Eva Markert

Der Stalker


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oder hatte jemand das eingefädelt? Womöglich Marc selbst?

      Eine neue CD wurde aufgelegt: ein englischer Lovesong mit einer wunderschönen, traurigen Melodie und Worten, die sie zum größten Teil nicht verstand. Die Stimme des Sängers schmeichelte sich in ihr Ohr. Marc legte seine Arme um sie. Es fehlte nicht viel und Lea hätte angefangen zu zittern. „Jetzt fehlt nur noch, dass ich stolpere oder ihn anrempele“, ging es ihr durch den Kopf. „Hoffentlich trete ich ihm nicht auf die Füße.“ Sie schaute zu Marc hoch. Er lächelte.

      Da fasste sie jemand an die Schulter. „Tut mir leid“, hörte sie Steffens Stimme. „Wir wurden getrennt.“

      Lea warf ihm einen bitterbösen Blick zu. „Wo ist Nele?“, fragte sie.

      „Keine Ahnung. Auf einmal war sie weg.“

      „Warum hat sie nicht besser aufgepasst?“, dachte Lea wütend. „Ausgerechnet jetzt muss er stören.“

      Steffen nahm Lea bei der Hand. Sie wollte sich losreißen, aber er umklammerte sie, schmiegte seine Wange an ihre und drängte sie zurück auf die Tanzfläche.

      Lea achtete kaum auf ihn. „Wie komme ich am besten zurück zu Marc?“, überlegte sie. Sie entdeckte ihn am anderen Ende des Raumes. Sie schob Steffen ein Stück von sich weg und reckte den Hals. Er tanzte mit Nele. Schon wieder! Zu allem Überfluss auch noch auf Tuchfühlung.

      Der Sänger hauchte sein letztes „I love you“, die Musik verklang.

      „Huhu! Hier!“, rief Nele und winkte.

      Lea kämpfte sich zu ihnen durch, Steffen folgte ihr. Beide standen stumm dabei, während Nele und Marc lebhaft miteinander redeten. Lea überlegte krampfhaft, was sie zum Gespräch beitragen könnte. Normalerweise war sie nicht auf den Mund gefallen, doch sobald Marc auftauchte, versandete ihr Gehirn. Ab und zu schaute er sie an, als ob er auf eine Reaktion von ihr warten würde, dann wanderte sein Blick weiter zu Steffen, der dicht neben ihr stand.

      Jemand legte eine neue CD auf und drehte die Musik lauter.

      „Ich hol mir was zu trinken“, schrie Marc.

      „Bestimmt sagt er das nur, damit er einen Abgang machen kann“, dachte Lea resigniert. „Bestimmt kommt er nicht zurück. Kein Wunder, bei solchen Langweilern wie Steffen und mir.“

      Neles Lippen bewegten sich.

      „Was?“, brüllte Marc. „Ich versteh kein Wort.“

      Nele stellte sich auf die Zehenspitzen und schrie ihm ins Ohr.

      „Okay.“

      Was bedeutete das? Was hatte Nele gesagt? Lea warf ihr einen misstrauischen Blick zu. Sie konnte es kaum glauben, aber es sah verdammt danach aus, als ob ihre beste Freundin gerade den Jungen anbaggerte, in den sie sich bis über beide Ohren verliebt hatte.

      Marc kam mit zwei Flaschen Cola zurück. Eine reichte er Nele. Die lächelte ihn strahlend an.

      „Zuckersüß!“, dachte Lea. „Wie ein Honigkuchenpferd.“

      „Willst du auch?“ Nele hielt ihr die Cola hin.

      Lea schüttelte den Kopf.

      Nele nahm ein paar Schlucke, setzte die Flasche ab und rief: „Kommt, wir tanzen!“ Mit der einen Hand zog sie Lea, mit der anderen Marc auf die Tanzfläche. Steffen kam hinterher.

      Ehe Lea es sich versah, tanzte sie mit Steffen und Nele – wie konnte es anders sein? – mit Marc. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie die beiden. Wie die sich an ihn ranschmiss! Nie hätte sie ihr das zugetraut!

      Auf einmal hielt Lea es keine Sekunde länger aus. „Ich will nach Hause“, brüllte sie Steffen ins Ohr.

      „Okay.“

      Sie zupfte Nele am Ärmel. „Ich hau ab.“

      Nele stockte mitten in der Bewegung. Marc schaute sie ebenfalls verwundert an.

      „Jetzt schon?“

      „Mir ist nicht gut“, log sie.

      „Soll ich mitkommen?“

      „Nein“, schrie Lea. Genau da hörte die Musik auf. Doch es war bereits zu spät, um den nächsten Satz hinunterzuschlucken. Jeder konnte hören, wie sie hinzufügte: „Amüsier du dich ruhig weiter mit Marc!“

      Viele drehten sich nach ihr um.

      Marc zog eine Braue hoch.

      „Was soll das heißen?“, fragte Nele empört.

      Lea spürte, wie sie puterrot wurde. Zu allem Überfluss stiegen ihr auch noch Tränen in die Augen. Sie senkte den Kopf. Ohne Nele und Marc eines weiteren Blickes zu würdigen, hastete sie mit Steffen im Schlepptau zur Tür.

      Die Musik setzte wieder ein. Wegen der Tränen konnte sie nicht richtig gucken. Steffen reichte ihr ein Papiertaschentuch, grub ihre Jacke unter den vielen anderen hervor, half ihr hinein und führte sie hinaus.

      Die kalte Nachtluft tat gut, wenn sie auch nichts an der Traurigkeit und Wut änderte, die sie erfüllten. Am liebsten wäre Lea jetzt allein gewesen.

      Steffen schien das zu spüren, denn auf dem Heimweg sagte er kaum ein Wort. Er brachte sie bis an die Haustür. „Gute Besserung“, wünschte er.

      „Warum sagst du das? Ich bin doch nicht krank!“, fuhr Lea ihn an.

      „Ich dachte, dir wäre schlecht.“

      „Ach so, ja, danke“, würgte sie hervor und verschwand blitzschnell im Haus.

      Kapitel 3

      Als Lea am nächsten Tag wach wurde, war ihr erster Gedanke: „Nele, dieses Biest!“ Mit der Faust schlug sie auf die Bettdecke.

      Chipsy, die in ihrem Körbchen neben dem Bett schlief, richtete sich auf und schaute sie aufmerksam an.

      „Die Menschen sind so gemein“, sagte Lea zu ihr.

      Chipsy sprang aufs Bett, wedelte mit dem Schwanz und leckte ihr über den Arm.

      „Aber du bist lieb, Chipsy.“ Lea streichelte den kleinen Hund. Der rollte sich zusammen und schloss genüsslich die Augen. „Auf Hunde kann man wenigstens zählen“, dachte Lea. „Die bleiben einem immer treu.“

      Sie hatte keine Lust aufzustehen. Keine Lust zu lesen. Schlafen konnte sie auch nicht mehr. Sie lag nur da, starrte an die Decke und hing beunruhigenden Gedanken nach. Wie lange waren Nele und Marc auf der Fete geblieben? Hatte er sie nach Hause gebracht? Womöglich sogar geküsst?

      Lea stöhnte und wälzte sich auf die Seite.

      Der Westie hob wieder den Kopf. Lea kraulte ihn hinter den Ohren. „Wie soll ich das bloß aushalten?“, fragte sie ihn. „Wenn ich mir vorstelle, dass ich in Zukunft zugucken muss, wie Marc mit Nele zusammen ist ...“

      Chipsy regte das nicht weiter auf. Sie klopfte kurz mit dem Schwanz auf die Bettdecke und kuschelte sich an sie.

      Als Lea endlich aufstand und in die Küche ging, war es schon Mittagszeit. „Das Essen ist gleich fertig“, sagte ihre Mutter. „Nele hat übrigens schon zweimal angerufen.“

      „Von mir aus“, brummte Lea.

      Frau Sonnenfeld warf ihr einen prüfenden Blick zu. „Streit gehabt?“

      „Nein, nein“, versicherte Lea schnell. Im Augenblick verspürte sie nicht die geringste Lust, ihrer Mutter von Nele und Marc zu erzählen. Vielleicht später.

      Sie setzte sich an den Tisch. „Ich ruf keinesfalls zurück“, dachte sie. „Da kann Nele warten, bis sie schwarz wird.“

      Als jedoch nach dem Essen das Telefon erneut schellte, hielt sie es doch nicht aus. Sie wollte unbedingt wissen, was gestern Abend passiert war.

      „Hallo, Lea“, hörte sie Neles muntere Stimme, „bist