Robert Helm

Zweimal Morden lohnt sich


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ob er auch wahrgenommen wird. Ein Mittelpunktmensch, Menschenfänger und Verführer, dachte Rudolph und schmunzelte. Er nippte an seinem Wein. In dieser Sekunde realisierte er, dass dieser junge Mann auf ihn zusteuerte. Er schätzte sein Alter auf fünfundzwanzig Jahre, also zehn Jahre jünger als er. Der freie Barhocker neben ihm war offensichtlich sein Ziel. Rudolph drehte sich instinktiv weg. Er hörte die holprige spanische Bestellung eines Vino Tinto. Es musste sich um einen deutschen Landsmann handeln.

      Umso mehr erstaunte ihn, als sein Nachbar den halbblinden Lotterieverkäufer heranwinkte und für hundert Euro Lose der Weihnachtslotterie erstand. Der Halbblinde zitterte vor Glück, bedankte sich überschwänglich und verließ beschwingt den Fresstempel. Rudolph vermutete, dass sich der Glückliche früher als sonst dem Feierabend widmen würde, um sich einen guten Roten in seiner Stammbar gut schmecken zu lassen.

      „Da wäre Ihr Geld in den Köstlichkeiten dieser Halle besser angelegt.“, sagte Rudolph, der sich einen Kommentar nicht verkneifen konnte und schüttelte belustigt den Kopf.

      Der Angesprochene war immer noch dabei die Lose in seinen beiden Gesäßtaschen der sommerlich hellgelben Leinenhose zu verstauen, wandte sich ihm zu, schaute ihm offen ins Gesicht, schmunzelte spitzbübisch und antwortete: „Geht beides. Ich kann die Lotterie nur empfehlen. Sie macht Weihnachten spannend und die Familientage erträglicher.“

      „Vitus Blecher“, stellte er sich vor und streckte ihm die linke Hand zum Handschlag hin.

      Was ist denn das für eine Marotte, dachte Rudolph.

      „Ich bin immer auf der Suche nach Linkshändern. Ich schätze diesen Menschentypus sehr. Selten bin ich von diesen Menschen enttäuscht worden. Sie sind sensibel und glauben an die Macht von Heilsteinen und sind offen gegenüber den Fügungen des Schicksals.“

      Es trat eine peinliche Pause ein, die sein Gegenüber zu genießen schien.

      „War ein Scherz.“, sagte er schließlich.

      Seine grünen Augen funkelten spöttisch.

      „Rudolf Rudolph.“, erwiderte Rudolph. Bei jeder seiner Vorstellungen beobachtete er aufmerksam, wie sehr die Alliteration sein Gegenüber verwirrte oder gar verlegen machte.

      „Ihre Eltern haben aber Phantasie bewiesen. Fast so schön wie A Boy named Sue von Johnny Cash.“

      Rudolph lächelte mit einem kaum wahrnehmbaren wehmütigen Blick. Er verschwieg ihm fürs Erste, dass seine Eltern diese Namenskombination nicht in einem Anfall von missverstandener Originalität erfunden hatten, sondern dass von ihm so wenig geschätzte Schicksal. Er war ein Adoptivkind und sein Vorname lautete Rudolf. Als Kleinkind wurde er in ein gut bürgerliches Elternhaus mit Familienname Rudolph verpflanzt nach dem sich seine drogensüchtige alleinerziehende Mutter ins Fegefeuer verabschiedet und einen zweijährigen Sohn zurückgelassen hatte.

      „Ich bin zwar Rechtshänder, bevorzuge aber die linke Gehirnhälfte. Vielleicht genügt Ihnen das als Sympathiepunkt. Die Rechte dient nur dazu meinen Kopf in Balance zu halten.“

      „Was verschlägt Sie nach Madrid?“, setzte er fort, um die Kommunikation in Gang zu halten.

      „Ich bin geschäftlich hier und gehöre dem ehrbaren Berufsstand der Consultingbranche an. Man kann mich über meine Firma mieten, und ich erzähle den Mitarbeitern alles, was mein Auftraggeber verlangt. Manchmal lasse ich sie in Arbeitsgruppen ihr eigenes Todesurteil erarbeiten. Ich bin Spezialist für Rationalisierungen. Und Sie? Lassen Sie mich raten. Sie sind Banker.“

      „Richtig. Ich diene meiner Investmentbank mit dem Verkauf von Finanzprodukten, die eine hohe Marge besitzen.“

      „Für den Kunden oder für die Bank?“

      Rudolph nahm die leise Polemik seines Gesprächspartners auf. „Für meine Bank mit Sicherheit, für den Kunden nach Möglichkeit auch. Ist aber kein Muss. So ist die Philosophie unseres kundenorientierten Hauses.“

      „Verstehen Sie, was Sie verkaufen?“

      „Die meisten Produkte habe ich selbst entwickelt.“

      Rudolph bemerkte, dass er Blecher beeindruckt hatte, da dieser anerkennend nickte und seinem Gesichtsausdruck glaubte er, Bewunderung zu entnehmen.

      Mit Blick auf die beiden leeren Gläser fragte Rudolph: „Noch ein Glas Rotwein?“

      „Gerne.“

      Er bestellte ein Glas Rotwein und für sich ein Glas Wasser.

      Nach dem beruflichen Kurzcheck kam das Private dran. Lektion eins: Small Talk, dachte Rudolph und nippte an seinem Wasserglas.

      „Wo ist Ihre Heimatbasis?“

      „Ich wohne im schönsten und teuersten Großdorf Deutschlands.“

      Sein Gesprächspartner stutzte erst, begriff aber schnell.

      „Ah, was für ein Zufall. Ich lebe auch in München. Eine wunderbare Stadt. Sicher keine Metropole, da haben Sie schon recht, aber ein Flecken mit wunderbarer Umgebung.“

      Rudolph verschwieg ihm, dass er Berlin mehr als München schätzte und dort seinen zweiten Wohnsitz hatte. Blecher wechselte zum nächsten klassischen Small-Talk-Thema.

      „Sind Sie verheiratet?“

      „Nein, der Beruf erlaubt mir keine Ablenkung. Bis jetzt wenigstens. Es reicht nicht einmal für eine feste Freundin.“

      „Mir geht es ähnlich. Consultants sollten Heiratsverbot bekommen.“

      Rudolph schmunzelte und sagte: „Klare Regeln sind immer von Vorteil. Aber warum tun wir uns das alles an?“

      „Ich betrachte das als rhetorische Frage. Wir verdienen unanständig viel Geld, wenn wir unsere Bonusziele erreichen. Wir schätzen die Freiheit durch finanzielle Unabhängigkeit hoch ein. Insbesondere die vielfältigen Annehmlichkeiten, die von unseren Neidern als Statussymbole denunziert werden. Was für ein Auto fahren Sie?“

      „Einen schwarzen Panamera.“

      Rudolph bemerkte, wie Blecher zufrieden lächelte. Er fühlte sich wohl bestätigt.

      „Ich fahre eine knallrote BMW 7er Limousine mit allen Extras, die diesem Autoproduzenten je eingefallen sind. Das macht unser Selbstwertgefühl aus. Und wir lieben es. Richtig?“

      Rudolph nickte und dachte, dass macht dein Selbstwertgefühl aus. Für mich ist das Bequemlichkeit und Annehmlichkeit, die mir guttut. Ich würde das auch auf einer einsamen Insel haben wollen. Er spürte, wie sein Gesprächspartner begünstigt durch den Rotwein so richtig in Schwung kam.

      „Ich bin überzeugt, dass hart erarbeitete Privilegien auch verteidigt werden müssen, wenn sie in Gefahr geraten. Manchmal glaube ich, dass ich die Kraft dazu aufbringen könnte, sprichwörtlich über Leichen zu gehen.“

      Wieder nickte Rudolph und dachte, ich weiß, dass ich über Leichen gehen würde. Er sagte jedoch: „Man sollte sich in seiner Entschlossenheit und seinem Mut nicht überschätzen, wenn es um das Überschreiten von gesellschaftlichen Normen geht, die mit empfindlichen Strafen bewehrt sind.“

      „Sie drücken sich ganz schön umständlich aus.“, stöhnte Blecher, nahm einen weiteren großen Schluck und fuhr flapsig provozierend fort: „Man darf sich halt nicht erwischen lassen.“ Dabei grinste er Rudolph an.

      „Diese Einstellung ist typisch für Spielernaturen, die fest daran glauben, eine Glückssträhne wird vom Schicksal geschickt.“

      „Schicken und Schicksal passt doch! Was soll es denn sonst sein?“, rief Blecher.

      Leicht genervt, was sein zusammengekniffener Mund und ein kurzer hämischer Ausdruck in seinen Augen offenbarten, setzte er fort: „Eher die Wahrscheinlich-keitsrechnung insbesondere bei statistisch unabhängigen Ereignissen. Bei dem berühmten Münzwurf kann die Zahl meinetwegen fünfzigmal hintereinanderkommen, ohne dass der Gott des Schicksals besser gesagt die Göttin Fortuna eingegriffen hat. Ach lassen wir das.“

      Rudolph spürte,