Franziska Hartmann

Das Tal der Feuergeister


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Solange du dich unbeeindruckt zeigst, kann sie dir auch nicht zu nahe kommen.“

      „Alles klar. Einfach ignorieren.“

      „Das funktioniert übrigens bei den meisten komischen Gestalten, falls dir davon noch andere begegnen sollten.“

      „Und wenn das nicht funktioniert?“, fragte ich.

      „Für solche Fälle hast du ja mich. Komm, lass uns aufbrechen.“ Cuinn streckte mir die Hand entgegen. Ich nahm sie und er zog mich auf die Beine. Ich wickelte mir die Jacke um die Hüfte – es war bereits jetzt angenehm warm – und reichte Cuinn seinen Umhang. Er vergewisserte sich noch einmal, dass ich bereit zum Aufbruch war, dann marschierte ich ihm hinterher durch Büsche und Gestrüpp. Und auch wenn mir alles wehtat, ich hungrig und müde war, riss ich mich zusammen und jammerte nicht. Denn obwohl ich nach wie vor Cuinn die Schuld daran gab, dass ich überhaupt hier gelandet war und nicht mehr nach Hause konnte, wollte ich ihm heute nicht auf die Nerven gehen. Schließlich musste ich ihm eines lassen: Er hatte mir Essen gekocht, mich mit Beeren versorgt und mir seinen Umhang zum Schlafen überlassen. Und auch wenn etwas spät, hatte er mich vor den Waldfeen gerettet. Zu behaupten, er würde sich nicht um mich kümmern, wäre gelogen gewesen. Zudem hatte er mir eine vernünftige Mahlzeit und Linderung des Juckreizes auf meinen Armen – na gut, eigentlich auf der Haut meines gesamten Körpers – versprochen. Da schien es mir nur fair, dass ich ihm nun brav, ohne zu quengeln, folgte.

      Diese Motivation hielt jedoch nur so lange, bis mein Magen wieder vor Hunger unaufhörlich knurrte und die Unterzuckerung mich zittern und mir schummrig vor Augen werden ließ. Ich fiel immer weiter hinter Cuinn zurück, der immer noch ein rasantes Tempo drauf hatte. Zwischen den Baumkronen hindurch erkannte ich, dass die Sonne hoch am Himmel stand und soweit ich sehen konnte, entdeckte ich keine Wolke. Die Luft war warm und ich schwitzte. Immerhin spendeten die Bäume Schatten, sodass wir nur selten der prallen Sonne ausgesetzt waren. Und je näher wir dem Feuerberg kamen, desto dichter standen die Bäume aneinander und breiteten ihr schützendes Blätterzelt über uns aus.

      „Könnte ich noch etwas Wasser haben, bitte?“, fragte ich Cuinn, als meine Kehle allmählich austrocknete.

      „Die Flasche ist leer“, antwortete Cuinn. „Halte noch etwas durch.“

      Ich stöhnte. Flüssigkeitsmangel würde meinen körperlichen Zustand nicht gerade verbessern. Aber ich hatte mir ja vorgenommen, nicht zu jammern, und ich würde damit jetzt nicht anfangen. Trotzdem musste ich Cuinn dringend um etwas bitten. Denn langsam hatte ich noch ein ganz anderes auf menschliche Bedürfnisse zurückzuführendes Problem. Mit einem lauten Räuspern brachte ich ihn dazu, sich zu mir umzudrehen.

      „Ich…“, begann ich. Oh Gott, war das peinlich. „Ich brauche eine Pipipause.“

      Ich war dankbar, dass Cuinn diese Info mit einem einfachen Nicken abtat. „Ich warte hier“, sagte er und wandte mir wieder den Rücken zu.

      Rasch verschwand ich hinter einem Busch in einiger Entfernung, nur um sicher zu gehen, dass Cuinn weder sah noch hörte, wie ich mich erleichterte. Das war das, was ich mir nach einer vernünftigen Mahlzeit und etwas zu trinken am meisten wünschte: eine Toilette und weiches Toilettenpapier.

      Als ich mich aus der Hocke wieder umständlich aufrappelte, nahm ich aus dem Augenwinkel etwas Glitzerndes wahr. Ich wandte meinen Blick in die Richtung und entdeckte in ein paar Metern Ferne einen Fluss, der sich gemächlich durch den Wald schlängelte. Trinken! Jede Zelle meines Körpers jubelte. Ich rannte zum Gewässer, kniete mich daneben nieder und schöpfte mit meinen Händen Wasser daraus. Es war kühl und klar. Gierig trank ich aus der Schale, die ich mit meinen Händen geformt hatte. Das Wasser erfrischte meinen Mund, meinen Hals und danach meinen gesamten Körper. Ich tauchte meine Hände erneut in das wohltuende Nass. Mein Herz blieb beinahe stehen, als mich plötzlich zwei Augen unter der Wasseroberfläche anstarrten. Erschrocken zuckten meine Hände zurück, wobei ich einen Schwall Wasser aufspritzen ließ. Langsam erhob sich vor mir aus dem Fluss eine junge Frau. Ihre Haut schimmerte bläulich. Dunkelblaue Haare fielen ihr in feuchten Wellen über die Schultern über ihren nackten Oberkörper. Ihre Augen schienen ein Stückchen zu groß für ihr Gesicht und stachen mit ihrem intensiven Blaugrün in meine. Instinktiv kroch ich auf Knien ein wenig vom Fluss zurück.

      Einfach ignorieren, hatte Cuinn gesagt. Nun, dafür war es jetzt wohl zu spät. Ein liebliches Lächeln umspielte ihre Lippen. Waren eigentlich alle weiblichen magischen Wesen so wunderschön? Ich kam mir vor wie das hässliche Entlein. Eine Stimme in meinem Kopf riet mir zu fliehen. Aber ich war bereits so fasziniert von diesem Geschöpf, dass ich meinen Blick nicht von ihr abwenden konnte. Vielleicht war sie ja freundlicher als die Waldfeen? Vielleicht drohte mir gar keine Gefahr? Sollte ich einfach mal ein Gespräch anfangen? Smalltalk mit einer Nixe? Das war verrückt! Aber was hier in Glenbláth war das nicht?

      Langsam hob ich eine Hand und winkte. „Hallo.“

      Sie beobachtete meine Bewegungen so intensiv, als hätte sie diese Art der Gestikulation noch nie gesehen. Dann hob sie ebenfalls eine Hand, und formte mit ihrem Mund das Wort Hallo, ohne dabei einen Laut von sich zu geben. Als ich meine Hand wieder sinken ließ, tat sie es mir nach. Wie ein Spiegelbild. Nur um einiges schöner als ich.

      „Hast du einen Namen?“, fragte ich.

      Sie legte den Kopf schief und musterte mich weiter. Offensichtlich verstand sie mich nicht.

      „Katja?“

      Cuinns Stimme riss mich aus meiner Faszination. Mir fiel wieder ein, dass ich nur für einen Toilettengang – wenn man das in freier Wildbahn so nennen konnte – verschwunden war und dafür vermutlich schon sehr lange weg war.

      „Ja“, rief ich zurück und drehte meinen Kopf nach hinten. „Ich…“ Komme, hatte ich sagen wollen, da spürte ich, wie sich lange scharfe Fingernägel in meinen rechten Arm krallten und mit einem Ruck wurde ich nach vorn gerissen. Ich schaffte es gerade noch rechtzeitig, tief Luft zu holen, bevor ich mit dem Gesicht voraus ins Wasser klatschte. Mittlerweile hatte das seltsame Flussmädchen auch meinen anderen Arm gepackt und zog mich immer tiefer nach unten. Wie tief war dieser Fluss? Ich konnte es nicht erkennen. Um ehrlich zu sein, konnte ich gar nichts erkennen außer das Gesicht der Nixe, das nun überhaupt nicht mehr freundlich vor mir prangte. Ihre Augen waren gierig, als wolle sie mich verschlingen, und genau so bleckte sie auch die Zähne. Ich schauderte beim Anblick der weißen, spitzen Zahnreihen. Das waren also Glenbláths Flusshaie. Mit angehaltener Luft versuchte ich, mich freizukämpfen. Doch trotz ihrer zierlichen Gestalt hatte sie eine enorme Kraft. Sie zog mich immer tiefer und tiefer, der Fluss schien nach unten hin nie enden zu wollen. Mein Herz pochte wild, ich ruderte mit meinen Armen umher, doch sie hielt sie in ihrem eisernen Griff. Was hatte sie mit mir vor? Wollte sie mich wirklich fressen? Zumindest sah sie so aus. Würde sie mich hier unten gefangen halten, bis ich das Bewusstsein verlor? Bis ich ertrank? Apropos ertrinken, allmählich spürte ich, dass mir die Luft ausging. Ich musste mich schleunigst befreien und wieder an die Wasseroberfläche. Ich zappelte weiter umher, trat nach ihr. Je mehr ich mich wehrte, desto tiefer bohrte sie ihre Krallen in mein Fleisch und ich musste dem Drang widerstehen aufzuschreien.

      In meiner Panik bekam ich kaum mit, wie sich ein Arm um meine Taille schlang. Erst als Cuinn sich an mir vorbei der Nixe entgegen beugte, registrierte ich ihn wirklich. Er legte seine freie Hand auf den Unterarm des Wasserwesens. Sie kreischte und ließ endlich von mir ab. Da, wo Cuinn sie gerade noch berührt hatte, hatte sich ihre Haut leuchtend rot verfärbt. Verbrannt.

      Sie stürzte sich auf Cuinn, der nicht anders konnte, als mich loszulassen. In rasender Geschwindigkeit streckte sie ihre Klauen nach ihm aus, attackierte ihn pausenlos, sodass er sichtlich Mühe hatte, ihre Angriffe abzuwehren. Er bedeutete mir mit einem Nicken nach oben, dass ich mich aus dem Staub machen solle. Für diese Ablenkung heimste er sich einen Kratzer im Gesicht ein.

      Ich blickte zur schimmernden Wasseroberfläche. Niemals würde ich es rechtzeitig nach oben schaffen. Ich fing an hinaufzuschwimmen. Doch schon nach wenigen Zügen fehlte mir die Kraft. Es war zu anstrengend. Sogar für Panik hatte ich keine Energie mehr. Mir wurde schummrig vor Augen, das Wasser schien schwärzer zu werden.