Franziska Hartmann

Das Tal der Feuergeister


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gleich aufbrechen.“ Und dann bin ich dich wieder los, fügte ich in Gedanken hinzu.

      Das Lächeln war bereits nach meinem ersten Satz wieder aus Cuinns Gesicht gewichen. „Aber… ich kann nicht bis morgen warten!“, sagte er.

      „Wir brauchen mit der Bahn fast drei Stunden bis zum Meer. Wir würden heute vor Mitternacht nicht mehr ankommen.“ Ich trat den Weg zurück zum Krankenhaus an und versuchte so, einer Diskussion aus dem Weg zu gehen. Was nicht ganz funktionierte.

      „Mitternacht! Mitternacht ist perfekt. Lass uns gleich losgehen!“, rief er mir nach, während er mir hinterherstapfte.

      „Vergiss es. Ich habe Kopfschmerzen und bin müde. Wir fahren gleich nach Hause und ich lege mich schlafen.“

      „Bitte!“, flehte er. „Ich muss so schnell wie möglich zurück. Es ist wirklich wichtig. Und außerdem bist du mich dann umso schneller für immer los.“

      Das Argument gefiel mir. Allerdings hatte ich wirklich Kopfschmerzen und wenig Lust, heute noch drei Stunden allein mit diesem seltsamen Typen Bahn zu fahren. Doch ich hatte das ungute Gefühl, dass er nicht locker lassen würde, bis ich ihn zum Meer brachte. Also gab ich nach.

      „Na gut, wir fahren heute noch los.“

      „Vielen, vielen Dank! Ihr… Du weißt gar nicht, welch großen Gefallen du mir damit tust.“

      „Hast du überhaupt Geld bei dir?“, fragte ich ihn.

      „Ein bisschen. Brauche ich das?“

      „Bahnfahren ist teuer.“

      Wir gingen eine Weile schweigend durch den Wald. Als wir am Park hinter dem Krankenhaus ankamen, machte Cuinn mit einem unsicheren „Ähm…“ wieder auf sich aufmerksam.

      „Ja?“

      „Also… Wahrscheinlich ist das eine ungewöhnliche Frage“, druckste er herum, „aber… was ist eine Bahn?“

      Vielleicht war er doch kein Zeitreisender. Dann hätte er schon längst eine Bahn gesehen. Oder? Ich konnte mir einen tiefen Seufzer nicht verkneifen und beschrieb ihm die großen, sich auf Gleisen bewegenden Gefährte, während wir den Park durchquerten.

      DREI

      Nachdem wir eine halbe Stunde mit einem Arzt der Station darüber diskutiert hatten, ob es besser für Cuinn wäre, die Nacht im Krankenhaus zu bleiben oder nicht und hinterher noch zwanzig Minuten auf den Bus gewartet hatten, der zur Nacht hin immer seltener fuhr, befanden wir uns endlich auf dem Weg zum Bahnhof.

      Es war der Hauptbahnhof, um genau zu sein. Viele Menschen, viele Gleise, viele Bahnen. Ich entschied mich dazu, Cuinn an die Hand zu nehmen, um ihn nicht zu verlieren. Nicht, dass das bei dieser Menschenmenge eh schon leicht hätte passieren können. Cuinn neigte auch noch dazu, bei jeder Kleinigkeit stehen zu bleiben und diese entweder argwöhnisch zu inspizieren oder zu bestaunen, sei es der Snackautomat, der Fahrkartenschalter, das große Uhrwerk am Bahnhofseingang oder der Reinemachemann auf seiner Reinigungsmaschine. Von den unzähligen Zügen ganz zu schweigen. Ich ignorierte Fragen wie: Was ist das?, Kann man das überhaupt essen?, Wie funktioniert das? und Bist du dir sicher, dass wir hier zum Meer kommen?

      Da ich einen Mordshunger und Durst hatte, machten wir an einem Backshop Halt und kauften zwei Brezeln mit Käse sowie zwei Wasserflaschen. Dann schleifte ich Cuinn zum nächsten Fahrkartenschalter und suchte nach dem nächstbesten Ort am Meer, der mir einfiel. Ich spürte die ganze Zeit die verwunderten Blicke der anderen Passanten an mir und Cuinn haften. Ich versuchte, mir einzureden, dass Cuinn nur in diesem mittelalterlichen Aufzug herumlief, weil wir zu einer LARP-Veranstaltung fuhren. Genau das würde ich sagen, wenn uns jemand danach fragen würde.

      „Das sind dreißig Tacken pro Person“, stöhnte ich. „Hast du so viel dabei?“

      Cuinn fing an, in einer Geldkatze an seinem Gürtel zu kramen. Er zog seine zur Faust geballte Hand wieder heraus und streckte sie mir mit dem Handrücken zum Boden gedreht entgegen. Als er sie öffnete und mir den Inhalt offenbarte, stöhnte ich erneut. Natürlich! Was hatte ich erwartet! Andere Kleidung, anderer Sprachstil – und eine andere Währung.

      „Ist das dein Ernst?“, fragte ich und stemmte die Hände in die Hüften. Ich fischte eine Ein-Euro-Münze aus meiner Hosentasche und hielt sie ihm direkt vor die Nase. „Das hier, das ist Geld! Damit kann ich etwas anfangen. Nicht mit deinen verbeulten Silbertalern. Glaubst du, ich kann mal eben sechzig Euro hinblechen, nur um dich zu diesem verdammten Meer zu bringen?“

      Sein Adamsapfel hüpfte auf und ab, als er schwer schluckte. Als er geknickt von dem Ein-Euro-Stück zu mir, auf seine Silbergroschen und wieder zurück blickte, bereute ich meine harschen Worte. Schließlich hatte er es nur gut gemeint. Er hatte mir Geld geben wollen. Nur nicht das richtige. Und wenn er tatsächlich nicht von hier stammte – was ziemlich abgefahren gewesen wäre –, konnte er es auch nicht besser wissen. Also zwang ich mich selbst zur Ruhe, indem ich einmal tief ein- und wieder ausatmete.

      „Okay“, seufzte ich und wandte mich wieder dem Fahrkartenautomaten zu. Nachdem ich gecheckt hatte, ob eine Gruppenkarte für uns günstiger wäre und ob es sich für mich lohnen würde, eine Tageskarte zu kaufen, da ich ja auch wieder zurückfahren musste, entschied ich mich für eine Gruppenkarte, die meinen Geldbeutel bedeutsam schonen würde. Trotzdem seufzte ich noch einmal, als ich meine EC-Karte aus dem Portemonnaie zückte, da ich nicht genug Bargeld dabei hatte.

      „Du bist mir echt was schuldig“, grummelte ich, während ich die Karte in den dafür vorgesehenen Schlitz im Automaten steckte und meine PIN eingab.

      „Du wirst mich danach nie wieder erdulden müssen. Ich bin dir zu tiefstem Dank verpflichtet“, sagte er und deutete eine Verbeugung an.

      „Ja, ja, sei einfach still!“, warf ich schnell ein, entnahm die Fahrkarte und nahm Cuinn wieder bei der Hand, um ihn zu unserer Bahn zu ziehen.

      Ich betätigte den Knopf, der die Zugtür öffnete und zerrte Cuinn zu einer freien Sitzgruppe, möglichst weit weg von sämtlichen anderen Fahrgästen. Sollte Cuinn auf die Idee kommen, mir noch mehr seltsame Fragen zu stellen – wovon ich stark ausging –, sollte es niemand mitbekommen können. Allein sein Aussehen war schon peinlich genug.

      Nachdem ich Cuinn in einen Sitz gedrückt hatte, setzte ich mich ihm gegenüber ans Fenster. Ich öffnete die Brötchentüte und reichte ihm seine Brezel und seine Wasserflasche. Endlich hatte ich Zeit, etwas zu essen und zu trinken! Im schien es ähnlich zu gehen, denn er begann sofort, seine Brezel hinunterzuschlingen. Nachdem die Hälfte davon in seinem Magen verschwunden war, beäugte er die Wasserflasche genauer. Er versuchte, den Deckel abzuziehen, drehte und wendete die Flasche, bis er mir schließlich einen hilfesuchenden Blick zuwarf.

      Mal wieder entfuhr mir ein Seufzer. Ich nahm seine Wasserflasche, drehte den Schraubverschluss auf und gab sie ihm zurück.

      „Danke“, sagte er und trank gierig sein Wasser.

      „Gibt es so etwas in Glenbláth etwa nicht?“, fragte ich ihn.

      So dumm er sich auch bisher angestellt hatte, mein leicht abfälliger Unterton entging ihm nicht. „Du glaubst mir immer noch nicht, oder?“ Er blickte hinaus auf den Bahnsteig, wo die letzten Passagiere, teilweise bepackt mit großen Koffern, darauf warteten, einsteigen zu können, während er einen weiteren Bissen von seiner Brezel nahm.

      „Tut mir leid“, sagte ich. „So etwas wie Glenbláth gibt es einfach nicht. Ich glaube immer noch, du hast dir einfach gewaltig den Kopf gestoßen.“

      Die Bahntüren schlossen sich und Cuinn sah etwas erschrocken aus, als sich der Zug in Bewegung setzte. Plötzlich schien er sehr nachdenklich und vielleicht sogar etwas traurig.

      Eine Weile saßen wir uns schweigend, Brot kauend gegenüber, während der Zug aus der Stadt rollte. In der Dunkelheit des späten Abends ließen die Lichter der Straßenlaternen und Häuser die sonst so chaotische Stadt beinahe friedlich wirken. Ich beschloss, Cuinn eine Chance zu geben.

      „Wie