Franziska Hartmann

Das Tal der Feuergeister


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       Komm ruhig näher. Du brauchst dich nicht zu fürchten.

      Ich zögerte immer noch. Cuinn drehte sich zu mir um und winkte mich heran. Ich überlegte tatsächlich, näher zu treten, aber mein Körper hörte nicht auf mich. Wie angewurzelt blieb ich weiterhin stehen.

       Nun gut… Vielleicht hast du so weniger Angst…

      „Nicht, Lou. Das kostet dich zu viel Energie“, wandte Cuinn ein, doch Lou hörte nicht auf ihn.

      Mit einem vermutlich noch verstörteren Blick als vorher beobachtete ich, wie sich die Flügel und der Schwanz des Drachen langsam zurückbildeten. Gleichzeitig verkürzte sich der Hals. Kopf, Rumpf und Beine verloren ihre Form, die Schuppen flachten zu einer ebenmäßigen Haut ab und veränderten ihre Farbe. Ehe ich mich versah, saß vor Cuinn auf dem Boden eine zierliche junge Frau. Seidenglatte, violette Haare umrahmten ihr blasses Gesicht und sie trug ein schlichtes, farbloses Kleid, welches ihre Schönheit jedoch nicht minderte. Sie war wahrscheinlich die schönste Frau, die ich je gesehen hatte.

      Jetzt erst fiel mir auf, dass sie ihre Hand auf ihre linke Seite presste und der Stoff darunter sich dunkelrot verfärbte. Sie lächelte mir freundlich zu, doch ich sah den Schmerz in ihren violetten Augen.

      Ich wagte mich nun doch ein paar Schritte näher.

      Cuinn ließ seine Hand über Lous gegen die Wunde gedrückte schweben. „Du hättest das nicht tun sollen. Warte, ich heile das.“

      Sie wandte ihr lächelndes Gesicht nun Cuinn zu. „Nein, heb deine Kräfte auf. Du wirst sie noch brauchen.“

      „Aber…“

      „Es ist hier vorbei. Deine Kräfte reichen nicht, um mich zu heilen“, unterbrach Lou Cuinn.

      Er wich zurück. Ich konnte von der Seite sein schockiertes Gesicht sehen. „Was redest du da?“

      „Ich habe es gesehen.“

      Cuinn schüttelte den Kopf. „Du weißt, das muss nichts bedeuten.“

      „Ich habe so viele verschiedene Versionen unserer Zukunft gesehen. Aber alle enden hier.“

      Ich schluckte. Wieder war mein Gehirn damit überfordert, die neuen Informationen zu verarbeiten. Zum einen registrierte ich gerade, dass Lou offenbar in die Zukunft schauen konnte. Zum anderen wollte Lou uns gerade mitteilen, dass sie hier sterben würde.

      Ein langes, kaum erträgliches Schweigen erfüllte die Höhle. Ich wagte kaum, in Cuinns Richtung zu schauen. Sogar im schwachen Licht der Fackel konnte ich deutlich erkennen, dass er kreidebleich geworden war und er schien in eine Art Schockstarre verfallen zu sein.

      Lou legte eine Hand an seine Wange. „Es ist in Ordnung. Ich habe dieses Schicksal schon längst akzeptiert.“

      „Ich will es aber nicht akzeptieren“, presste Cuinn hervor und hob erneut die Hand, um einen Zauber zu wirken. Doch Lou legte ihre Hand sofort in seine und drückte sie sanft zu Boden.

      „Ich habe sie auf den Feuerberg gebracht. Dort sind sie sicher“, sagte Lou.

      „Auf den Feuerberg?“, fragte Cuinn entsetzt.

      Lou stöhnte auf unter einer Welle von Schmerz und legte sich hin. „Es war der einzige sichere Ort. Sie werden dort gut beschützt. Und für dich ist es eine Chance, dich mit den Feuergeistern zu versöhnen.“

      „Lou, du weißt, ich kann dort nicht…“

      „Du kannst. Und du wirst. Und sie wird etwas ganz Besonderes. Sie wird uns retten.“ Bei dem letzten Satz schlich sich ein Lächeln auf Lous Lippen. Sie schloss die Augen.

      „Lou?“ Cuinn strich ihr eine violette Strähne aus dem Gesicht. Im nächsten Moment verwandelte sich der zerbrechliche Menschenkörper wieder in den eines großen Drachens. Cuinn ließ die Hände schlaf zu Boden fallen. Sein ganzer Körper sackte zusammen, als wäre mit einem Mal die gesamte Energie aus ihm gewichen.

      „Ist sie…?“ Noch bevor ich die Frage ausgesprochen hatte, wusste ich die Antwort und mir blieben die letzten Worte im Halse stecken. Mein Mund fühlte sich plötzlich unangenehm trocken an und die Temperatur in der Höhle schien um einige Grade zu sinken. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich war mit der gesamten Situation überfordert. Ich war immer noch nicht darüber hinweg, dass ich mich in einem fremden Land befand, in dem es Magie gab, da war plötzlich die Freundin eines neugewonnenen Freundes gestorben, der nun wortwörtlich am Boden zerstört neben mir kniete und ich wollte ihn trösten, aber ich konnte mich nicht rühren. Anscheinend war seine Schockstarre auf mich übergegangen.

      „Cuinn?“, brachte ich hervor.

      Da stand er mit einem Ruck auf und drehte sich zu mir. Sein Blick war erfüllt von furchterregender Wut und einer wilden Entschlossenheit, die mich beunruhigte.

      „Wir haben einen weiten Weg vor uns und müssen uns beeilen“, sagte er, packte mich am Handgelenk und zog mich hinter sich her, aus der Höhle hinaus, tiefer in den Wald hinein.

      FÜNF

      „Mo… Moment!“, rief ich erschrocken. „Wo gehen wir hin? Was hast du vor? Was hast du mit mir vor?“

      „Wir gehen zum Feuerberg“, antwortete Cuinn.

      Ich versuchte immer wieder, mein Handgelenk zu befreien, doch Cuinn hielt es so fest umklammert, dass es schon wehtat. Als er den Feuerberg erwähnte, rief ich mir Lous letzte Worte in Erinnerung. „Was ist der Feuerberg? Und wen hat Lou dort hingebracht?“

      Ich hatte das Gefühl, Cuinns Griff wurde noch ein Stück fester und ich biss mir auf die Unterlippe, um nicht vor Schmerz aufzuquieken.

      „Du hast gesagt, du würdest mich wieder nach Hause bringen. Da kannst du mich jetzt nicht einfach quer durch den Wald schleifen. Ich will nach Hause! Sofort!“, jammerte ich.

      Endlich blieb Cuinn stehen und schenkte mir Beachtung. „Kannst du mir bitte sagen, wie das gehen soll?“

      „Sag du es mir! Du bist doch der Magier!“, keifte ich zurück.

      „Ich habe dir gesagt, dass Lou die einzige…“ Mehr brachte er nicht hervor. Und plötzlich wirkte er weniger wütend. Und stattdessen traurig.

      „Tut mir leid“, sagte ich. Er hatte gerade seine Freundin verloren und ich dachte nur daran, wieder nach Hause zu kommen. Aus irgendeinem Grund fehlte mir gerade jegliche Empathie. Vermutlich weil ich mir immer noch völlig unwirklich vorkam, weil mir ganz Glenbláth unwirklich vorkam. Und damit auch der Tod von Lou und die gesamte Situation.

      „Vielleicht können die Feuergeister dir helfen“, murmelte Cuinn.

      „Feuergeister? Leben die auf dem Feuerberg?“

      Er setzte seine Wanderung fort, ließ mich jedoch los. Ich rieb mir das Handgelenk und stapfte ihm hinterher.

      „Sie leben unmittelbar um den Feuerberg herum. Der Feuerberg ist die felsige Spitze dieses Hügels, auf dem der Wald liegt. Er wird lediglich von der Riesenechse Créla bewohnt, ein so seltenes Geschöpf wie die Drachen“, erklärte Cuinn ruhig. Er machte eine Pause und ich hatte das Gefühl, dass er überlegte, wie er die nächsten Worte formulierte. „Lou hat Dracheneier zu Créla geschickt. Lou war von Anfang an davon überzeugt, dass Créla sich im Notfall am besten um sie kümmern könnte.“

      Ich nickte und lief Cuinn weiter nach. Es dauerte eine Weile, bis die neuen Informationen durch mein Gehirn sickerten. Dann verlor ich mal wieder die Fassung und beschleunigte meinen Schritt, um Cuinn einzuholen und besser mit ihm reden zu können. „Warte. Dracheneier? Lou hat Eier gelegt? Aber ich dachte, sie sei der letzte Drache gewesen?“ Er öffnete den Mund zur Antwort, doch ich kam ihm zuvor. „Sag mir jetzt bitte nicht, dass du der Vater bist.“

      Als er den Mund wieder schloss, wusste ich, dass genau das der Fall war.

      „Okay, können wir kurz stehen bleiben? Bitte?“

      Cuinn