Michaela Santowski

Ohne dich


Скачать книгу

ihn erst seit acht Stunden. Da dürfte das wohl nicht so schwierig sein.“

      „Wenn du meine ehrliche Meinung willst, dann ja. Vergiss ihn! Aber das willst du gar nicht hören. Du möchtest einen Ausweg aus dem Chaos. Also, hier ist mein Vorschlag: du rufst ihn jetzt an, schließlich hast du ihm das auch versprochen, und sagst ihm, dass du doch ein wenig zu erschöpft bist, um heute Abend noch auszugehen. Und dann wartest du ab, was dann so von ihm kommt.“

      „Das ist alles?! Das soll deine Patentlösung sein? Und was, wenn seine Freundin ans Telefon geht?“

      „Ganz ehrlich, Bea, das ist nicht deine Sorge. Wenn er dir schon seine Karte gibt, muss er das auch zuhause klären.“

      „Bei dir klingt das alles so einfach“, entgegnete sie verzweifelt.

      „Das ist es auch. Und wie du schon sagst: du kennst ihn erst seit acht Stunden. Du wirst es mit Sicherheit verkraften, solltest du ihn nicht wiedersehen.“

      „Ja, ja, schon gut. Wir sehen uns übermorgen.“

      „Auf alle Fälle. Ich muss ja wissen, wie das weitergeht.“

      Bea legte den Hörer auf. Dann nahm sie Patricks Visitenkarte in die Hand, überlegte noch einen Augenblick, atmete tief durch und rief die angegebene Nummer an.

      Es meldete sich, wie nicht anders zu erwarten, eine weibliche Stimme mit: „Hello?“

      „Äh-ja-hello. I want to talk to Patrick.“

      „Ach, Hallo. Sie müssen Beatrix sein, die Flugbegleiterin aus Deutschland. Patrick hat mir erzählt, dass er dank Ihnen einen sehr angenehmen Flug hatte.“

      Bea war quasi sprachlos. „Ja, wir haben uns sehr nett unterhalten“, stotterte sie.

      „Moment mal. Ich glaube, er kommt grade wieder rein.“

      Sie hörte, wie sein Name gerufen wurde und ein paar Augenblicke später war er am Telefon.

      „Hallo, Beatrix. Wie geht es dir?“

      Alleine der Klang seiner Stimme ließ Beas Herz höher schlagen.

      „Hallo, Patrick. Ich hoffe, ich habe dich nicht von einer wichtigen Arbeit abgehalten.“

      Er lachte. „Wohl kaum. Das Säubern der Katzentoilette kann ruhig noch ein wenig warten.“

      „Ich rufe auch nur an, um dir zu sagen, dass ich ziemlich fertig bin und doch lieber im Hotel bleibe.“

      „Das ist sehr schade. Meine Freundin und ich hatten uns schon überlegt, wo wir mit dir essen gehen könnten, um dir zu zeigen, wie einzigartig Chicago ist.“

      Bea verstand die Welt nicht mehr. Anscheinend hatte er keine Ahnung, wie tief er sie beeindruckt hatte. Sonst würde er ihr auf gar keinen Fall einen Abend gemeinsam mit seiner Freundin vorschlagen.

      „Tut mir wirklich sehr leid. Ich kann mich ja melden, wenn ich das nächste Mal hier sein sollte“, antwortete sie und hoffte, dass die Verzweiflung nicht zu deutlich zu hören war.

      „Wann fliegt ihr denn morgen zurück?“

      „Um 14 Uhr Ortszeit geht es zum Flughafen.“

      „Ich habe morgen früh um 8 Uhr einen Termin. Bis 10 Uhr sollte ich fertig sein. Warum treffen wir uns nicht um halb elf bei dir im Hotel? Dann kann ich dir noch ein ganz klein wenig von Chicago zeigen. Sozusagen als Anreiz, bald wiederzukommen.“

      Zu ihrem Erstaunen hörte Bea sich zustimmen.

      „Gut, dann treffen wir uns um halb elf in der Lobby. Ich rufe dich an, wenn ich da bin. Gib mir doch noch deine Zimmernummer.“

      Bea nannte sie ihm und legte dann den Hörer auf. Na klasse, dachte sie. Auf was lässt du dich da bloß ein? Patrick hatte anscheinend wirklich keine Ahnung wie sie empfand und wollte einfach nur nett sein. Aber warum hatte er es dann nicht einfach bei ihrer Absage belassen? Warum wollte er sie unbedingt wiedersehen?

      „Ach, Bea“, sagte sie laut zu sich selbst. „Lass es einfach auf dich zukommen und mach dir nicht so viele Gedanken. Genies den Tag morgen und vergiss ihn dann einfach.“ Doch leider wusste sie ganz tief in ihrem Inneren, dass das keineswegs so einfach war.

      Das erste Date

      Bea lief schon das fünfte Mal ins Badezimmer, um ihr Make-up zu überprüfen. Mitten in der Nacht war ihr eingefallen, dass sie nur eine alte Jeans und einen ausgefransten Pullover eingepackt hatte, da sie nicht vorgehabt hatte, das Hotel zu verlassen. Also musste wenigstens das Make-up stimmen. Zum wahrscheinlich tausendsten Mal schaute sie auf die Uhr. Es war erst halb zehn. Noch eine Stunde warten und sie war jetzt schon völlig nervös. Wenn sie sich nicht bald beruhigte, würde sie einen Herzinfarkt bekommen. Und dann würde sie Patrick erst recht nicht wiedersehen. Sie setzte sich aufs Bett und atmete dreimal tief durch. Dann schaltete sie den Fernseher an, um sich ein wenig ablenken zu lassen. Als eine Viertelstunde später das Telefon klingelte, schrak sie zusammen.

      „Ja bitte?“ meldete sie sich.

      „Hallo“, hörte sie Patricks dunkle Stimme durch den Hörer. „Ich bin bereits fertig mit meinem Termin und wollte wissen, ob wir uns auch schon um 10 Uhr treffen können?“

      „Von mir aus gerne.“

      „Sehr schön. Dann sehen wir uns gleich. Ich melde mich nochmal, wenn ich im Hotel bin.“

      „OK. Bis gleich.“

      Bea rannte ins Bad und warf einen prüfenden Blick in den Spiegel. Der schwarze Kajal um ihre braunen Augen war ein wenig verwischt. Vorsichtig brachte sie das in Ordnung. Dann wuschelte sie sich nochmal mit den Händen durch ihr kurzes dunkles Haar, damit es nicht ganz so streng aussah. So, besser kriege ich das eh nicht hin.

      Bea trat aus dem Aufzug und blickte sich suchend um. Patrick stand mit dem Rücken zu ihr an der Rezeption. Er trug einen Anzug. Toll, dachte sie. Ich bin völlig underdressed. Allerdings konnte ich ja auch nicht damit rechnen, eine private Führung durch Chicago zu bekommen. Lächelnd ging sie auf ihn zu.

      „Guten Morgen, junger Mann“, sprach sie ihn an. „Sind sie bereit einer Ungläubigen die Schönheiten von Chicago näher zu bringen?“

      „Guten Morgen, hübsche Frau. Ich bin sicher, dass sie nach dieser Führung nie wieder weg möchten.“

      Das möchte ich jetzt schon nicht mehr, dachte sie.

      Er bot ihr seinen Arm an. Sie hakte sich unter und gemeinsam verließen sie das Hotel. Patrick erwies sich als sehr angenehmer Stadtführer, der die Geschichte Chicagos und des Chicago Rivers interessant und spannend erklärte. Er ging mir ihr von einer Ecke Chicagos in die andere. Dabei erklärte er ihr jede Sehenswürdigkeit. Ganz besonders lange blieb er am Chicago River stehen und geriet ins Schwärmen als er ihr berichtete, was für ein wahnsinnig tollen Anblick der Fluss zum Sankt Patricks Day bot. Dann nämlich wurde das Wasser grün eingefärbt und ein Riesenspektakel am Fluss veranstaltet.

      „Das würde ich wirklich gerne mal erleben“, sagte Bea verträumt.

      „Wer weiß, vielleicht kann ich es dir mal zeigen“, erwiderte Patrick.

      Dann gingen sie weiter. Wenn ihnen zu viele Menschen entgegen kamen, ergriff Patrick ihre Hand, damit sie sich nicht verloren. Bea versuchte, dem keine Bedeutung beizumessen. Aber sie war jedes Mal enttäuscht, wenn er ihre Hand wieder losließ.

      „So, und nachdem du mir jetzt zweieinhalb Stunden zuhören musstest, lade ich dich noch in den Sears Tower auf einen Kaffee ein. Da hat man einen sehr schönen Überblick über Chicago. Die Bar befindet sich nämlich im 96. Stockwerk. Man kann, wenn man drin ist, sogar deutlich sehen, dass der Tower hin und her schwenkt.“

      „Das ist wirklich eine sehr nette Vorstellung im 96. Stock hilflos den Schwankungen des Turms ausgeliefert zu sein.“ Bea schauderte.

      „Keine Angst. Er hat noch nie so sehr geschwankt,