Marcelo Strumpf

Tödliche Täuschungen


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und den Motor startete. „Wir sind bald da. Haben uns nur ein wenig verfahren. Das Nest hier heißt Liskowithiel“, klärte er Anna auf und wischte seine Brillengläser mit einem Papiertaschentuch trocken.

      „Ich würde sagen, nicht wir haben uns verfahren, sondern du. Oder hast du mich am Steuer gesehen? Und, ehrlich gesagt, es ist mir völlig wurscht, wo wir jetzt sind. Hauptsache wir sind bald in dem verdammten Cottage“, fuhr sie fort. „Ich will nur noch ein heißes Bad, etwas essen und dann ins Bett. Mich fröstelt es. Das einzige, das mir noch fehlt, ist, dass ich eine Erkältung bekomme. Was mich bei dem Mistwetter hier nicht wundern würde.“

      Ohne ein Wort zu sagen, fuhr er wieder auf die Autobahn. Mittlerweile hatte sich der schwere Regen in leichten Sprühregen verwandelt. Der dunkelgraue Himmel wurde heller, als die Sonne versuchte, sich durch die Wolkenschicht zu kämpfen. Nach etwa einer halben Meile fuhr er von der Autobahn herunter und entlang einer Landstraße, die immer schmaler wurde. Sie war zu beiden Seiten von hohen Hecken gesäumt und alle paar Meter von kleinen Ausweichbuchten flankiert, in die ein Auto reinfahren konnte, falls ein anderes entgegenkam. Annas Schweigen war für ihn fast körperlich spürbar. So als würde es ihn innerlich zerreißen. Daher war er froh, dass sie ihr Ziel erreicht hatten, nachdem er in einen asphaltierten Feldweg eingebogen und vorbei an Wiesengattern und Steinmauern gefahren war, hinter denen anmutige Cottages und kleine Landhäuser mit blumenreichen Vorgärten lagen. „Da vorne muss es sein“, sagte er.

      „Muss was sein?“, fragte Anna desinteressiert. „Ich sehe nur ein heruntergekommenes Bauernhaus und dahinter ein weißes Haus, das ein größerer Geräteschuppen sein könnte.“

      Auf der Straße vor dem Haus, das für Anna ein Geräteschuppen war, stand eine Frau, die unter ihrem knallroten Regenschirm mit schwarzen Punkten wie ein Marienkäfer aussah.

      Dominik hielt vor dem weißen Cottage. Dass Anna beim Anblick des Hauses „Oh Gott!“ sagte und es kein Ausruf der Freude war, ignorierte er. Dann kurbelte er das Fenster herunter und sprach die Frau an. „Sind Sie Mrs. Wood?“.

      Die Frau unter dem gepunkteten Regenschirm nickte und kam näher.

      Eine so schräg angezogene Person hatte er noch nie gesehen. Sie trug einen knielangen, orangenen Lackregenmantel, aus dem schwarzweiß geringelte Leggings schauten, die in gelben Gummistiefeln steckten. Hätte sie ihre roten Haare nicht zu einer Art Turmfrisur hochgesteckt, sondern lange Zöpfe getragen, hätte sie mit der hellen Haut und den Sommersprossen wie eine in die Jahre gekommene Pippi Langstrumpf ausgesehen, fand er und schätzte Lavinia Wood auf Mitte fünfzig.

      „Das Mrs. können Sie sich schenken. Nennen Sie mich einfach Lavinia. Ich hab‘ mir schon die Augen nach ihnen ausgeschaut“, sagte sie, als Dominik ausstieg und ihr die Hand gab. „Haben Sie sich verfahren, oder warum hat es so lange gedauert? Sie hätten doch schon vor einer halben Stunde hier sein müssen.“ Statt eine Antwort abzuwarten, schaute sie zum grünen Jaguar herüber. „Warum steigt Ihre Frau nicht aus? Das ist doch Mrs. Russ, oder?“

      Ja, das ist Mrs. Russ, wie sie leibt und lebt, wollte er schon antworten, doch stattdessen winkte er Anna zu sich, die es genoss, Menschen warten zu lassen.

      Als sie die Wagentür öffnete, stieß sie zuerst ihren cremefarbenen Regenschirm wie ein Speer heraus und spannte ihn auf. Erst danach streckte sie ihre langen, schlanken Beine aus dem Auto.

      Ach du liebe Güte, was ist das denn für ein Modepüppchen?, dachte Mrs. Wood beim Anblick der roten Pumps, die ihrer Meinung nach völlig unpassend für einen Urlaub in Cornwall waren.

      Und Anna, die in einer Hand den Schirm hielt und sich mit der anderen ihren leicht zerknitterten Rock aus Leinenstoff glatt zu streichen versuchte und dann erhobenen Hauptes auf das Cottage zulief, dachte: Mein Gott, was für eine Gewitterziege ist das denn?

      Die beiden Frauen begrüßten sich mit laschem Händedruck und wussten sofort, dass sie nie und nimmer Freundinnen werden würden. Allerdings gab es da noch etwas Anderes, das sie, abgesehen von Antipathie auf den ersten Blick, gemein hatten. Beide hatten plötzlich das Gefühl, sich von irgendwoher zu kennen. Aber keine von beiden verlor ein Wort darüber.

      „Ich zeige Ihnen erst mal das Cottage. Ihr Gepäck können Sie ja später aus dem Auto holen“, sagte Mrs. Wood und ging voraus ins Haus.

      Anna lief hinterher und beäugte den kleinen Vorgarten, der von einer Steinmauer aus Schiefersteinplatten eingefasst war. Das Cottage war ein klassisches englisches Haus aus Sandstein, das man vor ein paar Jahren weiß getüncht hatte, aber das der Wind und die salzhaltige Luft nun wieder grau und leicht verwittert erscheinen ließ. Sie kräuselte den Mund, als sie zum Spitzdach hochschaute und auf den grauen Dachplatten weiß-grüne Flechten entdeckte. Hoffentlich regnet es nicht durch, dachte sie.

      In dem Prospekt, den die Cottage-Agentur an Dominik geschickt hatte, hatte sie gelesen, dass das Gebäude einst die Remise des schräg gegenüber liegenden Gehöfts gewesen war. Das hatte man mittlerweile in ein Fünf-Sterne-Hotel umgebaut. Sie aber würde in einem Kutschenstall wohnen müssen! Ihre schlimmsten Erwartungen bezüglich der von Dominik ausgesuchten Urlaubsunterkunft hatten sich erfüllt. Nicht mal die Besichtigung des Hausinneren konnte sie besänftigen. Im Gegenteil. Sie zog verächtlich ihre Augenbrauen hoch, als Dominik in Verzückung geriet über die „ausgesprochen gemütliche Küche“, in der man gleich nach Betreten des Cottage stand.

      „Für eine Diele hat das Geld wohl nicht gereicht, als man den früheren Schweinestall umgebaut hat“, bemerkte Anna spitz und warf einen geringschätzigen Blick auf die Landhausküche, die infolge der Nutzung durch etliche Feriengäste im Laufe der Jahre natürliche Gebrauchsspuren aufwies.

      Sie brauchte nichts zu sagen. Dominik las in Annas Gesicht, dass sie, die zu Hause in einer Designer-Küche mit dem Charme eines klinischen Labors hantierte, hier nicht kochen würde. Und dass das Cottage insgesamt nicht ihr Stil war, damit lag er richtig. Keine zehn Minuten später würde sie vorwurfsvoll klagen, es sei für sie mehr als unverständlich, wie er ihr das hier zumuten konnte und so etwas Primitives hatte anmieten können. Wieso waren sie nicht in ein Hotel gegangen? Zum Beispiel in das Hotel gegenüber?

      „Oh, was ist das denn?“, fragte Dominik, der die Kälte, die Anna verbreitete, mit einem herzlichen Ton zu neutralisieren suchte. Er ging zum Küchentisch, auf dem eine Flasche Rotwein und eine Keramikkanne mit Kräutern standen.

      „Das ist ein kleines Willkommensgeschenk von mir. Das kriegen alle unsere Gäste“, sagte Mrs. Wood und lächelte erstmals. „Im Kühlschrank steht auch Milch, da brauchen sie nicht sofort einkaufen zu gehen.“

      „Klar doch. Wir werden uns heute eine Milchsuppe mit Kräutern zubereiten und mit Wein verfeinern“, sagte Anna zu Dominik laut genug, dass Mrs. Wood es hören konnte.

      Aber Mrs. Wood dachte nicht daran, sich den Ärger über die gehässige Bemerkung der Deutschen anmerken zu lassen, und setzte die Führung durchs Haus fort. „Und hier sind wir im Wohnzimmer.“ Natürlich entging ihr nicht der weiterhin missbilligende Blick, mit dem ihr Feriengast aus Deutschland auch hier das Interieur beäugte.

      „Ach, wie nett“, sagte Dominik und wurde sofort in seinem Enthusiasmus von Anna unterbrochen.

      „Also, eigentlich haben wir ja nicht vor, diese Bruchb– diese Behausung zu kaufen“, sagte sie ungehalten. „Und wir brauchen auch niemanden, der uns herumführt. Das hier ist ja nicht gerade der Buckingham Palace, in dem man sich verlaufen könnte, nicht wahr? Wir finden uns schon alleine zurecht, Miss Wood. Wenn wir Ihre Dienste benötigen, rufen wir Sie an.“

      „Nun, wenn Sie meinen, dass Sie sich hier alleine zurechtfinden. Bitte sehr. Soll mir recht sein. Allerdings möchte ich eins klar stellen, Mrs. Russ: Ich bin weder Ihre Hausdame noch eine Bedienstete, sondern Eigentümerin der Agentur Lavinia’s Cornish Cottages. Im Übrigen bin ich auch keine Miss Wood, sondern verwitwet und daher noch immer Mrs. Wood. Und falls später Fragen zum Cottage oder zu der Einrichtung und Nutzung auftauchen sollten, werden Sie wohl damit bis übermorgen warten müssen, da ich gleich nachher für zwei Tage zu meiner Schwester fahre und in der Zeit nicht erreichbar bin. Ich wünsche Ihnen einen guten Tag“, sagte sie und rauschte hinaus.