Robert Helm

Zweimal Morden lohnt sich


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verabschiede mich und gehe den kurzen Weg zu meinem Hotel.“ Dann lächelte er seinen neuen Partner leutselig an und fuhr fort: „Das war ein überraschend spannender Abend.“

      Rudolph nickte und bemerkte, dass er ihm die rechte Hand zum Abschied hinhielt, die er fest einschlug.

      „Auf eine aufregende und ertragreiche Zukunft.“

      Rudolph schaute Blecher nachdenklich nach, wie er den Restaurantgarten verließ. Dieser streckte den linken Arm nach oben und winkte mit der Hand ohne sich umzudrehen. Er fühlte sich ertappt. Auf dem Weg zu seiner Suite fragte er sich, warum er dieses Angebot der Exklusivität gerade diesem Mann so schnell unterbreitet hatte. Er trug schon lange diese Idee mit sich herum. Die geheime und auf gegenseitigem Vertrauen basierende Bekanntschaft zweier Menschen eröffnete aus seiner Sicht ungeahnte Möglichkeiten. Immer wieder schwebten ihm Situationen vor insbesondere im Finanzgeschäft wie Insiderhandel oder Front Running mit zwar illegalen aber höchst profitablen Geschäften. Und er war gespannt, welche Ideen ihm sonst noch einfallen würden.

      Er öffnete mit einer Magnetkarte die Tür zu seiner Suite, ging ins Bad und zog sich langsam aus, legte alles sorgfältig an seinen Platz, legte sich nackt ins Bett und schlief sofort ein.

      Er stand um sechs Uhr auf und suchte den Fitnessraum auf. Die Waage im Bad seines Hotelzimmers hatte vorne eine acht gezeigt. Ein Alarmzeichen, welches er nicht ignorieren konnte. Sein Body-Mass-Index lag jetzt bei 26.4. Über fünfundzwanzig. Zwar stimmte der Hinweis, dass Sportler aufgrund ihrer größeren Muskelmasse oftmals einen BMI über fünfundzwanzig hatten und in diesen Fällen kein Übergewicht vorlag. Aber seine Ansprüche an sich selbst waren hoch. Er hatte dem Laufband schon zehn Kilometer abgerungen, seine helle Sportkleidung war von Schweiß durchtränkt und mit großen dunkeln Flecken versehen. Das musste reichen. Es blieb noch ausreichend Zeit sich frisch zu machen, zu frühstücken und das bestellte Taxi zum Flughafen zu besteigen.

      Im Frühstücksraum holte er sich Früchte und Naturjogurt und dachte an den gestrigen Abend. Ein feines Lächeln umspielte seinen Mund. Er hatte die berühmte eine Nacht darüber geschlafen und war mehr denn je überzeugt, gestern einen Mann getroffen zu haben, den er zu beidseitigem Vorteil einsetzen konnte. Und vielleicht nicht nur im Finanzbereich. Schon sein Äußeres mit grünen Augen, römischer Nase, breitem Mund, vollen Lippen und energischem Kinn sollten beim weiblichen Teil der Bevölkerung von Vorteil sein. Der liebe Gott hatte sich Mühe gegeben, alle Klischees eines gutaussehenden Mannes in seinem Gesicht unterzubringen. Überdies musste sein BMI-Wert im Idealbereich liegen. Er hatte zwar ebenfalls eine Größe von 1,75 Meter, war aber offensichtlich schmaler als er. Er schätzte sein Gewicht auf 75 Kilogramm und gestand sich seinen Neid ein. Ein Blick auf seine Uhr unterbrach seine Gedanken, denn es wurde höchste Zeit aufzubrechen, um den Flieger noch rechtzeitig zu erreichen.

      Das Taxi brauchte eine Viertelstunde, obwohl der Berufsverkehr sehr dicht war. Die Taxifahrerin war eine aufgeweckte junge Frau, die jede Überholmöglichkeit nutzte und rücksichtslos andere Fahrzeuge schnitt, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Die Hupkonzerte nötigten ihr nur ein verschmitztes Grinsen ab. Ihr Gast nickte anerkennend und gab am Ende der Fahrt ein großzügiges Trinkgeld. Ohne Eile erledigte er den Check-in am Automaten, nutzte die Fast Line der Gepäckkontrolle und schlenderte zum Gate. Hier wartete er auf den Aufruf für Business Gäste zum Priority Boarding. Jetzt hatte Rudolph ein Déjà-vu. Sein Bekannter von gestern näherte sich im perfekten Business Outfit dem Gate. Er trug einen Sommeranzug in hellblauer Farbe, braune Schuhe und gelbe Socken und beobachtete die Umgebung. Ohne Zweifel er fällt auf, dachte Rudolph und folgte ihm weiter mit seinen Blicken. Auch Blecher nahm ihn wahr auf eine Art, die nur der Investmentbanker erkennen konnte, aber nicht Außenstehende.

      Dann haben wir also den gleichen Rückflug, muss einen irgendwie nicht überraschen, dachte Rudolph. Es erfolgte der Aufruf für das Priority Boarding der Businessgäste, worauf sechs Männer und eine Frau so lässig und selbstverständlich wie möglich losgingen, ihr Privileg zu genießen.

      Blecher zwängte sich in die Reihe 3AC, um den Fensterplatz einzunehmen. Sie würden in einer Reihe sitzen nur durch den leeren Mittelsitz getrennt. Er grüßte seinen Nachbarn freundlich, der seinen Gruß gelangweilt erwiderte. Rudolph schmunzelte als er zur Kenntnis nahm, dass sein Sitznachbar schon formvollendet die Schlafstellung eingenommen hatte, bevor er sich selbst eingerichtet und seine Fluglektüre aus der Reisetasche genommen hatte. Der Flug verlief erwartungsgemäß ruhig. Blecher wachte erst kurz vor der Landung auf, als Rudolph gerade sein Taschenbuch zuschlug. Er hatte Tod am Nachmittag von Ernest Hemingway gelesen.

      2. Kapitel

      Freitag, 10. Oktober 2008, Madrid

      Der Matador näherte sich dem blutenden Stier mit provokanten Bewegungen. Sein rotes Tuch verführte das Tier, den mächtigen Schädel zum Angriff zu senken. Sein Todesurteil. Elegant und selbstbewusst hob der Matador den Degen unmittelbar vor den tödlichen Hörnern und vollführte den Todesstoß zwischen den Schulterblättern seines chancenlosen Opfers.

      Rudolph schaute gebannt zu. Gerade noch hatte der Stier das Pferd eines Picadores aufgeschlitzt. Es floss viel Blut. Das Tier verstarb in heftigen Zuckungen. Anschließend wurde es von Helfern unter Decken verborgen.

      Der Investmentbanker konzentrierte sich auf den dritten und letzten Akt, vergaß sogar seine immensen beruflichen und finanziellen Sorgen, die ihn schon seit längerem begleiteten und sich seit Ende dieser Woche verschärft hatten. Heftig und entschlossen bearbeiteten die Banderilleros mit ihren Harpunen den Nacken des nächsten Stieres.

      Las Ventas war eine der größten Stierkampfarenen der Welt, im Osten von Madrid gelegen. Von außen wirkte sie durch die vielen Hufeisenbögen und kleinen Säulen verspielt und friedlich. In diesem Jahr war die Arena auch Schauplatz eines Daviscup Halbfinales. Der Oktober war der letzte Monat dieser Stierkampfsaison.

      Langsam wich das Adrenalin wieder aus seinem Körper. Diese Demonstration von Mut und Tod packte ihn jedes Mal in seinem Innersten.

      Er besorgte sich ein Taxi und gab die Hoteladresse Madrid Ritz Carlton an. Seine Alltagssorgen kehrten mit Macht zurück. Äußerlich war ihm der Stimmungswandel nicht anzumerken. Heute war Freitag, und die Börsenwoche endete mit zwanzig prozentigem Verlust weltweit an den Aktienmärkten. Eine Katastrophe, die kein Algorithmus vorhergesagt hatte. Zumindest keiner von denen, die er entwickelt hatte. Große Kunden wie Versicherungen, Kommunen, Pensionskassen hatten seine Produkte gekauft, die dramatisch an Wert verloren. Manche über die Hälfte und die Talfahrt war noch nicht zu Ende. Er würde Ärger bekommen. Aber wirklich katastrophal rechneten sich seine privaten Verluste. Bestürzt gestand er sich ein, pleite zu sein, aber vielmehr nagte an ihm, dass er diese Entwicklung nicht hatte kommen sehen. Schuld war wohl seine Geldgier. Genau einen Monat war es her, dass US-Finanzminister Paulson überraschend erklärt hatte, Lehman Brothers nicht retten zu wollen. Das war der Anfang vom Ende.

      Sogar die vermeintlich klugen Insidergeschäfte mit Vitus waren missglückt und kosteten seinem Freund und ihm viel Geld. Auch Vitus musste in einer finanziellen Klemme stecken. Dass seine Insidergeschäfte auf online-Basis funktionierten, half ihm jetzt auch nicht. In Deutschland war er bestimmt der Erste, der diese Methode benutzte. Er hackte private und öffentliche Nachrichtenagenturen insbesondere aus dem Wirtschafts- und Finanzbereich. Entdeckte er eine vermeintlich kursrelevante Information aus einem börsennotierten Unternehmen, unternahm er eine kluge Methode der Verschleierung, damit ihnen die Börsenaufsicht nicht auf die Schliche kommen konnte. Er isolierte mit einem aufwendigen aber schnellen Rechenverfahren andere Börsenunternehmen, deren Kursentwicklung in der Vergangenheit ein festes Muster zur Kursentwicklung des von ihm entdeckten börsennotierten Unternehmens zeigten. Nur über diese anderen Unternehmen informierte er über den TOR Browser seinen Partner und gab ihm entsprechende Kauf- und Leerverkaufsempfehlungen. War die kursrelevante Information an den Markt gelangt, wies er ihn an, alle Positionen glattzustellen.

      Die Gewinne wurden geteilt. So sammelten sie in vielen kleinen Schritten ein Vermögen an, das allerdings mehr als verloren ging, als die Finanzkrise alles überlagerte. Rudolph war so unvorsichtig zu glauben, dass seine Insidergeschäfte von der sich abzeichneten Finanzkrise nur bedingt beeinträchtigt werden könnten. Da irrte er sich. Seine vorsichtige Vorgehensweise nicht direkt die