Marcelo Strumpf

Tödliche Täuschungen


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Hörer nahm, den sie ihm gnadenlos hingehalten hatte. Insofern war es auch zwecklos gewesen, ihr zuzuflüstern, sie solle Becky sagen, er sei nicht da. Seine Mutter hatte ihn in diese Sache reingeritten, als sie sich wieder den Hörer ans Ohr gehalten und zu Becky gesagt hatte: „Warte, Liebes. Einen kleinen Moment. Max kommt gleich ans Telefon“.

      Was hätte er tun sollen? Ihm war nichts anderes übrig geblieben, als mit Becky zu sprechen. Erst hatte er ja noch versucht, Becky abzuwimmeln, indem er ihr vorgelogen hatte, er müsse noch für eine Prüfung lernen.

      „Ein halbes Stündchen wirst du doch wohl abzweigen können, oder?“, hatte sie erwidert. „Lass uns im alten Strandhäuschen treffen. Du weißt schon wo, nicht wahr?“. Dann hatte sie so albern gekichert.

      Natürlich wusste er nur zu genau, wo. Das Strandhäuschen, in dem sie es nach der Strandfete im letzten Sommer miteinander getrieben hatten. Es lag etwas versteckt hinter den Dünen. Und dort hatte sie ihn heute Nachmittag erneut verführen wollen, obwohl er ihr vor einem Jahr ganz klar zu verstehen gegeben hatte, dass es keine Wiederholung geben würde.

      Nicht, dass Becky unansehnlich war. Ganz im Gegenteil. Sie sah scharf aus in ihren sexy Klamotten. Auch heute war es so gewesen, mit ihrem engen schwarzen Pulli und ihrem Minirock, der ihre schönen Beine in voller Länge zeigte.

      Der Himmel war zugezogen, als er losgelaufen war, das Surfbrett unterm Arm. Ein starker Nordwind hatte geweht und ließ die Wellen des Atlantiks aufschäumen. Genau das richtige Wetter, um zu surfen, hatte er sich gesagt. Er wollte nicht lange bleiben, sondern nur kurz Hallo sagen, Becky alles Gute wünschen, und dann ab ins Meer.

      Doch sie hatte ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht. Sie war schon da, als er hereinkam, und hatte auf einer alten Holzkiste gesessen und einen Joint geraucht. Zumindest hatte es im Strandhaus ziemlich stark nach Gras gerochen.

      „Schön, dass du gekommen bist. Kannst du dich an diesen Ort erinnern, mein süßer, strammer Max?“ Die letzten Worte hatte sie herausgehaucht, um ihm zu zeigen, wie geil sie auf ihn war, aber für ihn hatte es nur dämlich geklungen. Ihre Micky-Maus-Stimme hörte sich nicht unbedingt sexy an, fand er. Dann, als sie von der Holzkiste aufgestanden und auf ihn zugegangen war, hatte sie ihn süffisant angelächelt. Sie war vor ihm stehen geblieben, hatte den Joint auf den Boden fallen lassen und ihn mit ihrer Stiefelspitze ausgedrückt. Und dann war sie über ihn hergefallen.

      Zur Salzsäule erstarrt, hatte er ihre feuchten, heißen Küsse über sich ergehen lassen und ihre Zunge an seinem Hals gespürt, während in seinem Kopf der Gedanke herumschwirrte, dass es sich für ein sechzehnjähriges Mädchen nicht gehörte, sich wie eine Nutte aufzuführen. Er fand das einerseits eklig, denn sie roch nach dem Joint und auch etwas nach Schweiß, aber irgendwie war er auch geil geworden. Doch als sie begonnen hatte, am Reißverschluss seiner Jeans herumzufummeln, war er wieder zur Besinnung gekommen.

      „Lass das, Becky!“, hatte er sie angeschnauzt und dabei versucht, sich von ihrer Umklammerung zu lösen. Sie war wie ein Krake gewesen.

      „Komm schon, du willst es doch auch, Max“, hatte sie ihm ins Ohr gehaucht. „Ein kleiner Abschiedsfick, damit ich dich in Erinnerung behalte und du mich.“

      Aber er wollte nicht. Nein, er wollte keinen Sex mit ihr haben. Weder jetzt noch irgendwann. Vielleicht war es ja nicht normal für einen siebzehnjährigen Jungen wie ihn, dass er mit einem Mädchen nur schlafen wollte, wenn er es liebte, zumindest aber romantische Gefühle für es hegte. Und für Becky hatte er nun mal nichts übrig. Nach der schnellen Nummer im letzten Sommer wusste er, dass er nie wieder nur einfach so Sex haben wollte. Irgendwie fand er sie sogar abstoßend. Nicht ihr Aussehen, nein, dagegen war ja, wie gesagt, nichts einzuwenden. Aber ihre ganze Art und ihre billige Ausstrahlung und auch ihre nasale Stimme. Wahrscheinlich hatte sie Polypen. Und dann ihre ordinäre Art zu sprechen. Die war doch völlig daneben! „Abschiedsfick.“ Wie konnte sie nur so etwas sagen? Widerlich, ihre Anspielung auf seine Penisgröße, wenn sie ihn „mein strammer Max“ nannte. Das hatte sie sogar in der Schule getan. Wofür hielt sie ihn eigentlich? Immerhin hatte er sie doch auch nicht auf ihre großen Titten reduziert und Miss Big Tits genannt, so wie es viele seiner Mitschüler taten, die Stielaugen bekamen, wenn Becky in einem ihrer hautengen T-Shirts in die Klasse kam. „Wie kommst du nur darauf, dass ich dich in Erinnerung behalten will“, hatte er ihr dann geantwortet, in der Hoffnung, sie würde beleidigt gehen.

      Aber Becky hatte sich auch davon nicht beirren lassen, sondern ihm dann einfach zwischen die Beine gefasst. Als aber ihre Finger spürten, dass er wirklich keinen Bock auf sie hatte, da schaute sie ihn für einen kurzen Moment fast ungläubig an. Und danach hatte sie fies gelächelt.

      Erst nahm er an, sie würde gleich irgendeine dämliche Bemerkung machen. Doch dem war nicht so gewesen. Statt überhaupt etwas zu sagen, war sie vor ihm in die Hocke gegangen, um wieder am Reißverschluss seiner Jeans zu fummeln. Und genau in dem Moment hatte er sie in ihrem Vorhaben, ihm einen blasen zu wollen, gebremst und sie angeschrien: „Stopp! Lass das, habe ich gesagt. Ich will nicht! Kapier das doch endlich! Ich muss jetzt weg. Mach’s gut." Kaum hatte er sich umgedreht, um aus der Tür zu gehen, hörte er ihre schrille Stimme.

      „Max! Wag es ja nicht, mich hier stehen zu lassen! Du willst nicht? Ich glaube wohl eher, du kannst nicht. Kriegst keinen mehr hoch, oder was? Du elender Schlappschwanz! Bist wohl in Wirklichkeit schwul, oder was?“ Dann hatte sie ihn ausgelacht. Es war ein schrilles Lachen gewesen, das sich in ein endloses Gackern verwandelte. Sie hatte einfach nicht aufgehört zu lachen, bis sie einen Schluckauf bekam, in den sich ihr keifendes „Schwuli! Schlappschwanz! Schwuli! Schlappschwanz!“ mischte.

      Sie hatte ihn so wütend gemacht, dass er nicht anders konnte, als wieder auf sie zuzugehen und ihr eine zu brettern. Es war keine kräftige Ohrfeige. Eher wie ein Klapps auf den Po. Becky war aber vor Schreck einen Schritt zurückgetreten und hatte ihn mit ihren katzengrünen Augen erschrocken angeschaut.

      Natürlich hatte er es sofort bereut, ihr eine runtergehauen zu haben, und wollte sich bei ihr entschuldigen, doch dazu war er gar nicht gekommen. Becky fand rasch die Sprache wieder.

      „Ach so… Du liebst also die harte Tour, mein jetzt nicht ganz so strammer Max. Nun, das kannst du gerne haben!“ Und dann hatte sie sich erneut auf ihn gestürzt.

      „Aua! Du blöde Kuh!“, hatte er schmerzerfüllt gerufen, als er ihre rotlackierten Fingernägel brennend im Gesicht spürte.

      Becky war nicht mehr zu bremsen gewesen. Sie schien, Blut geleckt zu haben, und war dann erst so richtig zum Angriff übergegangen. „Entweder du machst es mir jetzt, oder ich erzähle überall herum, dass du mich vergewaltigen wolltest.“ In ihrem Gesicht war unverkennbar der Ausdruck von Entschlossenheit gewesen. Sie bluffte nicht. Nein, sie meinte es ernst. Sehr ernst. Und genau das war ihr großer Fehler. Sie hätte ihm nicht drohen dürfen.

      „Du spinnst ja“, hatte er geantwortet und sie verärgert von sich weggestoßen, diesmal ziemlich heftig sogar. Er hatte noch mitbekommen, dass sie wohl noch irgendetwas sagen wollte, aber dazu war sie nicht mehr gekommen. Becky war nämlich trotz ihrer Stiefel mit den hohen Plateausohlen ein Kopf kleiner als er und weitaus leichter, so dass sie gestolpert war, als er sie geschubst hatte. Und dann war sie rücklings hingefallen und mit dem Kopf auf die Holzplanken geschlagen. Oder noch schlimmer: auf eine der verrosteten Stangen, die irgendjemand hier hingelegt hatte.

      Erst hatte er sich ja nichts weiter dabei gedacht, als er sah, dass sie sich nicht rührte. Er war sicher gewesen, sie würde sich gleich wieder aufrappeln und ihn noch giftiger als vorher anschreien. Aber Beckys Augen blieben geschlossen. Sie machte keinen Mucks. Da ergriff ihn natürlich Panik. Sofort war er in die Hocke gegangen und hatte ihren Kopf auf äußere Verletzungen untersucht, aber nichts entdecken können. Kein Blut, rein gar nichts. Nicht mal ein Kratzer war zu sehen. Dann schüttelte er sie und rief „Becky, Becky, wach auf!“. Doch die blöde Kuh reagierte einfach nicht. Als seine Panik sich in Entsetzen verwandelt hatte, erwog er, loszustürzen und Hilfe zu holen. Aber das erschien ihm dann doch keine so gute Idee. Bestimmt würde sie dann erst recht behaupten, er habe sie vergewaltigen wollen. Und wer würde ihr nicht glauben? Mädchen glaubte man doch immer. Sie waren doch das schwache Geschlecht. Da war es doch besser für ihn, wenn sie tot