ein. Er hatte noch ein Forschungsprojekt laufen, für welches er einen Naturwissenschaftler mit Kenntnissen in genau dem Gebiet suchte, worin ich mehr oder weniger unfreiwillig vielfältige Erfahrungen gesammelt hatte. Ich kannte diesen Professor noch vom Aufbaustudium. Natürlich hatte ich Interesse. Etwas skeptisch fragte er mich, ob ich denn mit der Kollegin zu Recht kommen würde, die auch auf dem Projekt tätig war. Wohl hatte hier MoP im Hintergrund verbreitet, dass ich allen das Leben schwer machen würde. Dabei war ich ein lustiger, offener Mensch, der niemandem Böses wollte und eine große wissenschaftliche Motivation mitbrachte, aber es fiel mir schwer, falsche Autoritäten und gemeinste Vorwürfe an mich zu akzeptieren. Dieser Charakterzug wurde mir immer wieder zum Verhängnis. Wo sich hier wohl die hochgepriesene Demokratie versteckt? Und wo die offene wissenschaftliche Diskussion? Im Reich der neuen Professoren gibt es keine Demokratie und kaum offene Diskussionen. Professoren erheben einen Anspruch auf totalitäre Machtausübung. Wie treffend formulierte jener liebenswerte Professor, dessen Autorität ich auf ganz natürliche Weise anerkannte, weil er ganz einfach eine kluge, fachlich und menschlich vernünftige Persönlichkeit darstellt, die Starallüren seiner zumeist jüngeren Kollegen: „Die Institute gehören dem Staat. Aber ganz viele Professoren betrachten die Institute als ihr Privateigentum und benehmen sich auch so.“ Dies rührt auch daher, dass der Staat, seine Politiker, Bürger und Institutionen, ihre Professoren zwar gut bezahlen, sie jedoch in keinerlei Weise weder fachlich noch hinsichtlich ihres Sozialverhaltens kontrollieren. Gleichzeitig mit ihrer Erhebung in den Professorenstuhl erhalten sie einen Freibrief auf Lebenszeit. Die Angestellten eines wissenschaftlichen Institutes dagegen reflektieren den Typ des braven Staatsbürgers, „des kleinen ängstlichen Menschen, der nie aufbegehrt, immer wartet, sich einrichtet, keinen Widerstand leistet“ [3]. In einer aktuellen Ausgabe einer deutschsprachigen naturwissenschaftlichen Zeitschrift fragt ein Autor, warum Wissenschaftler nicht streiten, nicht einmal dann, wenn es um eine große Sache geht (im zitierten Fall geht es um die Zugrunderichtung der Erde durch die vielfältigen menschlichen Aktivitäten) [25]. Ich habe in meiner gesamten, fast fünfzehnjährigen wissenschaftlichen Laufbahn nicht ein einziges Mal erlebt, wie Wissenschaftler um eine große Sache stritten. Wenn es denn mal um etwas Großes ging, und das kam äußerst selten vor, begegnete mir entweder die blanke Ignoranz oder dieses verächtliche, von Kopfschütteln begleitete „mmh“. Meine Wissenschaftlerkollegen stritten sich ständig um die Beherrschung von Laborräumen und Geräten, um die Verteilung von Institutsfinanzen und Arbeitsaufgaben, aber niemals um große Sachen, denn ihr Horizont endet ganz nah an der Grenze des eigenen Erfolgs und des Ansehens und der Angst vor dem Ende des Arbeitsvertrages, und um Ersteres zu erlangen und Letzteres zu vermeiden, muss der Wissenschaftler absolut konform gehen mit der öffentlichen Meinung über Fortschritt, Wohlstand und Marktwirtschaft.
I.VI Ein kurzes Aufflammen guter wissenschaftlicher Arbeit
Nun durfte ich wieder einen neuen Arbeitsvertrag unterschreiben. Dieser umfasste eine Dauer von neun Monaten, denn diese begrenzte Zeitspanne entsprach der noch verfügbaren Restlaufzeit des Projektes, welches wie dereinst am ungrünen Pflanzeninstitut vom BMBF finanziert wurde. Das Thema war wieder ein ganz anderes, womit ich bisher noch nie in Berührung geraten war. Es ging um Grundwasserkontaminationen von Rüstungsaltlasten. Zu einem solchen belasteten Standort fuhren wir ab und zu zur Besichtigung einer Wasserreinigungsanlage sowie zum Abholen von Proben. Zwei kleine umwelttechnologische Firmen waren mit in diesem Projekt involviert. Vom ersten Tag an fühlte ich mich sehr wohl. Die fachliche Aufgabenstellung gefiel mir sehr gut, so dass ich mich auch schnell einfinden konnte. Kaum zu glauben: die Arbeit machte wieder Spaß. Nach Extraktions- und Anreicherungsschritten der interessierenden Analyten aus Rohwässern und aus technisch aufbereiteten Wasserproben führte ich flüssigchromatografische Trennungen mit anschließender massenspektrometrischer Detektion durch. Wir suchten nach Art, Struktur und Eigenschaften der enthaltenen Sprengstoffe und ihrer Umwandlungsprodukte. Viele der Substanzen entfalten umwelttoxikologisches und krebserregendes Potential. Ich entwickelte und optimierte die genannten analytischen Verfahren hinsichtlich quantitativer Konzentrationsbestimmungen.
Mit der Zeit stieg mein Ehrgeiz, den alten und neuen Kollegen zu zeigen, dass ich nicht der unmögliche Trottel war, wie es MoP überall verkündete. Irgendwie lief es auch gut. Der Umgang in der kleinen Arbeitsgruppe war sehr freundschaftlich und erinnerte mich an meine angenehme Doktorandenzeit. Der emeritierte Professor wie auch die anderen Kollegen waren nicht aus den westlichen Bundesländern eingewandert, sondern stellten allesamt DDR-Relikte dar. (Im Kapitel I.III versuchte ich die Problematik der von westdeutschen Kollegen verursachten Veränderungen des Wissenschaftssystems zu erläutern.) Ein guter Geist wehte in den Räumen, der geprägt war von Kollegialität, Humor und fachlicher sowie menschlicher Aufgeschlossenheit. Ein wenig wehte dieser Geist auch in das mit Großgeräten voll gestopfte Messlabor herein, in welchem ich eingezwängt zwischen brummenden Maschinen meine Tage fernab von Sonnenlicht und frischer Luft verbrachte.
Im Hintergrund agierten noch immer MoP und seine manipulierten Handlanger. Die psychologischen oder besser psychotischen Strukturen an einem Institut können außerordentlich verworren sein. So gab es eine Kollegin in der sogenannten Serviceabteilung, welche MoP zugeordnet war, aber mit ihrer brummenden Gerätesammlung in einem anderen Gebäude Unterschlupf gefunden hatte. Vor dieser ebenfalls promovierten, etwa 40-jährigen Dame warnten mich meine alten Kollegen aus der Doktorandenzeit, dass der Umgang mit ihr nicht einfach sei. Da aber auch sie genau wie ich unter MoP litt, vereinten wir uns noch während meiner Zugehörigkeit zum vom MoP geleiteten Institut zu gemeinsamen Mittagspausen, und ich wiegte mich in dem Glauben, wir verstünden uns gut. Sie erzählte mir ellenlange Geschichten aus ihrem privaten und sonstigen familiären Umfeld in größter Ausführlichkeit und Vertrautheit, weshalb ich oftmals Mühe hatte, unsere Mittagspause rechtzeitig zu beenden, um mich wieder in die vom MoP bewachten Labore zurück zu begeben. Diese vermeintlich gute Beziehung hielt auch noch eine Weile an, als ich in die neue Arbeitsgruppe gewechselt war. In meinem Vertrauen wandte ich mich gern an die im Umgang mit den Geräten erfahrenere Kollegin. Sie betreute auch das Gerät, an welchem ich die mit diversen Chemikalien belasteten Umweltproben messen sollte. Doch nach nicht allzu langer Zeit spürte ich ein seltsames Kippen ihrer Gesinnung. Gerade so, als wäre sie von der charmanten Art des MoP angesteckt worden, legte sie mir meine fachlichen Fragen als Unkenntnis und Ungeeignetheit zur Last. Durch solche, sich überall wiederholende, zeit- wie nervenraubende Sticheleien hinderte man mich immer wieder am wissenschaftlichen Arbeiten statt dieses zu unterstützen. Überall wird die so wichtige fachübergreifende Diskussion zwischen hochspezialisierten Wissenschaftlern gelobt. Mir aber entschleierte sich auf meiner Irrfahrt durch Institute und Arbeitsgruppen verschiedenster Ausrichtung ein ganz anderes Bild: wenn du Neuling bist an einem Institut -und das bist du bei dem üblichen Stellenhüpfen ständig- wage nicht, alteingesessene Kollegen um Rat zu fragen, und erst recht nicht den Professor. Dein Fragen könnte Verdacht erregen, du seiest nicht qualifiziert genug und darum ungeeignet für die Besetzung der Stelle. Dabei ist es schier unmöglich, bei der extremen Spezialisierung, die man sich gezwungenermaßen auf den üblichen Forschungsprojekten erwirbt, das komplette, für eine nachfolgende Arbeitsaufgabe notwendige Spezialwissen von Vornherein mitzubringen. Bereits andere Autoren bemerkten, dass das wissenschaftliche System jeden einzelnen Wissenschaftler zu extremem Spezialistentum zwingt und ihm die Zeit raubt, sich mit anderen Spezialgebieten zu beschäftigen, die nicht zu seinem aktuellen Fachgebiet gehören. Versuchte er Letzteres dennoch, so wird ihm dies sogar übel genommen und man wirft ihm „unwissenschaftlichen Dilletantismus“ vor [12]. Ganz besonders kriminell wird es, wenn man – und dieser Trend verstärkt sich mit der Geräteabhängigkeit der Naturwissenschaft – zum Gerätebediener degradiert wird. Jedes Gerätesystem erfordert eine komplett neue Einweisung für den Benutzer. Tage- bis wochenlang quält man sich mit dicken Benutzerhandbüchern und erlangt doch nicht die Sicherheit, die man durch direktes Demonstrieren eines erfahrenen Nutzers hätte in viel kürzerer Zeit erwerben können. Wenn Großgeräte wie diverse Spektrometer oder deren Kopplungen mit Trennanlagen (ebenfalls große Kästen mit Flaschen obendrauf oder unten drin) von einem Institut neu angeschafft werden, bieten die Gerätehersteller in der Regel eine mehrtägige Schulung für die zukünftigen Gerätenutzer an. Kommt man nun zu späteren Zeiten als neuer Mitarbeiter ans Institut, bekommt man die wichtigsten Anklicksymbole am Steuerungscomputer und ein paar Regulierungsknöpfe an den