Michaela Santowski

Ohne dich


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Tage später fand sich eine ziemlich mürrische Beatrix auf dem Flughafen ein. Zu allem Überfluss hatte sie den Wecker morgens nicht gehört und verschlafen. Leider schaffte sie es nicht mehr pünktlich zu der Vorbesprechung. Bei dieser Besprechung wurden die einzelnen Positionen im Flugzeug den jeweiligen Stewardessen zugeteilt. Die Dienstälteste durfte sich die erste Position aussuchen, dann die zweitälteste und so weiter. Natürlich waren die Dienstältesten immer in der First Class vertreten, da man dort meist die angenehmeren Passagiere hatte. Trotz ihrer dreijährigen Zugehörigkeit, musste Bea die Position im Flugzeug nehmen, die ihr zugeteilt wurde. Das bedeutete, dass sie an der sogenannten Dreiertür stand. Dort saß man den Passagieren bei Start und Landung quasi direkt gegenüber, während an anderen Türen meist noch Wände dazwischen waren. Man war ihnen sozusagen vollkommen ausgeliefert. Wenn man Glück hatte, waren die zwei gegenüber Morgenmuffel und ließen einen in Ruhe. Wenn man Pech hatte, waren sie genau das nicht und laberten einen so dicht, dass man sich nicht in Ruhe auf den Start konzentrieren konnte. Man konnte den Passagieren allerdings auch schlecht sagen, dass sie einfach mal die Klappe halten sollen. Obwohl Bea schon etliche Male kurz davor gewesen war.

      Außerdem war die Dreiertür ein Platz, an dem man anscheinend irgendwie unsichtbar wurde. Die einsteigenden Gäste ignorierten einen selbst dann, wenn man freundlich lächelte und ihnen einen guten Morgen wünschte. Und man bekam ständig Mäntel und Jacken um die Ohren gehauen, wenn die Leute sich nach ihren Angehörigen umdrehten, um zu schauen, ob diese ihnen auch folgten. Bea hatte die Theorie, dass keiner damit rechnete, dass eine Flugbegleiterin auch in der Kabine stehen konnte und nicht nur direkt an der Eingangstür oder im Bereich der Bordküche.

      Trotz der Tatsache, dass Bea schon mehrere Mäntel ins Gesicht bekommen hatte und niemand ihr Guten Morgen erwiderte, versuchte sie tapfer weiter zu lächeln. Als ein jüngerer Mann ihr seinen Trolley gegen das Schienbein schlug, weil er sich nach seiner Freundin umdrehte, reichte es ihr allerdings.

      „Aua. Ein bisschen Rücksicht ist ja wohl nicht zu viel verlangt. Auch nicht morgens um 8.“

      Der Mann ignorierte sie einfach und ging weiter.

      „Ich werde schon rausfinden, wo du sitzt und dann gnade dir Gott“, murmelte Bea in sich hinein, während sie ihr schmerzendes Schienbein rieb. Als sie wieder hochschaute, um die Gäste weiter zu begrüßen, blieb ihr das Guten Morgen im Hals stecken. Noch etwa sieben Passagiere von ihr entfernt, erblickte sie einen jungen Mann, der ihr nicht nur auffiel, weil er fast zwei Meter groß war, sondern weil er tatsächlich in ihre Richtung lächelte. Je näher er kam, desto nervöser wurde Bea. Als er kurz vor ihr war, sagte er: „Ich wünsche Ihnen einen Guten Morgen. Und ich verspreche, dass ich meinen Trolley nicht gegen Ihr Schienbein schlagen werde.“

      Bea lächelte ihn einfach an.

      „Lassen Sie mich vorbei? Ich habe den Platz vor dem Sie stehen“, fragte er höflich.

      Immer noch lächelnd trat Bea einen Schritt zur Seite. Es wunderte sie, dass ihre Beine ihr nicht den Dienst versagten. Dieser Mann hatte eine Wirkung auf sie, die sie so noch nie erlebt hatte. Seine Augen waren von einem satten Grün, das Bea an eine Wiese im Sommer erinnerte, kurz bevor es anfing zu regnen. Sein Lächeln würde jeden Hollywoodstar in den Schatten stellen. Trotz seiner Größe hatte er eine sportlich, schlanke Figur, an der auch nicht ein Gramm Fett zu viel war. Die kurzgeschnittenen dunklen Haare waren noch nass, so als käme er direkt aus der Dusche. Wenn sie allerdings nicht bald ihre Sprache wiederfand, würde er sie noch für völlig bescheuert halten. Bea beschloss, sich einfach auf die hereinkommenden Passagiere zu konzentrieren und ihn erst mal zu ignorieren, bis sie sich wieder unter Kontrolle hatte. Leider war sie sich seiner Nähe ziemlich deutlich bewusst. Auch merkte sie, dass er sie unverhohlen von seinem Platz aus beobachtete. Und ihr wurde auch bewusst, dass sie die Frau vor ihr ziemlich dusselig anlächelte und diese langsam böse wurde.

      „Sie sollen mich nicht nur dumm angrinsen, sondern mir sagen, wo ich mein Handgepäck hin räumen kann, wenn das Fach über meinem Platz schon voll ist.“

      Anscheinend hatte die Dame sie schon ein paar Mal angesprochen. Bea riss sich zusammen und antwortete: „Entschuldigung. Ich habe nur nachgedacht, wo wir noch Platz haben könnten.“

      Klasse, Bea, das war die beknackteste Ausrede, die dir einfallen konnte. Und absolut durchschaubar. Nach einem kurzen Blick auf ihren Traummann sah sie, dass er schmunzelte. Und er hat es auch bemerkt, dachte sie. Ärgerlich über sich selber, wuchtete Bea das reichlich schwere Handgepäck der Dame in ein freies Fach.

      „Das ist viel zu weit weg von meinem Platz“, beschwerte sie sich sofort. „Ich muss da oft dran.“

      „Tut mir leid. Eine andere Möglichkeit sehe ich nicht“, entgegnete Bea liebenswürdig. Solche Passagiere liebte sie. Hätte sie es doch einfach als Gepäck aufgegeben und nur eine kleine Tasche als Handgepäck gepackt, hätte sie auch keine Probleme gehabt.

      „Und wenn ich es unter meinen Vordersitz schiebe?“

      War ja klar, dass so ein Vorschlag noch kommen musste. Mit unendlicher Geduld erklärte Bea: „Dafür ist es leider zu groß. Das ist nicht erlaubt.“

      „Also da kann es jedenfalls nicht bleiben.“ Resolut verschränkte die Frau ihre Arme vor der Brust und blickte sie stur an.

      „Gut“, gab Bea nach. „Ich komme mit zu ihrem Platz und sehe, ob wir etwas umräumen können.“

      „Warten Sie“, sagte Beas Traummann, als sie das Gepäck wieder herunter heben wollte. „Ich helfe ihnen. Das ist bestimmt nicht leicht.“

      Und ehe Bea es verhindern konnte, stand er auf und griff nach dem kleinen Koffer. Da es in einem Flugzeug recht eng ist, stand er sehr nah bei ihr. Bea nahm den leichten Duft von Rasierwasser wahr; irgendetwas Zitroniges. Ihr Herz fing wie wild an zu klopfen.

      „Bitteschön“, sagte er mit diesem umwerfenden Lächeln.

      „Äh-danke“, entgegnete Bea und nahm ihm schnell die Tasche ab. Nicht, dass er noch auf die Idee kam, diese zum Platz der Dame zu bringen. Bea war nämlich recht dankbar dafür einen Moment verschwinden zu können. Sie musste dringend durchatmen und ihre völlig verrücktspielenden Gefühle unter Kontrolle bekommen. Nachdem sie das Handgepäck der Dame direkt über ihrem Platz verstaut hatte, ging sie erst mal in die Küche.

      „Hey, was willst du denn hier? Wer bewacht denn jetzt deine Tür?“ fragte ihre Kollegin gespielt streng.

      „Leider komme ich im Moment nicht zu meiner Tür, da mir viel zu viele entgegen kommen.“

      „Na gut, kann ich gelten lassen. Die Passagiere sind heute mal wieder fürchterlich gelaunt. Na ja, wäre ich wahrscheinlich auch, wenn ich nach Chicago müsste. Dort ist es saukalt. Die haben tatsächlich minus 18 Grad im Moment.“

      „Danke, dass du mich daran erinnerst. Ich friere schon bei dem Gedanken daran. Wenigstens sind wir nur 24 Stunden dort. Und ich werde das Hotel auf gar keinen Fall verlassen.“

      Die nächste halbe Stunde waren die Flugbegleiter damit beschäftigt, alles für den Start vorzubereiten und in der Kabine zu überprüfen, ob die Passagiere auch ordnungsgemäß angeschnallt waren. Nachdem der Check durchgeführt worden war, trafen sich alle in der Bordküche, auch Galley genannt.

      „Das kann ja ein netter Flug werden. Gott sei Dank beträgt die Flugzeit nur acht Stunden.“

      „Du musst dich grade beschweren. Auf deiner Seite sitzen doch kaum Leute.“

      „Aber die paar, die dort sitzen, sind fast alle schlecht gelaunt. Manchmal fällt es einem wirklich schwer zu lächeln.“

      „So, ihr Lieben“, kam der Purser in die Galley, „auf die Plätze. Es geht gleich los.“

      In dem Moment wurde Bea bewusst, dass sie sowohl beim Start als auch bei der Landung dem Traummann genau gegenüber saß. Das kann ja heiter werden, dachte sie und machte sich auf den Weg zu ihrem Sitz.

      Vor dem Start musste ein Flugbegleiter in Gedanken noch einmal alle Eventualitäten, die passieren könnten, durchgehen, damit man im Falle eines Falles