bis zum nächsten Mal.“

      Er war so perplex, dass er sie nicht zurückhielt. Die beiden Männer sahen ihr feixend hinterher.

      „Donnerwetter, die hast du ja ganz schön abgefüllt. War sie so schwer zu überreden?“

      „Sie hat durchaus ihren eigenen Kopf“, bestätigte er, während er überlegte, wie er diese Situation retten konnte. Andererseits hatte er tatsächlich nicht das Gefühl, dass Sara Linn ihm Schwierigkeiten machen würde – davon mal abgesehen, dass sie körperlich kaum dazu in der Lage war.

      Er entschloss sich, erst einmal abzuwarten.

      4. Sonntag, 12.2.2012 bis Montag, 13.2.2012

       Huntsville, Texas

      Als es am Abend klingelte, war Sara völlig klar, wer da draußen stehen würde. Mit einem flauen Gefühl im Bauch öffnete sie. Robert Tellerond hielt sich nicht mit überflüssigem Reden auf. Er trat ein, schloss die Tür hinter sich und zog sie dann an sich. Sara war noch immer etwas wackelig auf den Beinen – sie hatte fast den gesamten Tag geschlafen – und wehrte sich nicht. Er hob sie hoch und trug sie ins Schlafzimmer. Später hatte sie nicht viele Erinnerungen an diese Nacht, aber