Franziska Hartmann

Das Tal der Feuergeister


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„Du Idiot!“, knallte ich ihm an den Kopf. „Wo warst du so lange? Ich hatte Angst! Du kannst mich doch nicht einfach alleine in diesem Wald lassen! Woher soll ich wissen, was für Gefahren hier lauern? Lass mich nie wieder allein, hörst du? Nie wieder!“

      Ehe ich mich versah, hatte Cuinn mich an sich herangezogen und ich vergrub mein Gesicht an seiner Schulter. „Ich lasse dich nicht mehr alleine. Versprochen“, sagte er.

      Und obwohl ich wütend auf ihn war, tat seine Umarmung in diesem Moment so gut, dass ich mich allmählich entspannte. Mein Schluchzen wurde leiser, meine Tränen trockneten langsam. Cuinn löste seine Arme von mir und bedachte mich einen Moment lang mit einem unsicheren Blick. „Hast du noch Hunger?“, fragte er dann.

      Mir war schlecht. Doch tatsächlich wusste ich nicht, ob das vom Schock kam oder von der Tatsache, dass ich seit einer Ewigkeit nichts mehr gegessen hatte. Als meine Vernunft mich ermahnte, dass ich wirklich etwas essen sollte, nickte ich.

      „Ich koche uns etwas“, schlug Cuinn vor. „Du legst dich hin und ruhst dich aus.“

      Dem konnte und wollte ich nicht widersprechen.

      Cuinn löste die Schlaufe seines Umhangs, nahm ihn von seinen Schultern und wickelte mich darin ein. Die schwere Wolle war weich und warm. Ich legte mich neben Cuinn auf den Boden, zog die Knie an den Körper und schlang den Umhang so eng wie möglich um mich. Doch um die Augen zu schließen, war ich immer noch viel zu aufgebracht. Stattdessen beobachtete ich Cuinn, wie er aus Ästen und Zweigen eine Art Grillspieß bastelte. Als er begann, zwei Vögel zu rupfen, die er wohl erjagt hatte, schloss ich doch meine Augen. Das konnte ich mir beim besten Willen nicht anschauen. Ich blickte erst wieder zu ihm, als er die grob geschnittenen Fleischstücke mit Kräutern würzte und gemeinsam mit ein paar Pilzen aufspießte. Dann landete unsere Mahlzeit über dem Feuer, das er mit einem Fingerschnippen erzeugt hatte.

      „Das wird kein Festmahl, aber es sollte erst mal den Bauch etwas füllen“, meinte Cuinn, während er den Spieß langsam drehte, um das Fleisch von allen Seiten gleichmäßig zu garen. „Möchtest du etwas trinken?“

      Jetzt erst merkte ich, wie durstig ich war. Ich nickte und als er einen ledernen Trinkschlauch von seinem Gürtel löste und mir reichte, nahm ich ihn dankbar an und setzte mich auf. Ich nahm drei große Schlucke. Das kühle Wasser erfrischte meinen Körper und ich fühlte mich gleich wieder viel lebendiger. Einem weiteren Schluck konnte ich nicht widerstehen. Kaum hatte ich den Trinkschlauch verschlossen, hielt mir Cuinn einen Holzspieß mit knusprig gegrilltem Geflügel vor die Nase. Das Fleisch duftete so köstlich, dass mir das Wasser im Munde zusammenlief. Ich nahm den Spieß und knabberte an dem Fleisch. Mittlerweile war auch mein Appetit zurückgekehrt und bei jedem Bissen spürte ich mehr, wie ausgehungert ich war. Cuinn setzte sich neben mich und verschlang seinen Spieß beinahe genauso schnell wie ich. Zugegeben, dem Fleisch fehlte etwas Salz und Pfeffer, viel machten die Kräuter nicht her. Aber in diesem Moment war mir das vollkommen egal. Es war warm und nahrhaft und die Pilze waren dafür die leckersten, die ich je gegessen hatte. Vielleicht eine spezielle Sorte, die nur hier in Glenbláth wuchs?

      Als ich den letzten Pilz und das letzte Stück Fleisch verspeist hatte, hätte ich durchaus noch einen Vogel vertragen können, doch zumindest gab mein Magen nun Ruhe.

      Ich beobachtete, wie Cuinn ein Stoffsäckchen öffnete und es mir entgegenstreckte. Ich lugte hinein, konnte in dem schwachen Licht der magischen Flamme aber nichts erkennen.

      „Greif zu! Das ist unser Nachtisch“, erklärte Cuinn.

      Neugierig steckte ich eine Hand in den Beutel und zog eine Himbeere heraus. Ich nahm sie in den Mund. Und stellte fest, dass die Beere überhaupt nicht nach Himbeere schmeckte. Eher fruchtig süß wie eine Kirsche mit einem honigartigen Nachgeschmack. Es war definitiv die leckerste Frucht, die ich je gegessen hatte und Cuinn hatte gleich einen ganzen Beutel davon besorgt.

      „Du solltest jetzt schlafen“, meinte Cuinn, nachdem wir alle Beeren vernascht hatten. „Der morgige Tag wird nicht weniger anstrengend werden.“

      Meine Muskeln schmerzten schon allein von dem Gedanken, morgen wieder so viel herumlaufen zu müssen. Und ich wollte nicht wissen, was für Wesen hier nachts ihr Unwesen trieben. „Spukt es hier?“, fragte ich.

      Cuinn legte die Stirn in Falten. „Wie bitte?“

      „Gibt es hier Geister? Also herumirrende Tote?“

      Jetzt schlich sich ein Schmunzeln in Cuinns Gesicht. „Nein.“ Er beugte sich zum Feuer und löschte es mit einer Handbewegung, als würde er mit seiner Handfläche darüber wischen. Ich hörte, wie er sich neben mich ins Gras legte und beschloss, es mir ebenfalls wieder bequem zu machen.

      „Du musst dich nur vor den Vampiren in Acht nehmen.“

      „Was?!“, quiekte ich.

      Cuinn lachte leise.

      „Was ist daran so lustig? Ich stehe nicht so drauf, in der Nacht ausgesaugt zu werden und am nächsten Morgen selbst als blutleerer Eisklotz mit langen Eckzähnen aufzuwachen.“

      „Es gibt keine Vampire“, unterbrach Cuinn mich noch immer lachend.

      „Keine Vampire?“, fragte ich.

      „Keine Vampire“, versicherte er mir.

      In meinem Kopf ging ich weitere Geschöpfe durch, die ich aus Märchen kannte. „Und Hexen?“

      „Schlaf jetzt“, sagte Cuinn.

      „Du weichst mir aus. Also gibt es Hexen? Sind die böse? Also könnten die uns in der Nacht etwas antun?“

      Im nächsten Moment spürte ich Cuinns Hand auf meiner Stirn. Ein wohlig warmes Kribbeln durchfloss meinen Körper und augenblicklich wurde ich unglaublich müde. Meine Augenlider wurden schwer, sodass ich meine Augen kaum noch offen halten konnte. Ich war so müde, dass ich mich nicht einmal darüber aufregen konnte, dass Cuinn mich offensichtlich gerade mit einer Art Schlafzauber belegte.

      „Gute Nacht“, hörte ich ihn noch sagen, dann glitt ich in meine Traumwelt.

      SECHS

      Als ich am Morgen aufwachte, taten mir alle Knochen weh. Beim Versuch, mich aufzusetzen, fühlte ich mich, als wäre ich über Nacht um ein paar Jahrzehnte gealtert. Das nächste, was ich bemerkte, war, dass Cuinn nicht mehr neben mir lag. Hastig blickte ich mich um.

      „Cuinn?“ Keine Antwort. „Cuinn!“, schrie ich.

      „Sei doch nicht so laut. Ich bin doch da.“ Cuinn trat hinter einem Baum hervor und setzte sich zu mir.

      Mein Herz raste. „Du hast gesagt, du lässt mich nicht mehr alleine.“

      „Ich war in der Nähe.“ Er gab mir das Stoffsäckchen vom vorherigen Abend, das er anscheinend wieder mit Beeren gefüllt hatte. „Das muss vorerst als Frühstück reichen. Ich kenne einen Ort, an dem wir später vernünftig essen können. Und das behandeln können.“ Er warf einen Blick auf meine Hände. Ich tat es ihm nach und ließ vor Schreck die Beeren in meinen Schoß fallen. Leuchtend rote Flecken, murmelgroß, übersäten meine Hände. Vorsichtig schob ich den linken Ärmel meiner Jacke hoch. Als ich feststellte, dass die Flecken auch über mein Handgelenk hinaus führten, warf ich meine gesamte Jacke von mir. Meine Arme waren von oben bis unten rot gesprenkelt. „Was ist das?“, fragte ich, wobei ich einen leicht hysterischen Unterton nicht vermeiden konnte.

      „Kleine Andenken von den Waldfeen gestern. Keine Sorge, die Flecken sind nicht gefährlich. Sie würden mit der Zeit auch von alleine weggehen und können ab und an ein bisschen jucken“, erklärte Cuinn.

      „Moment mal… Waldfeen? Du meinst diese grausamen leuchtenden Viecher von gestern?“ Wenn ich an Feen dachte, flatterten vor meinem inneren Auge eher eine nervige Tinkerbell oder die bunten, aufgedrehten guten Feen von Dornröschen umher.

      Cuinn nickte. „Sie nutzen ihr Licht und ihre wunderschönen Farben, um Fremde in ihren Bann zu ziehen. Bist du diesem erst erlegen, zapfen sie deine Lebensenergie an und saugen dich aus. Im schlimmsten