Jo Caminos

Tödliche Geschwister


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ein ziemlich mitgenommen aussehener Honda Civic in ehemals Rot - oder so. Er enthielt sich allerdings eines Kommentars, obwohl die Dellen und Roststellen einem förmlich ins Auge sprangen.

      Lorenzo stützte sich am Wagen ab und ächzte kurz. „Carlo und die Gang sind heute schlecht drauf, Tobey. Ich glaube, die haben es auf dich abgesehen. Hab so was läuten hören. Also, pass auf! Carlo hat einen aus seiner Gang bei einer Messerstecherei verloren. Der Arsch kocht innerlich. Du weißt, was das für dich heißt …“

      Tobey winkte ab. Heute Abend bin ich sowieso weg! Aber das würde er Lorenzo nicht sagen. Genauso wenig wie seiner Mutter. Sie würde erst wieder von ihm hören - wenn überhaupt - wenn er ein Star war. Oder vielleicht besser doch nicht: Nachher würde sie noch Geld von ihm verlangen und ihn verklagen. „Oh Herr Richter, ich arme, ich gute, ich perfekte Mutter - dieses Kind war eine Plage. Und dann noch der Vater …“

      Tobey wusste nur zu genau, was für eine geldgierige Schlange seine Mutter sein konnte. Sie hatte es fertiggebracht, sein Sparschwein zu plündern, in das Grandma Martha immer etwas hineingeworfen hatte. Arme Grandma, kein Wunder, das du schon lange im Grab liegst, bei der Tochter … Tja, leider gab es bei dir nichts zu erben. Und da sind deiner Tochter doch bei der Testamentseröffnung tatsächlich die Gesichtszüge entglitten. „Nichts!“, hatte seine Mutter gegiftet, als das Testament verlesen wurde. „Nichts!“ Dann hatte sie Tobey bei der Hand gepackt und ihn hinter sich her weggeschleift. Niemals hatte er danach irgendjemanden von seiner Verwandtschaft je wiedergesehen. Ach ja, einen Monat später war es wohl, als sein komischer Vater sich dann auf und davon gemacht hatte. So war das halt, im Leben der McDuncans …

      „Danke für die Warnung, Lorenzo. Ich werde schon auf mich aufpassen.“

      Lorenzo wischte sich über die Stirn. Der Sommer war mörderisch. L.A. brannte an etlichen Stellen. Nach wie vor war keine Wetterbesserung vorhergesagt, kein Regen in Sicht. Die Schwüle schien zwischen den Häusern zu stehen und machte die Menschen aggressiv.

      „Hast du Lust auf ein Bier. Nachher bei mir? Ich habe auch noch ein paar neue DVDs … frisch downgeloadet aus den besten Quellen. Sind auch ein paar Pornos dabei. Keine Sorge, nicht nur Homozeugs - ist auch was für dich dabei.“

      Tobey verdrehte die Augen. „Och, Lorenzo. Lass es doch bleiben, ich …“

      „Hey!“ Lorenzo hob beschwichtigend die Arme. „Soll keine Anmache sein, wirklich nicht. Nur ein Bier unter Freunden - oder zwei - völlig ohne Hintergedanken. Ich hab´s mitbekommen, dass du nicht auf mich stehst. Also, was ist?“

      Tobey schüttelte den Kopf. Komm, ratsche eine Lüge raus, das kannst du doch, das hast du doch gelernt …! „Nein, ich muss nachher noch ins Diner. Samy ist krank geworden. Ich muss für sie einspringen, sonst schmeißt mich Elroy raus. Ich brauche das Geld.“ Tobey sah hoch zum Fenster, doch seine Mutter ließ sich nicht blicken. Aber garantiert hatte sie gelauscht. Sie mochte Lorenzo nicht. „Widerliche Schwuchtel! Da könnte ich ja nur noch kotzen bei so einem Perversling …“ So oder ähnlich hatte sie sich mehr als einmal über Lorenzo ausgelassen.

      Lorenzo zuckte resigniert die Achseln. Fast tat er Tobey leid. Lorenzo war kein schlechter Kerl. Vor allem war er einsam. Und die Chancen, jemals hier aus der Gegend herauszukommen, standen mehr als schlecht für ihn. Wenigstens ließen ihnen die Gangs in Ruhe. Aufgrund seiner Behinderung galt er fast als unberührbar. „Ah. Also kein Bier … Okay.“ Lorenzo lächelte verkniffen. „Ich geh dann wieder hoch. Aber - falls du nachher doch noch Lust auf ein Bierchen haben solltest, kannst du gerne bei mir klopfen. Bei der Hitze kann doch kein Schwein schlafen.“

      Er kann es nicht lassen! Tobey lächelte. „Wird spät bei mir werden, Lorenzo, aber schauen wir mal. Also dann, bis dieser Tage.“ Oder irgendwann …

      Tobey sah Lorenzo nach, wie er zurück zu dem Seiteneingang des Mietshauses humpelte und kurz darauf darin verschwand. Irgendjemand knallte ein Fenster zu. Ein Mann schrie seine Frau an, sie kreischte zurück. Urban Life, dachte Tobey. Oder nannte man das Hölle auf Erden?

      Carlo und die Gang haben es also wieder auf mich abgesehen! Tobey schlug innerlich ein Kreuz. Der Tag für seinen Absprung hier aus L.A. hätte nicht besser gewählt sein können. Doch er schwor sich, dass dieser Arsch von Carlo Moretti irgendwann seine verdiente Abreibung bekommen würde. Nicht heute, aber irgendwann bestimmt. Nichts war vergessen. Nicht die Schläge auf dem Schulhof, nicht die Demütigungen in der Mensa - gar nichts. Vor allem brauchte Tobey Geld - Geld und Ruhm. Vielleicht würde sich Carlo ja einen Strick kaufen, wenn er mitbekäme, dass der kleine, schmächtige Tobey McDuncan zum neuen Superstar in Vegas avanciert wäre. Ja, der Gedanke gefiel Tobey.

      Hätte er gewusst, was ihn in nicht allzu ferner Zukunft erwarten sollte, wären ihm die Schikanen von Carlo und seiner Gang wie ein sanfter Windhauch erschienen - ein laues Lüftchen, mehr nicht.

      Aber das konnte er nicht wissen.

      Tobey McDuncan lächelte, als er gegen acht Uhr abends L.A. über die Interstate 15 verließ. Las Vegas war nur ungefähr 269 Meilen bzw. 433 Kilometer entfernt. Das würde selbst seine alte japanische Karre schaffen. Und dort in Las Vegas erwartete ihn ein neues Leben, eine Zukunft, die nichts mehr mit dem Hier und Jetzt in L.A. zu tun haben würde. Er freute sich auf Charlene, die er in einem Online-Chat kennengelernt hatte. Sie würde ihm in Vegas weiterhelfen. Und - vielleicht würde ja was aus ihnen. Er jedenfalls fand sie unglaublich süß.

      Tobey lag mit seinen Gedanken nicht so ganz daneben. Bald schon würde sich sein Leben vollkommen verändert haben, doch leider nicht nur zum Schönen und Guten…

      7. Kapitel

      „Hast du deine Mutter eigentlich auch ausgeknipst? Oder war das wirklich ein Unfall, als ihr Wagen über die Klippe ging? Ihre Leiche hat man nie gefunden, was?“, fragte Eugene irgendwann, als sie sich dem Grenzgebiet von Kalifornien nach Nevada näherten. Primm, die Kasinostadt, war der nächste Ort auf ihrer Route nach Las Vegas. Sie wollten dort übernachten. Die letzte Nacht und den frühen Morgen hatten sie in Barstow in Eugenes Apartment verbracht. Die Nachrichten hatten zwar über den Mord im Kino berichtet, doch es war nur eine Meldung unter vielen. Sheila galt als verschwunden, wurde allerdings noch nicht als Verdächtige bezeichnet. Einige Fotos von ihr kursierten in den Medien. Eines davon zeigte sie in jungen Jahren, kurz, bevor sie verschwand. Damals war sie sehr schlank. Woher das aktuelle Foto herkam, wusste sie nicht. Es war auf irgendeiner Party aufgenommen worden. Es zeigte die fette Sheila auf Schwergewichtsniveau. Sheila fluchte. Ihr Familienname könnte ihr zum Verhängnis werden. Mit dem aktuellen Foto alleine wäre niemand auf die Idee gekommen, dass sie die reiche Erbin von Margaux Yannovich-Elba war, die irgendwann nach dem rätselhaften Unfalltod der schwerreichen Mutter ihre Sachen gepackt hatte und über Nacht verschwunden war.

      Auch einige der Jugendlichen, die in der vordersten Reihe gesessen hatten, waren in einem der Interviews zu sehen gewesen. „Ja, neben der Ermordeten saß so eine Fette. Vielleicht war sie es…“

      Sheila hätte dem Jüngelchen zu gerne die Kehle zugedrückt für die Bezeichnung Fette, doch es spielte keine Rolle mehr. Sie würde bald schon auf ihre Kosten kommen, das wusste sie. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis sie wieder ihr Messer würde nehmen können. Trotzdem - es passte ihr nicht, dass man jetzt zu wissen glaubte, wie Sheila Yannovich-Elba nach all den Jahren aussah.

      In einer späteren Meldung war dann Eugene erwähnt worden - auch von ihm war ein Foto in den Medien erschienen. Es musste während einer Werbeveranstaltung von Trishs Agentur aufgenommen worden sein und zeigte ihn verliebt händchenhaltend mit der rundlichen Trish. Er galt jedoch nicht als verdächtig, sondern wurde nur als Lebenspartner und zukünftiger Ehemann von Trish Mulligan genannt, der ebenfalls verschwunden wäre.

      „Wie kommst du darauf, dass ich meine Mutter getötet hätte? Und woher willst du überhaupt wissen, dass ich bei einer Pflegefamilie war? Habe ich je so etwas gesagt?“, nahm Sheila den Faden wieder auf. Sie saß hinter dem Steuer. In den letzten Stunden hatte sie mehr als genügend Zeit gehabt, sich zu fragen, wie sie in diese beschissene Situation hatte