Michaela Santowski

Ohne dich


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wir ja jetzt mindestens acht Stunden nebeneinander sitzen, sollten wir uns vielleicht vorstellen. Mein Name ist Hans“, hörte Bea seinen Sitznachbarn zu ihm sagen.

      „Hallo, Hans. Ich heiße Patrick.“

      Die beiden reichten sich die Hand.

      „Und Patrick, was führt dich nach Chicago?“

      Jetzt war es endgültig aus mit Beas Konzentration. Sie spitzte die Ohren.

      „Ich lebe dort. Ich war geschäftlich in Frankfurt.“

      „Dann fliegst du diese Strecke wohl recht häufig?“

      „Kann man sagen. Ich bin sehr viel unterwegs. Meistens allerdings in Südamerika.“

      Sein Sitznachbar fing daraufhin an über sein Geschäft zu reden. Bea hörte nicht mehr hin. Patrick hieß er also. Und anscheinend war er nicht so häufig in Frankfurt. Er würde jedenfalls kaum über Deutschland fliegen, wenn er nach Südamerika musste. Allerdings war das nicht so schlimm. Schließlich hatte Bea die Möglichkeit ebenfalls nach Südamerika zu fliegen und sich dort mit ihm zu treffen. Stopp, dachte sie entsetzt. Was überlegst du denn da? Das geht jetzt wohl doch ein wenig zu weit.

      Mittlerweile waren sie in der Luft und Bea wartete auf das Ausgehen der Anschnallzeichen, damit sie aufstehen konnte, um in der Galley ihren Aperitif-Wagen aufzubauen.

      „Wie ist denn das Wetter in Chicago?“, hörte sie eine dunkle Stimme fragen.

      Bea schaute hoch. Patrick lächelte sie erwartungsvoll an.

      „Minus 18 Grad“, antwortete sie einsilbig.

      „Oh je, da wäre ich doch wohl lieber in Frankfurt geblieben. Da hatten wir nur minus fünf Grad. Fliegen Sie gleich wieder zurück?“

      „Nein.“ Wieder nur ein Wort.

      „Wie lange bleiben Sie denn dort?“

      „Vierundzwanzig Stunden.“

      „Mache ich Sie irgendwie nervös? Sie sind ziemlich kurz angebunden.“ An der Art, wie Patrick sie ansah, mit diesem spöttischen und doch gleichzeitig lieben Blick, merkte sie, dass die Zweideutigkeit der Frage durchaus gewollt war. Und endlich fand sie zu ihrem alten Selbst zurück.

      Sie schenkte ihm ein strahlenden Lächeln und antwortete: „ Ich kann mir weitaus schlimmere Arten vorstellen, abgelenkt zu werden, als von einem interessanten Mann gefragt zu werden, wie lange man in Chicago ist.“

      Er sah sie einen Moment verdutzt an und fing dann an zu lachen. „Das geschieht mir jetzt wohl recht“, entgegnete er als er sich wieder beruhigt hatte.

      „Ich schätze schon.“ Auch Bea lächelte.

      „Normalerweise würde ich jetzt aufstehen und Ihnen die Hand reichen, um mich vorzustellen. Allerdings sagen die Zeichen, dass ich das nicht darf. Dann muss es eben einfach so gehen. Mein Name ist Patrick.“

      „Mein Name ist Beatrix.“

      „Freut mich, dich kennen zu lernen.“

      „Ganz meinerseits.“

      „Warst du schon oft in Chicago?“

      „Nein. Ein oder zweimal. Und jedes Mal war es zu kalt, um das Hotel zu verlassen. Wie wohl auch dieses Mal.“

      „ Das ist wirklich sehr schade. Es ist eine wunderschöne Stadt.“

      „In 24 Stunden kann man wahrscheinlich sowieso nicht sehr viel von der Stadt sehen.“

      „Leider nicht. Aber die Highlights auf alle Fälle.“

      In diesem Moment gingen die Anschnallzeichen aus. Bea wollte eben ihren Gurt lösen, als eine ziemlich hübsche Blondine sich so vor sie stellte, dass sie unmöglich aufstehen konnte. Im ersten Moment dachte Bea, dass die blonde Frau wohl mal ziemlich dringend auf die Toilette musste, wenn sie so angeflitzt kam. Doch im nächsten Moment hörte sie, wie sie Patrick ansprach, dass sie auch noch nie in Chicago war und eben das Gespräch mit der Stewardess mit angehört hätte und so erfahren habe, dass er sich in Chicago wohl auskennen würde. Ob er ihr sagen könnte, was man sich denn unbedingt in dieser wunderschönen Stadt angucken sollte. Sie wäre eine ganze Woche dort.

      Patrick antwortete freundlich, dass es eine ganze Menge gäbe.

      „Vielleicht können Sie mir ein paar von den Highlights zeigen?“

      „Wenn ich die Zeit finde, gerne. Geben Sie mir einfach Ihre Telefonnummer, unter der ich Sie erreichen kann.“

      Die Blondine lachte affektiert auf, nahm einen Stift in die Hand und wollte die Nummer ihres Hotels aufschreiben.

      „Entschuldigen Sie bitte“, sagte Bea. „Ich müsste mal dringend vorbei, damit ich mit dem Service anfangen kann.“

      „Ja, Moment noch. Sie sehen doch, dass ich am Schreiben bin.“

      Bea atmete hörbar die Luft ein.

      „Vielleicht lassen Sie die Flugbegleiterin erst raus“, mischte Patrick sich ein. „Dann haben Sie auch mehr Platz.“

      Dankbar, sich das Gesülze der Blondine nicht mehr anhören zu müssen, blickte Bea ihn an. Die Frau trat einen Schritt zur Seite und Bea die Flucht an.

      Zwanzig Minuten später schoben sie und ihre Kollegin den Trolley mit den Getränken durch die Kabine. Dabei stellte Bea fest, dass es sich die Blondine mittlerweile auf dem Sitz der Flugbegleiterin bequem gemacht hatte und sich kokett zu Patrick rüber beugte. Na warte, dachte Bea. Abrupt hielt Bea den Trolley an, setzte ein zuckersüßes Lächeln auf und erklärte in sanftem Ton: „Entschuldigen Sie bitte. Aber dies ist ein Sitz nur für Flugbegleiter. Ich möchte Sie doch bitten, sich entweder hinzustellen oder auf Ihren Platz zurückzugehen.“

      „Aber im Moment benötigen Sie ihren Platz doch gar nicht“, warf Blondie leicht verstimmt ein.

      „Das stimmt zwar, aber Sie müssen auch verstehen, dass, wenn wir jetzt eine Ausnahme machen würden, es sehr schwer wäre die Leute wieder von diesem Platz zu vertreiben, wenn wir ihn dann wirklich benötigen.“

      Die Blondine sog hörbar die Luft ein. „Dieser Logik kann ich leider nicht folgen.“

      Dieser Logik willst du gar nicht folgen, dachte Bea. Laut sagte sie: „Tut mir wirklich leid, aber Anweisungen sind Anweisungen.“

      Mürrisch stand sie auf.

      Patrick betrachtete Bea schmunzelnd.

      „Anweisungen sind Anweisungen?“ fragte ihre Kollegin als sie ein Stück weiter gegangen waren. „Diese Anweisung kenne ich gar nicht.“

      „Na hör mal. Die kann sich doch nicht einfach auf meinem Platz breit machen. Ich setze mich auch nicht auf ihren.“

      „Ich hatte das Gefühl, dass sie sehr gerne mit dir die Plätze getauscht hätte, auch wenn dein Sitz wesentlich unbequemer ist als ihrer. Der Ausblick ist auf jeden Fall netter.“

      „Die soll bloß aufpassen. Alles muss ich mir nun auch nicht gefallen lassen.“

      „Das hat nicht zufällig was mit dem jungen Mann zu tun?“

      „Lass uns lieber mit dem Aperitif anfangen.“

      Die nächsten vier Stunden war Bea völlig ausgelastet. Nach dem Aperitif mussten sie abräumen. Dann wurde das Essen serviert. Als sie damit hinten fertig waren, fingen sie vorne wieder mit dem Einsammeln an. Zwischendurch mussten sie noch Gläschen für die sich an Bord befindenden Babys warm machen und immer wieder die Galley aufräumen, da der Platz beschränkt war und nicht auch noch unnötig zugestellt werden sollte. Nach dem Essen folgte der Digestif-Wagen und dann Kaffee. Als das alles erledigt war, ging Bea mit einem Tablett voller Schokoriegel durch die Kabine. Mittlerweile waren die Passagiere wach. Das bedeutete, dass Bea hier und dort mal etwas länger stehen blieb, um sich zu unterhalten und ein paar Fragen bezüglich ihres Berufes zu beantworten, die ihr auf jedem Flug gestellt wurden.