Michaela Santowski

Ohne dich


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Heimweg machen.

      Sie wohnte mit ihren Freundinnen Tanja und Susanne in einem kleineren Vorort von Frankfurt am Main in einem eher ruhigem Viertel. Susanne war ebenfalls Flugbegleiterin, während Tanja Jura studierte und sozusagen das Küken der Wohngemeinschaft war. Zufrieden stellte Bea fest, dass direkt vor ihrer Wohnungstür ein Parkplatz frei war. Endlich mal etwas Glück heute, dachte sie. Jetzt war die ersehnte Dusche nicht mehr weit entfernt. Mit Schwung parkte sie ihren roten VW Polo ein, griff nach ihrer Handtasche und ging in Richtung Wohnungstür.

      Grade als sie diese aufschließen wollte, wurde von innen aufgerissen und Tanja rief empört: „Der Typ ist schon wieder da!“

      Verdattert blickte Bea sie an. Dann schaltete sie. Es ging um den neuen Freund von Susanne. Sie atmete hörbar genervt ein und entgegnete: „Ich wünsche dir auch einen schönen guten Abend, Tanja. Wie war dein Tag? Meiner war bescheiden, aber danke der Nachfrage. Darf ich jetzt erst mal reinkommen?“

      „Schon gut. Tut mir leid. Hallo, Bea“, antwortete Tanja zerknirscht nur um gleich darauf wütend hinzuzufügen: „Der Typ ist schon wieder da.“

      „Tanja, ich hatte wirklich einen miesen Tag. Und im Moment interessiert mich erst mal die Dusche. Danach können wir gerne bei einem Radler über Mister Ich-bin-der-Tollste lästern.“

      „Gut. Dann gebe ich dir eben fünf Minuten.“

      Tanja ging ein Stück zur Seite und Bea konnte endlich die Wohnung betreten. Drei Minuten später stand sie endlich unter der Dusche. Das warme Wasser tat gut. Langsam entspannte sie sich ein wenig, was auch ihre Kopfschmerzen erträglicher machte. Jetzt konnte sie sogar über Tanja schmunzeln. Dieser Typ, wie Tanja ihn sehr zum Ärger von Susanne immer nannte, war seit fast einem Monat der neue Freund von Susanne. Eigentlich hieß er Andy, aber so nannte ihn weder Bea noch Tanja. Er war in Frankfurt beim Bundesgrenzschutz stationiert. Ursprünglich kam er aus Kassel, wo er mit seiner Freundin seit über drei Jahren zusammen lebte. Susanne störte es wenig, dass er eine Freundin hatte. Im Gegenteil sagte sie; so erspare sie sich lästige Verpflichtungen, die mit einer Beziehung einher kämen und könne alles entspannt genießen. Bea tat an der ganzen Sache nur die Freundin leid. Aber das war alleine Andys Problem.

      Sie zog sich bequeme Klamotten an und verließ das Bad. Tanja wartete schon mit einem eiskalten Radler auf sie.

      „Du siehst tatsächlich ein bisschen müde aus“, stellte sie mitfühlend fest.

      „Glaub mir, das bin ich auch“, gab Bea zu und ließ sich erschöpft in einen Stuhl sinken. „Ich bin dauernd zwischen München und Frankfurt hin und her geflogen. Bis auf den letzten Flug war die Maschine ständig voll besetzt. Dann hatten wir noch eine Business-Klasse von mindestens achtzig Passagieren jedes Mal. Du weißt, dass alle vor dem Start noch ihre Zeitschriften haben wollen. Ich bin noch niemals so gehetzt worden. Man gut, dass ich jetzt erst mal zwei Tage frei habe.“

      „Und dann?“, fragte Tanja neugierig.

      „Rufbereitschaft. Ich hoffe nur, dass die mich nicht nochmal wegen so einer Tagestour anrufen. Ich hätte jetzt gerne eine Langstrecke nach San Francisco und dann fertig.“ Rufbereitschaft war bei den Flugbegleiterinnen nicht sonderlich beliebt. Man musste für zehn Tage vierundzwanzig Stunden am Tag erreichbar sein. Im Zeitalter des Handys war es zwar einfacher geworden, da man wenigstens mal einkaufen gehen konnte, um den Kühlschrank aufzufüllen; aber deswegen noch nicht beliebter. Wenn man Glück hatte, bekam man bereits einen Tag vor dem offiziellen Beginn dieser Rufbereitschaft einen Anruf, wie der Dienstplan weiter aussah. Und wenn man noch mehr Glück hatte, bekam man nur einen Langstreckenflug in die Rufbereitschaft und war erlöst.

      „Stimmt. Du hast ja in zehn Tagen Urlaub“, stellte Tanja fest und prostete Bea zu.

      „Den habe ich mir auch verdient.“ Bea nahm einen großen Schluck von ihrem Radler. „Und ich werde die kompletten vierzehn Tage hier verbringen und nichts tun außer die Füße hochzulegen und zu genießen.“

      „Stelle ich mir ziemlich langweilig vor.“

      „Du bist ja auch nicht ständig unterwegs. Ich bin froh, wenn ich mal meine eigenen vier Wände sehen kann und nicht dauernd in irgendwelchen Hotels aufwache.“

      Tanja grinste. „Das könnte man jetzt aber auch falsch verstehen.“

      „Doofe Kuh.“

      „Hey, hey, hey, du hättest ja auch studieren können. Dann wärst du froh, wenn du mal aus der Wohnung rauskommen würdest“, warf Tanja ein.

      „Vielleicht mache ich das noch. Drei Jahre fliegen reicht langsam.“

      In dem Moment hörten sie ein Kichern aus Susannes Zimmer.

      Böse guckte Tanja in die Richtung.

      „Wann genau will sie eigentlich schlau werden und erkennen, dass der Typ nicht mehr alle Tassen im Schrank hat. Der meint doch tatsächlich, die Welt würde sich um ihn drehen. Sie verschwendet sich doch völlig an ihn.“

      Das Kichern wurde lauter.

      Neidisch blickte Bea auf die geschlossene Tür. „Wenigstens hat sie Spaß. Das ist sehr viel mehr als man von uns beiden sagen kann. Bis auf ein paar Knutschereien, die, zugegebenermaßen, nicht schlecht waren, habe ich in letzter Zeit keinen Spaß gehabt. Und bei dir ist es ja wohl auch schon länger her.“

      Tanja wurde rot. „Stimmt zwar“, entgegnete sie, „aber deswegen würde ich mich nicht mit so einem abgeben. Der baggert ja sogar uns zwei an, wenn Susanne im Bad ist.“

      „So ist das eben mit diesen Typen. Die denken, dass jede Frau schwach wird, wenn sie nur Hallo sagen.“

      „Eklig.“

      „Na ja, wenn man nur Spaß haben will, ist das ne klasse Sache. Der hat jedenfalls genug Erfahrung, um zu wissen, was eine Frau will.“

      „Beatrix!“ Tanja blickte sie empört an.

      „Was denn?“, erwiderte Bea mit Unschuldsmine. „Ich sage doch nur die Wahrheit. Ich beneide Susi jedenfalls manchmal, auch wenn er menschlich ein Miststück ist.“

      „Ich glaube wirklich du brauchst dringend mal ein wenig Abwechslung.“

      „Meine Rede. Nur leider bin ich dafür wohl zu wählerisch. Küssen ist die eine Sache aber das Bett zu teilen ist eine ganz andere.“

      „Dabei finde ich küssen fast intimer als Sex“, sinnierte Tanja.

      Bea zog die Stirn kraus. „Wie soll ich denn das verstehen?“

      „Um es mal ganz banal auszudrücken: beim Sex steckt er ihn rein, zieht ihn wieder raus und das war schon mehr oder weniger der ganze Körperkontakt. Ich meine, einen Orgasmus bekommst du ja wohl recht selten bei jemandem, den du gar nicht kennst. Mal ganz abgesehen davon, dass das den meisten Kerlen auch völlig schnuppe ist, solange sie ihren Spaß haben. Aber beim Küssen tauscht du viel intimere Gefühle aus. Die Zungen berühren sich, sein Körper presst sich an deinen, seine Hände berühren dich sanft, du spürst ihn viel intensiver. Du bekommst Schmetterlinge im Bauch und weiche Knie. Dein ganzer Körper fängt an zu kribbeln.“

      „Hm - das ist eine ganz neue Perspektive“, gab Bea zu.

      „Warum denkst du lässt sich eine Prostituierte nicht küssen? Weil das wesentlich intimer ist als der Sex an sich.“

      Bea lachte auf. „Du hast einmal zu oft Pretty Woman geguckt. Wer weiß, ob das mit dem Nicht-Küssen-Lassen überhaupt stimmt. Aber nichts desto trotz hast du irgendwie recht. Wenn ich genauer drüber nachdenke, habe ich tatsächlich nur beim Küssen diese intensiven Gefühle. Beim Sex kamen die erst mit der Zeit, wenn man den anderen besser kannte und wusste, was er mochte.“

      „Sag ich ja!“, rief Tanja triumphierend auf. „Hör mal auf mich! Küssen ist viel erotischer.“

      „Wer ist erotisch?“ ertönte in dem Moment eine männliche Stimme aus Richtung der Küchentür. Andy war unbemerkt von den beiden in die Küche gekommen und hatte die letzte Äußerung mitbekommen. Tanja verdrehte