Robert Helm

Zweimal Morden lohnt sich


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amüsieren. Also nichts Bestimmtes.“

      „Keinen Appetit? Ich habe Appetit. Wie wäre es mit einem gemeinsamen Abendessen?“

      „Appetit habe ich nicht, aber ordentlich Hunger.“, antwortete Blecher schmunzelnd.

      Aus Bequemlichkeit schlug Rudolph das Ritz Garden Restaurant vor. Blecher war einverstanden.

      „Das geht sich gut aus. Ich wohne im Wellington Hotel. Das liegt in der Nähe.“

      Sie konnten die Markthalle nur langsam verlassen, so dicht war das Gedränge. Die herrlichen Auslagen der einzelnen Stände waren nur noch selten zu erkennen, da ein dicht gedrängter Menschenschwarm sie fast vollständig verdeckte. Rudolph begann, sich unwohl zu fühlen. Kein ausreichender Abstand zu seinen Artgenossen, dass mochte er nicht. Vor ihm glitt Blecher elegant durch die Menge mit einem gewinnenden Lächeln und immer die hübschesten Frauen als Fahnenstangen umkurvend. Er war ihm schon zehn Meter voraus.

      Endlich erreichten sie den Ausgang. Rudolph atmete intensiv die frische Nachtluft ein und fühlte sich befreit.

      „Da war ja ordentlich was los. Vielleicht hätten wir bleiben sollen?“, gab der gut gelaunte Blecher zum Besten.

      Rudolph versagte sich eine Antwort und winkte ein Taxi heran Er gab dem Fahrer die Zieladresse an und stieg auf der Beifahrerseite ein. Blecher nahm hinter ihm Platz. Sie schwiegen während der kurzen Fahrt.

      Rudolph schaute nachdenklich aus dem Fenster und erwog die Umsetzung einer Idee, die er schon lange mit sich herumtrug, aber zu deren Verwirklichung er einen Partner brauchte. Er hatte seinen Einfall das zweite Ich getauft. Der Erfolg seiner Idee hing davon ab, dass die Bekanntschaft und Zusammenarbeit zwischen zwei Personen der Umwelt verborgen blieb. Diese Zusammenarbeit konnte er sich auf den verschiedensten Gebieten vorstellen, angefangen von Insidergeschäften bei Finanztransaktionen bis hin zu Gewaltstraftaten, die das zweite Ich ausführte zum Vorteil seines Alter Ego. Die Strafbehörden mit ihren üblichen Aufklärungskriterien wie Alibi und Motiv würden ins Leere laufen.

      Allerdings bedeutete die Grundannahme dieser Idee, dass er sich sehr früh einem möglichen Partner offenbaren musste. Wartete er zu lange, um die Eignung des Partners einzuschätzen, riskierte er, dass die Beziehung öffentlich wurde. Und seine strafbewehrten Aktionen drohten aufzufliegen. Nie und nimmer darf mir das passieren, dachte Rudolph.

      Angekommen, fragte er nach einem Platz für zwei Personen im Jardin Hotel Ritz, dem Goya Restaurant. Die junge Empfangsdame am Eingang des Goya Restaurants hatte nur Augen für seine Begleitung und Blecher schien es zu genießen.

      „Aber sicher.“, flötete sie und nahm mit Schwung zwei Speisekarten. Sie bot drei freie Tische zur Auswahl an und Rudolph wählte den etwas abseits ruhig gelegenen Tisch.

      Sie machten es sich in den Korbstühlen gemütlich. Der herbeigeeilte Kellner ging mit dem Auftrag ein exzellentes Glas Champagner, einen ordentlichen Malt Whiskey und eine große Flasche Wasser zu besorgen. Schweigend und konzentriert prüfte Rudolph die Speisekarte.

      „Ich schlage einen St. Peter Fisch in Salzkruste vor, das reicht für uns beide. Kann ich nur empfehlen.“

      „Einverstanden.“, erwiderte Blecher, „falls wir uns auf eine Tortilla als Beilage verständigen können.“ Rudolph gab die Bestellung für beide auf, als der Kellner die bestellten Getränke und rohe Lachshäppchen servierte. Er hätte es gerne bei einem Salat als Beilage belassen. Low carb, aber er widersprach nicht.

      Mit vollem Mund erzählte Blecher: „Ich bin Diplom-Psychologe. Meine Helden in der Studentenzeit waren die Verhaltensforscher, die mit Beobachtungen und klugen Versuchsanordnungen bei Mensch und Tier die Triebfedern ihrer Beobachtungssubjekte freilegten. Ihre Erkenntnisse sind Grundlage mehr oder weniger erfolgreicher Manipulationen von Individuen und Massen geworden. Erfolgreiche Werbung wäre ohne diese Vorarbeiten undenkbar. Natürlich gehört auch persönliche Begabung und Eignung dazu, Menschen zu führen und verführen.“

      Rudolph dachte, dass ihm so ein Menschenfänger und Verführer gegenübersaß. Er beobachtete seine Gestik und Mimik. Er sah einen lebhaften extrovertierten Menschen vor sich, dessen Körpersprache nicht einstudiert wirkte und der sich ganz auf ihn konzentrierte.

      „Ich unterhalte gerne mein Gegenüber oder ganze Gruppen. Es strömt nur so aus mir heraus. Einmal habe ich einen teuren Kursus in Rhetorik belegt und ihn nach der zweiten Runde enttäuscht verlassen. Ich wusste schon alles instinktiv. Es ist mir sozusagen angeboren.“

      Rudolph sagte provozierend:“ Diese Begabung bewundere ich so sehr, dass ich davon träume, sie durch ein Computerprogramm ersetzen zu können.“

      „So ein Quatsch!“

      „Doch. Ich werde Sie arbeitslos machen.“

      „Das glaube ich erst recht nicht!“

      „Ich sage nur Digitalisierung.“

      Blecher lachte herzlich. „Das kann ich in meinem beschwingten Zustand ja kaum unfallfrei aussprechen.“

      „Die Digitalisierung ist die große Zukunft, sie wird die Politik sowie das Geschäfts- und Privatleben revolutionieren. Das Verhalten der Menschen wird erkennbar und damit auch steuerbar. Die Suchmaschinenbetreiber und sozialen Plattformen wie Google und Facebook sammeln und speichern jeden Tag vierundzwanzig Stunden lang Informationen ihrer Nutzer. So entsteht ein unermesslicher Datenraum, den entsprechende Algorithmen nutzen können, um für einzelne Personen, deren Charakter, Wünsche und Sehnsüchte erkennbar und nutzbar zu machen.

      „Schon wieder ein Begriff, der meine Zunge verknoten könnte. Dieser Algorithmus.“

      „Formeln, Berechnungsverfahren verfeinert mit Wahrscheinlichkeitsrechnung.“

      „Ja, ich weiß. Nur neu für mich ist, dass ihr Mathematiker offensichtlich glaubt, die Arbeit der Psychologen erledigen zu können.“

      „Das erwarte ich.“

      „Oh, ich werde durch Formeln und Wahrscheinlichkeitsrechnung ersetzt. Den Kampf nehme ich auf.“ Blecher lächelte herausfordernd und zeigte seine zwei Grübchen in voller Tiefe und Schärfe.

      „Ich gebe es zu, es ist noch ein weiter Weg dahin.“, beschwichtigte Rudolph und lieferte weitere Argumente, warum es so kommen musste. Es gab Antriebsfedern wie Schutz der Bürger vor Terrorismus oder Schutz der Regierungen vor ihren Wählern und so weiter und so weiter. Der Abend im Restaurant verging wie im Flug und neigte sich langsam dem Ende zu als Rudolph plötzlich das Thema wechselte.

      „Ich trage diese Idee schon eine ganze Zeit mit mir herum, habe aber noch keinen Partner gefunden. Vielleicht hat mich das Schicksal heute den richtigen treffen lassen.“ Das mit dem Schicksal kommt bei ihm bestimmt gut an, dachte er.

      „Um was geht es denn?“

      „Ich möchte Ihnen einen lukrativen Vorschlag unterbreiten. Es mag seltsam klingen, eröffnet aber ungeahnte Möglichkeiten.

      Wir sollten unsere Bekanntschaft exklusiv halten.“

      „Wie meinen Sie das?“

      „Keiner erfährt, dass wir uns kennen.“

      „Ach, und wieso?“

      „Zum Beispiel Insidergeschäfte. Aber wer weiß was die Zukunft bringt? Vielleicht fallen uns noch Projekte ein, die wir zusammen durchziehen können, wobei es sehr hilfreich ist, dass keiner über unsere Beziehung, unser abgestimmtes Handeln, Bescheid weiß.“

      Rudolph spürte förmlich, wie die anfängliche Verunsicherung seines Gesprächspartners in spitzbübisches Einverständnis umschlug.

      „Wie kommunizieren wir unerkannt?“, fragte Blecher.

      „Gute Frage. Informieren Sie sich über den TOR Browser und richten ihn ein. Übrigens kostenlos und einfach zu bewerkstelligen. Ich werde mich in ungefähr zwei Wochen über diesen Weg melden.“

      Blecher nahm eine Papierserviette als Notizzettel. Er brauchte drei Versuche bis sein Stift funktionierte und er den Namen des