Jo Caminos

Tödliche Geschwister


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Wenn ihr wisst, was …“

      „Wissen wir“, entgegnete Sheila schnell. „Also dann, viel Spaß und guten Grusel. Man sieht sich …“ Sie zog Sandra von Trish und Eugene weg.

      Nur wenige Leute standen vor dem Eingang des Kinos. Obwohl es Freitagabend war, herrschte nur geringer Publikumsverkehr. Auch im Foyer waren nur wenige Kinobesucher zu sehen.

      „Das war vorhin nicht nett von dir“, meinte Sandra etwas pikiert, als Sheila ihr kurze Zeit später die Kinokarte reichte. Sie orientierten sich nach rechts. Lunatics on Highway 61 lief in einem der kleineren Kinosäle, offensichtlich war der Film doch nicht der große Erfolg. Sheila grinste innerlich. Vielleicht gab es auch zu viele Menschen mit Herzproblemen … Wäre doch cool, wenn am Ende der Vorstellung lauter Leichen in den Sesseln hängen würden. Sie musste sich eine Notiz machen, nicht, dass sie diese Idee vergaß - das war Stoff für eine der nächsten Kurzgeschichten - oder ein Roman? Man würde sehen. Sie kicherte. Sandra schenkte ihr einen skeptischen Blick. Ich weiß auch nicht, Sheila wird immer seltsamer. Es wird wirklich Zeit, dass ich ausziehe. Langsam wird sie mir unheimlich. Ein ungefähr achtzehnjähriger Hispano kontrollierte die Karten. Er lächelte Sandra zu, doch als er Sheila erblickte, entglitten ihm förmlich die Gesichtszüge. Fette Tonne, konnte Sheila ihn fast denken hören. Ach, Bubi, dir würde ich auch gerne mit dem Messer helfen. Hier ein feiner Schnitt, da noch einer. Vielleicht klappt´s dann mit der Höflichkeit … Was soll´s? Sie würde heute Abend schon noch auf ihre Kosten kommen. Obwohl - Trish und Eugene saßen in der letzten Reihe … Sheila grollte innerlich. Verdammt, vielleicht würde es heute Abend doch nichts damit werden, Sandra ins Jenseits zu befördern.

      Nein, nein, nein - du musst sie loswerden, verdammt! Sheilas Blick ging für einen Moment ins Leere. Sie musste an die Augen des hageren Mannes denken, den Trish im Schlepptau hatte: Eugene, Schätzchen …

      „Hast du gehört?“, setzte Sandra nach. „Musst du denn immer so garstig sein? Trishs Werbeagentur läuft wie geschmiert. Ich will es mir mit ihr nicht verderben. Du hast es doch mitbekommen! Bei Trish ist ein Job für mich drin. Dann wäre ich wenigstens nicht mehr ständig pleite. Du hältst mich ja an der kurzen Leine …“

      „Sicher, ein gut bezahlter Job wäre was Feines für dich, Herzchen …“, entgegnete Sheila lächelnd. Sie war hier, sie war jetzt, sie war klar. Die Stimmen waren verstummt. Sie strich Sandra sanft über die Wange. Aber nicht mehr in diesem Leben …

      3. Kapitel

      „Popcorn, Chocolate Chips, Bonbons …“ Sandra war sprachlos, als Sheila mit ihrem Proviant für den Film zurückkam. Der Kinosaal, in dem Lunatics lief, war nur spärlich besucht. Sheila und Sandra saßen ziemlich nahe bei den Notausgängen in der drittletzten Reihe. In den vorderen Reihen unterhielten sich lautstark einige Jugendliche. Einige lachten lauthals, zwei Pärchen küssten sich, als gelte es, einen Rekord im Dauerknutschen einzustellen.

      Trish und Eugene hatten mittlerweile in der Mitte der letzten Reihe Platz genommen. Trish winkte kurz herüber, wandte sich dann aber wieder Eugene zu. Sie schienen sich zu küssen.

      Sheila ignorierte Sandras Vorwürfe und ließ sich auf ihren Sitz plumpsen. Zu eng, wie immer … „Hier, nimm mal die Flasche, sonst fliegt das ganze Zeugs noch runter! Die Tischchen sind ja idiotisch klein. Wohl für Zwerge gedacht …“

      Sandra schüttelte unwillig den Kopf, nahm dann aber die Cola entgegen und trank einen kleinen Schluck, obwohl sie nicht wirklich durstig war. Wenigstens war das Zeugs kalt.

      „Huhu“, rief Trish noch einmal, als die Lichter gedimmt wurden. „Ich glaube, ich werde mich ganz fest an Eugene klammern. Nicht wahr, Eugene, Schätzchen? Du passt doch auf mich auf, wenn es zu gruselig wird?“ Der Mann nickte lächelnd. Sandra winkte kurz zurück, Sheila reagierte nicht. Sie griff in die Packung mit den Chocolate Chips und stopfte sich einige davon in den Mund. Lecker … Gott, was hatte sie für einen Hunger. Sie fieberte innerlich auf den Moment hin zu, wenn es endlich so weit sein würde. Ja, ja, bald, so bald! Die Stimmen nervten. Sheila kannte das. Immer, bevor sie jemandem an die Kehle ging, drehten die Stimmen in ihrem Innern durch, so, als könnten sie es kaum erwarten. Es war schon ziemlich nervig. Aber jetzt dauerte es ja nicht mehr lange, dann könnte sie Sandra die Kehle durchtrennen. Sandra würde glucksen, nach Luft schnappen. Und langsam würde das Leben aus ihr herauslaufen.

      Sheila trank einen Schluck Cola und sah ihre Freundin von der Seite her an. Ein unglaublicher Hass stieg in ihr hoch. Sollte sie wirklich nur einen schnellen Schnitt setzen? Dann wäre es ja gleich vorbei. Sandra würde ja fast nichts davon mitbekommen, dabei sollte sie doch leiden. Ja, quieken sollte das Miststück. Quiek, quiek und oink, oink. Das liebte Sheila.

      Die ersten Werbetrailer flimmerten über die Leinwand. Die Jugendlichen auf den vorderen Plätzen gaben noch immer keine Ruhe. Einige von ihnen ließen sich lautstark über dieses und jenes aus. Ein dunkelblonder Hüne war aufgesprungen und hampelte in Tarzan-Pose vor den Sitzen herum, dann setzte er sich wieder hin. Einige der Jugendlichen grölten. Sheila kam langsam in Fahrt. „Wenn der Film losgeht, haltet ihr da vorne die Klappe, oder ich komme mal kurz zu euch hin!“, rief sie den Jugendlichen zu. Einer der Jungs zeigte ihr den Stinkefinger. Sheila erwiderte die Geste und ergänzte sie noch um eine gewisse Handbewegung, die Männer bei der Selbstbefriedigung benutzten. Der Junge sah ziemlich verdattert aus, aber wenigstens herrschte jetzt Ruhe.

      „Blöde Kuh“, sagte ein anderer junger Mann, der etwas weiter außen saß und in ihre Richtung blickte. Besonders mutig schien er nicht zu sein, denn als Sheila ihn böse ansah, legte er der hübschen Blondine neben sich schnell den Arm um die Schulter und wandte sich um.

      Die würde mir auch gefallen, dachte Sheila innerlich seufzend. Aber ich bin zu fett und vor allem zu hässlich. Das Leben war wirklich ungerecht.

      „Sei nicht immer so vulgär“, sagte Sandra kopfschüttelnd. Sie wirkte etwas angesäuert, was Sheila allerdings nicht störte. Nicht mehr, denn bald würde Sandra nur noch als schlaffes, ausgeblutetes Dummchen im Sitz hängen. Ziemlich tot und ziemlich blutleer … Sheila musste grinsen und lehnte sich im Sitz zurück. Verdammt, war der Sitz vielleicht eng.

      Der Vorspann lief. Eine minimalistische Musik setzte ein.

      „Ich bin der Ripper, hua, hua …“, kam es aus den vorderen Reihen. Die Jugendlichen lachten.

      Sheila deutete die Geste an, jemandem die Kehle durchzuschneiden, als zwei der Jungs sich grinsend nach ihr umdrehten.

      Sheila machte ein grimmiges Gesicht und tat so, als würde sie aufstehen und nach vorne kommen. Die beiden Jungs wandten sich umgehend wieder der Leinwand zu.

      „Chocolate Chips?“, flüsterte Sheila Sandra ins Ohr, die jedoch lediglich den Kopf schüttelte und wie gebannt zur Leinwand sah. Die blöde Kuh will ihre Henkersmahlzeit nicht … Dummes Mädchen, dumm, dumm. Sheila bemerkte, dass die Augen ihrer Freundin glänzten. Das blöde Miststück fährt wirklich voll auf diesen verschissenen Goldstein ab! Ich glaub´s ja nicht. Der Schauspieler hatte soeben seine erste Großaufnahme: dunkles Haar, tiefblaue Augen und ein unverschämt anziehendes Lächeln. Er und eine hübsche Blondine hatten ihren Wagen auf einem Parkplatz abgestellt und standen kurz davor, ein Motel zu betreten. Die Dämmerung brach herein. Nebel kroch von der linken Seite ins Bild. Ein Filter sorgte für einen Sepiaeffekt. Das Geräusch eines pochenden Herzens wurde der Musik untergelegt. Bumm, bumm, bumm …

      So ein Blödsinn, dachte Sheila. Schon tausendmal gesehen. Einfach nur billig. Es war Zeit, Sandra in Scheiben zu schneiden. Ja! Quiek, my darling, quiek.

      Warte noch, Sheila! Nein, mach´s endlich! Die Stimmen redeten durcheinander. Sheila sah hin und wieder zurück in die letzte Reihe. Ihr war, als würde ihr der Mann neben Trish seltsame Blicke zuwerfen. Machte er sie etwa an? Das hätte gerade noch gefehlt! Die Stimmen lachten. Oh, fettes Sheilalein, jetzt lass mal gut sein. Nein, nein! Verliebt in sie war er bestimmt nicht. Was interessierte ihn dann? Zumindest hatte er sie nicht abfällig gemustert. Nicht dieses: