Jo Caminos

Tödliche Geschwister


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musste Sheila zur Toilette. Ich halte das nicht mehr aus! Sie zitterte vor Erregung. Es war so weit. Die ganze Zeit über, während sie neben Sandra saß, hatte sie an nichts anderes mehr denken können. Dazu die verrückten Stimmen. Der Hass drohte sie zu überwältigen. Er nagte an ihr, drohte, sie wahnsinnig werden zu lassen. Sie würde schneiden müssen. Es durfte nicht noch länger dauern. Jetzt, jetzt … Tief ins Fleisch, dann noch ein Schnitt. Sandra hatte es verdient. Sheila saß keuchend auf dem Toilettensitz. Kalter Schweiß perlte auf ihrer Stirn. Du hättest es schon längst tun sollen! Du quälst dich nur selbst! Die Handtasche mit dem Messer war im Kinosaal geblieben. Konzentriere dich! Geh zurück! Schneide ihr die Kehle durch! Dann kehrst du aufs Klo zurück und wartest. Stell dir vor, wie die Leute schreien werden, wenn sie Sandra entdecken! Sheilas Blick ging ins Leere. Es war noch zu früh. Sie hatte keine Lust, die ganze Zeit hier auf dem Klo zu warten. Sie musste sich bis kurz vor Ende des Films gedulden. Sie dachte an das Messer. Es erschien vor ihrem inneren Auge. Die glänzende Klinge, so edel, so rein, so tödlich. Sie liebte Messer, sie verliehen ihr Macht. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann das jemals anders gewesen war. Sie bevorzugte von jeher Messer für ihre Strafaktionen. Aber zur Not tat es natürlich auch eine Axt oder eine Säge. Nur, die passten so schlecht in die Handtasche. Was wollte man da machen? Okay, Baby! Nicht mehr lange, Sandra - und du wirst bluten …!

      4. Kapitel

      Als Sheila langsam durch die nur spärlich besetzte Reihe zurückging, bemerkte sie sofort, dass etwas nicht stimmte. Zuerst hatte sie sich gefragt, warum sich ihre Erregung so plötzlich gelegt hatte, das war atypisch. Normalerweise hielt sie die Spannung, bis es vorbei war. Sandra saß mit nach vorne geneigtem Kopf in ihrem Sitz, doch ihr Körper wirkte irgendwie lasch, fast so, als würden nur noch die Armlehnen verhindern, dass sie zu Boden glitt.

      Wie durch Zufall sah Sheila kurz zu Trish und Eugene. Trish schien sie überhaupt nicht wahrzunehmen. Sie saß wie gebannt in ihrem Sessel und sah mit schreckgeweiteten Augen zur Leinwand. Eugene dagegen grinste in Sheilas Richtung. Er wirkte geradewegs so, als wollte er sagen: „Pech gehabt, ich war schneller, Schätzchen!“

      Sheila blieb neben Sandra stehen. Selbst im Halbdunkel des Kinosaals war der sauber gesetzte Schnitt zu erkennen, der ihr die Kehle durchtrennt hatte. Das Herz schlug Sheila plötzlich bis zum Hals. Das war Eugene! Er hat Sandra die Kehle durchgeschnitten, während ich auf dem Klo war! So ein Dreckskerl! Ich habe es gewusst! Sie wandte sich etwas zur Seite und blickte erneut zu Trish und Eugene. Er grinste breit und warf Sheila im Halbdunkel einen Kuss zu.

      Dieser elende Hundesohn! Hat mich um meinen ganzen Spaß gebracht. Was sollte sie jetzt tun? Schreien? Heulen? Einen Aufstand provozieren? Sie sah erneut zu Eugene, der sich erhoben hatte und offenbar nach draußen gehen wollte. Musste er aufs Klo? Trish saß noch immer mit schreckgeweiteten Augen in ihrem Sitz und schien nichts um sich herum mitzubekommen. Was war da mit ihrer Körperhaltung? Mit einer schnellen Kopfbewegung gab Eugene Sheila Zeichen, ihr zu folgen. Sheila schluckte. Sie griff nach ihrer Handtasche, in der sich das Messer befand, und presste sie sich gegen den üppigen Busen. So ein Schlamassel. Der Kerl hatte ihr den schönen Abend versaut! Was heißt schön?, giftete eine Stimme in ihr. Hätte schön werden können, dumme Nuss! Eugene hatte den Kinosaal mittlerweile verlassen. Sheila zögerte für einen Moment, dann ging ein Ruck durch sie - und sie folgte ihm nach draußen. Außer Eugene hielt sich niemand im Gang auf. Dämmerlicht aus einigen indirekten Lichtquellen erhellte den leicht ansteigenden Korridor. Aus einem der Nachbarsäle war das Gewummere der Lautsprecher bis vor die Tür zu hören. Offensichtlich spielte man dort irgendeinen Action-Streifen.

      „Das warst du!“, stieß Sheila hervor, die ganz nahe an Eugene herangetreten war. Diese Augen, diese verdammten Augen, das kannte sie doch …

      Eugene nickte begeistert. „Schneller Schnitt, war ganz einfach. Es hat flutsch gemacht, dann hat sie kurz geröchelt - und das war´s dann … Sandra war wirklich eine selten dämliche Kuh. Sie hat mich bei Trish angeschwärzt und gemeint, ich hätte es nur auf Trishs Kohle abgesehen. Sei mir bitte nicht böse, ja?“

      Er sah sie an wie ein kleiner Junge. Für einen Moment schien es, dass seine Augen eine noch dunklere Tönung angenommen hatten.

      „Ach, und deshalb schneidest du ihr so einfach die Kehle durch?“, zischte Sheila.

      „Klar. Und sag jetzt bloß nicht, dass du etwas dagegen einzuwenden hast! Ich erkenne Menschen mit unserem Blick. Ich kann sie förmlich riechen.“

      „Wie meinst du das?“ Sheila konnte sich die Antwort denken, trotzdem wollte sie es von ihm hören. Erkennen, erkennen, erkennen!, echoten die Stimmen in ihr.

      Eugene grinste breiter. „Du bist wie ich. Wir brauchen den Kick, das meine ich. Oder stimmt das etwa nicht?“

      Sheila schluckte. Bisher hatte sie immer gedacht, einzigartig zu sein - einzigartig mit diesem Verlangen, jemanden ins Jenseits befördern zu müssen. War wohl ein Irrtum gewesen …

      Okay, sagte sie sich. Spiel mit! Irgendwie spürte sie da tatsächlich eine Art Seelenverwandtschaft. Sie konnte es in Eugenes dunklen Augen sehen. Da war etwas Abgrundtiefes und Unergründliches. Ja, das war es. Die Tiefenessenz des Seins. Das Raubtier in ihr, das hin und wieder freigesetzt werden musste. Sie hatte es zum ersten Mal in sich verspürt, als sie ihre Mutter ins Jenseits befördert hatte. Ach ja, da war ja noch Jason von der Highschool. Obwohl - bei ihm war es ja fast ein Versehen gewesen. Er hatte fummeln wollen - sie nicht. Er hatte nicht hören wollen - und was konnte sie dafür, dass ihr dann die Hand mit dem Messer ausgerutscht war? Selber Schuld, dieser Schwachkopf.

      Für Momente sahen Eugene und sie sich tief in die Augen. Dann zeigte Eugene auf ihre Handtasche. „Hast du das Messer da drin - oder etwa im Vorführraum gelassen?“

      Sheila schenkte ihm einen nachdenklichen Blick. „Für wie blöd hältst du mich? Natürlich in der Handtasche.“

      „Gut. Dann wird es Zeit, dass wir hier verschwinden. Trish habe ich als Erste abgefertigt. Die blöde Kuh hat überhaupt nichts mitgekommen. Oh, ist dieser Goldstein süß! Eugene, Schätzchen, komm küss mich, schnell. Küss mich!, waren ihre letzten Worte. Ratz, das erste schnelle Schnittchen - und dann war Ruhe.“

      „Du hast Trish auch …?“ Sheila riss die Augen auf. Langsam wurde sie sauer. Der Kerl wollte wirklich den ganzen Spaß für sich alleine haben. Wenn er ihr schon Sandra vor der Nase weggeschnappt hatte, hätte er ihr doch zumindest Trish überlassen können. Mein Gott, wie gerne hätte sie Trish mit dem Messer bearbeitet, dieses blöde Marketing-Weib. Ein köstliches Schnittchen nach dem Nächsten. Ach, was hätte sie geschrien, die blöde Trish …

      „Was dachtest du denn? Dass ich auf diese dumme Nuss stehe? Herzchen, Trish wurde langsam zu einem Problem. Sie wollte mir kein Geld mehr geben. Hat einige Schecks von mir platzen lassen. So etwas mag ich nicht. Sandra und Trish haben nur das bekommen, was sie verdient haben. Also, was ist? Machen wir den Abgang …?“

      „Hat sie gequiekt?“, fragte Sheila mit großen Augen. Sie konnte noch immer nicht glauben, dass sie leer ausgegangen war. Was ärgerte sie sich, dass er ihr nicht auf nur ein Stückchen des Spaßes übrig gelassen hatte. In letzter Zeit lief in ihrem Leben wirklich alles aus dem Ruder. Alles ging schief.

      „Wer? Sandra oder Trish?“

      „Na beide.“

      „Nö.“

      „Nicht ein bisschen?“

      „Nö.“

      „Schade …“

      „Was willst du machen? Es musste schnell gehen. Waren ja zu viele Zeugen da!“

      Sheila war es, als erwache sie aus einer Art Trance. Was war hier los? Ach ja, die beiden dummen Tussis hingen mit durchschnittener Kehle in ihren Sitzen.

      „Wir sollten jetzt gehen“, meinte Eugene. „Oder willst du warten, bis da drinnen das Gekreische losgeht? Wenn die mitbekommen,