Reinhold Zobel

Spätvorstellung


Скачать книгу

Näherkommen, erkennt Lux die Melodie. Ein Ulk-Song (performed by Eddi Arent). Sie haben ihn in der Jugend oft gemeinsam im Wechselgesang geträllert:

      “Ich bin der Chef vom Detektivbüro 00,

       Obwohl ich lieber bei der Post Beamter wär.

       Ich löse jeden Fall, ganz ohne jeden Knall,

       Denn ich bin Chef vom Detektivbüro 00…”

      Als Tony von den Toiletten zurückkehrt, grinst er wie ein mittleres Azorenhoch. Es ist seltsam. Man ist zusammen. Man albert herum. Es ist wie früher. Es ist, als habe das Erwachsenwerden nur auf der Wetterkarte stattgefunden, Es ist, als sei die Zeit stehen geblieben. Jeder kennt das vermutlich.

      ”Weißt du,Tony, früher wollte ich Schauspieler werden. Soll ich dir verraten, warum?”

      “Du musst nicht, wenn du nicht willst.”

      “Ich wollte es, weil man sich selber dann aus der Distanz betrachten kann, und das auf eine Weise, als wäre man eine andere Person.”

      “Das ist, seit es die Digitaltechnik gibt, ja nahezu ein Kinderspiel, mithin für jeden erreichbar.”

      “Mag sein… aber doch nur bis zu einem gewissen Punkt.”

      “Punkt, Punkt, Komma, Strich, fertig ist das Mondgesicht… Und ich hatte mir in früher Jugend gewünscht, Chef eines Marionettentheaters zu werden.”

      “Der Mensch ist nur da ganz Mensch…”

      “…wo er spielt. Jener Satz, den wir Älteren von der Schulbank kennen und neben promovierten Germanisten auch jedes Kleistothecium, das schon einmal an einer Schillerlocke gerochen hat.”

      “Dabei gilt es in Rechnung zu stellen, dass Spiel nicht bedeutet, es herrsche Wahlfreiheit.”

      “Keineswegs. Im übrigen…wir sind bekanntlich Geschöpfe mit eingebauter Fehlerquote.”

      “Ja. Und man stelle sich nur einmal vor, man würde alles richtig machen. Wie monochrom und monoton die Reise des Lebens dann wohl verliefe. Und das nicht allein für einen selbst, sondern gleichermaßen für Mitreisende wie den Ehepartner, den Taufpaten oder den Hausmeister.”

      Lux putzt an seinen Brillengläsern herum. Es ist nicht das erste Mal an diesem Abend. Und ihm geht durch den Kopf, er wollte dieser Tage eigentlich seinen Keller entrümpeln. Der Gedanke schwillt. Der Gedanke ebbt. Wie das so ist mit geistigen Flußläufen.

      “Mein Freund, du hast vorhin eine Kostprobe deiner seelischen Untiefen gegeben. Nun will auch ich etwas erzählen, etwas, worüber ich noch zu niemanden gesprochen habe. Es weist gewisse Parallelen auf zu dem, was von dir zu hören war. Es liegt bereits eine Weile zurück, ungefähr sieben Jahre. Ich kannte meine Eva noch nicht, mit anderen Worten, ich war allein auf diesem Planeten unterwegs, ein seltener Begleitumstand in der bisherigen Verlaufskurve meiner Vita. Was damals geschah, geschah quasi über Nacht. Es begann damit, dass ich wie gewohnt morgens meine Mailbox öffnete und feststellte, sie war leer. Ich hatte sonst immer Post, täglich. Und bisweilen fanden sich Mitteilungen von Frauen darunter, Grußbotschaften etwa, amouröse Fotos, Liebesbezeigungen. Natürlich gab es auch Rechnungen, Berufliches, Werbung…Anfangs irritierte es mich nicht sonderlich, dass die Mailbox leer war. Es kamen jedoch im Verlauf der nächsten Zeit andere Dinge hinzu. Das Telefon klingelte nicht mehr. Niemand rief mich an. Und meine Versuche, Freunde, Bekannte zu erreichen, scheiterten. Ich sprach Nachrichten auf Band. Ich verschickte Anfragen. Kein Echo. Ich fühlte mich mehr und mehr wie ausgesperrt. Das Ganze war mir ein Rätsel. Ich hatte keine Erklärung. Ich sah mich jäh von einem pechschwarzen Nichts umfangen, wie ein Astronaut, der aus seinem Raumschiff geschleudert worden ist und in die Unendlichkeit des Raumes abtreibt. Es war ein schrecklicher Zustand. Ich fühlte mich einsam, verlassen. Ich bekam Panik. Hatte man mich vergessen? Hielt man mich für tot? Hatten dunkle kafkaeske Mächte eine Kontaktsperre über mich verhängt?”

      “Klingt nach einer Verschwörung.”

      “Es war keine Verschwörung. Es war, wie sich später herausstellte, eine Verkettung saudummer Zufälle. Aber der Schreck, den mir das Ganze einjagte, blieb, hielt sich über Monate lebendig. Ich sah mit einem Mal, wie hauchfaserdünn das ist, was wir als Normalität ansehen. Dazu bedarf es nicht eines Unfalls mit traumatischen Folgen, keiner existentiellen Krise. Es genügt schon, dass man über einen gewissen Zeitraum in eine Art stillgelegten Gulli fällt und darüberhinaus nicht mehr zu unterscheiden weiß, was Täuschung ist und was nicht.”

      “Selbstzweifel plagten dich aber keine?”

      “Selbstzweifel?”

      “Mir wäre es so ergangen.”

      “Es war eher ein Zustand dumpfer Verstörung, in dem ich mich befand, gepaart mit der Furcht, die Haltestelle, an der die Busse der Außenwelt hielten, könnte stillgelegt worden sein.”

      “Vielleicht wäre zeitweilig ein kritischer Blick ins eigene Innere zweckdienlich gewesen.”

      “Ins eigene Innere? Nun, das ist ein anderes Thema. Und r mich verhält es sich damit ähnlich wie mit dem, was man unter inneren Werten versteht; es ist etwas, für das ich mich, außer in medizinischer Hinsicht, nie wirklich interessiert habe. Innere Werte - Was heißt das? Blutwerte, Leberwerte? Meine Aufmerksamkeit war stets primär auf die äußere Erscheinung ausgerichtet, auf den Phänotypus, wenn du so willst. Das, was ich sah, hörte, schmeckte, roch, war das Futter für meine Sinne, für meine Einbildungskraft. Es war die Voraussetzung dafür, dass ich willens war zu erkunden, was sich hinter dem Vorhang befand. Ich gebe zu, das mag begrenzt klingen, aber so war es, und so ist es es noch.”

      “Tony, der Sinnenmensch.”

      “Sind wir das nicht letztlich alle, jeder auf seine Art.”

      “Darüber ließe sich trefflich streiten.”

      “Ich will gar nicht streiten. Mir genügt meine Wahrnehmung der Dinge.”

      “Was, wie du selber ausgeführt hast, mitunter zu Täuschung und Selbsttäuschung führen kann.”

      “Das, mein Lieber, scheint mir eine Mitgift der Schöpfung für unsere menschliche Spezies zu sein, eine Ingewahrsamnahme des Geistes, von der sich niemand freikaufen kann.”

      Tony hält inne, indessen Lux sich fragt, den Blick intravenös ins Unberechenbare gerichtet, ob es wohl eine Kunstpause ist?

      “Verstehst du, was ich mit letzterem habe ausdrücken wollen?”

      “Denke, schon.”

      “Aber du teilst es nicht?”

      “Nicht so ganz.”

      “Du hast Bedenken?”

      “Ich bin kein Bedenkenträger.”

      “Gut, mein Lieber. Weißt du was? Ich spendiere eine Runde. Sag mir, was du gern ttest?”

      “Aber du hast schon die Rechnung im Café bezahlt, Tony.”

      “Ja, und?”

      “Okay. Ich nehme noch einen Rum und ein Dessert. In beidseitigem Einvernehmen.”

      “Geschieht das aus Kalkül?”

      “Es verdankt sich, glaube ich, eher der Schnabeltasse meiner Gewohnheiten.”

      “Ja, wir sind - aus dem Dunkel der Zeit tretend - doch auf vielfache Weise Gewohnheitswesen.”

      “Stammesgeschichtlich betrachtet.”

      “Wusstest du übrigens, dass eine bestimmte noch lebende Fischart, nämlich die Quastenflosser, familientechnisch auf ein