Franziska Hartmann

Das Tal der Feuergeister


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den Kopf. „Wie viele Eier?“

      „Drei.“

      „Und werden das Drachen?“

      Er runzelte die Stirn. „Natürlich werden das Drachen. Was soll die Frage?“

      „Na ja, ich dachte nur… Weil sie ein Drache ist und du ein Mensch…“ In meinem Kopf formten sich die seltsamsten Geschöpfe. Drachen mit Menschenhänden oder Menschen mit Drachenkopf. Ich versuchte die grotesken Bilder zu verscheuchen.

      Cuinns Stirn legte sich in noch tiefere Falten. „Du bist eigenartig.“

      Das musste er gerade sagen.

      „Jedenfalls müssen wir weiter“, sagte Cuinn und lief wieder voran. „Wir müssen den Feuerberg erreichen, bevor die Drachen schlüpfen. Solange sie im Ei sind, kann kein Zauber der Welt sie orten. Doch danach wird es nicht lange dauern, bis die Menschen versuchen, den Wald in Grund und Boden zu reißen und nicht nur die Drachen, sondern auch alle anderen magischen Wesen zu töten.“

      „Werden sie das nicht so oder so?“

      „Schon. Aber wenn sie herausbekommen, dass sie nicht bereits den letzten Drachen getötet haben, wird das ein wesentlich größerer und brutalerer Kampf. Du musst wissen, dass der Wald von der Magie der Drachen lebt. Ohne die Drachen geht dieser Wald ein und mit ihm auch die magischen Wesen, die in ihm leben. Solange also der letzte Drache offiziell tot ist, wähnen sich die Menschen in Sicherheit.“

      Eine Weile liefen wir schweigend nebeneinander her.

      „Mir tun die Füße weh“, sagte ich. „Können wir eine Pause machen?“

      „Wir sind doch gerade erst losgelaufen.“

      „Die Sonne geht schon unter“, entgegnete ich. „Wir sind bestimmt schon eine Stunde unterwegs.“

      „Eine Stunde, das nennst du viel?“, fragte Cuinn. „Wozu benutzt ihr in deiner Welt eigentlich eure Beine?“

      „Zum Autofahren.“

      „Auto…?“

      „Das, was bei uns auf den Straßen fährt. Metallklötze mit Fenstern und vier Rädern. Du erinnerst dich?“

      Cuinn nickte.

      „Also können wir jetzt eine Pause machen?“, wiederholte ich.

      Cuinn seufzte. „Na gut.“

      Ich ließ mich sofort an einem der Bäume zu Boden sinken und lehnte mich an den Stamm. Ich zog die Schuhe von meinen Füßen und streckte die Beine aus. Jetzt erst spürte ich, wie erschöpft mein Körper wirklich war. „Okay, ich glaube, ich bin heute nicht mehr in der Lage weiterzulaufen.“

      Cuinn verzog unglücklich das Gesicht. „Aber je schneller wir den Feuerberg erreichen, desto eher kannst du vermutlich nach Hause.“

      „Versuch gar nicht erst, mich zu überreden. Ich kann einfach nicht mehr“, machte ich ihm klar. Mein Magen stimmte mir mit einem lauten Knurren zu. Ich seufzte und presste beide Hände auf meinen Bauch, als könnte ich ihn damit zum Schweigen bringen.

      „Ich besorge uns etwas zu essen“, murmelte Cuinn und verschwand irgendwo zwischen den Bäumen, ehe ich etwas sagen konnte.

      Ich bekam eine Gänsehaut, als mir klar wurde, dass er mich soeben allein gelassen hatte. Ganz allein in diesem riesigen, verzauberten Wald, in dem was weiß ich für irre Kreaturen lebten. Ich blickte mich vorsichtig um. Aber mehr als Bäume und Büsche war nicht zu sehen. Über mir knackte ein Zweig, als ein Vogel darauf landete und ich zuckte zusammen.

      „Ganz ruhig, Katja, es ist alles in Ordnung. Cuinn kommt gleich wieder“, redete ich mir selbst zu. Beim nächsten Rascheln erlitt ich jedoch wieder beinahe einen Herzinfarkt. Mühevoll versuchte ich, meine Atmung unter Kontrolle zu bringen. Wie konnte dieser Idiot auch einfach abhauen? Hoffentlich würde er mir etwas Anständiges zu essen mitbringen. Das war er mir definitiv schuldig.

      Ungeduldig beobachtete ich, wie auch die letzten Sonnenstrahlen zwischen den Baumkronen verschwanden. Stattdessen schimmerte schon bald fahles Mondlicht durch die Blätter, das meine Umgebung jedoch kaum zu erhellen vermochte. „Nun komm schon endlich zurück“, murmelte ich vor mich hin. Sollte ich anfangen, mir Sorgen zu machen? War ihm etwas zugestoßen?

      Da nahm ich in der Ferne ein helles, weißes Licht wahr. Es sah aus wie eine Lichtkugel, so groß wie ein Tennisball, deren Ränder verschwammen und die sich schwebend langsam auf mich zu bewegte.

      „Hallo?“, sagte ich. Inzwischen hatte mein Körper mich auf die Beine katapultiert. Entspannen war mittlerweile vollkommen unmöglich.

      Das Licht rückte immer näher. Und je näher es kam, desto schöner erschien es mir. Zwischen den weißen Lichtstrahlen schimmerten immer wieder hellblaue hindurch und das Innere der Kugel schien leicht zu glitzern und zu funkeln. Wie hypnotisiert starrte ich das Ding weiter an. Ich wollte es berühren. Wollte wissen, ob es echt war. Ob ich es überhaupt greifen konnte? Oder war es wirklich nur Licht?

      Ich streckte die Hand nach ihm aus, als es nur noch eine Armlänge von mir entfernt war. Meine Hand tauchte in das Licht ein. Es kitzelte. Das Licht strich weiter meinen Arm hinauf. Obwohl der Stoff meiner Jacke meine Haut von dem Lichtball trennte, kribbelte mein Arm. Er kribbelte und wurde angenehm warm. Kurz vor meiner Schulter blieb das Licht still stehen. Erst jetzt fiel mir auf, dass inzwischen viele weitere Lichter um mich herum schwebten. Nach und nach erhoben sie sich zwischen dem Gras empor wie aus dem Nichts. Sie umschwärmten mich wie die Planeten die Sonne und hefteten sich an meinen Körper. Die wohlige Wärme durchströmte mich und ließ meine Muskeln entspannen. All die Angst, die ich vor kurzem noch ganz allein hier im Wald gehabt hatte, löste sich auf. Denn ich fühlte mich nicht mehr allein und meine Umgebung wurde von diesen wunderschönen Lichtern erhellt.

      Ich schrie auf, als mich ein gellender Schmerz wie ein Stromschlag durchzuckte. Die Wärme hatte sich urplötzlich in ein einziges, kaum erträgliches Brennen verwandelt. Was war geschehen? Waren das diese Lichter? Sie mussten es sein. Ich wollte sie abschüttelt, doch ich war wie gelähmt. Stattdessen konnte ich nur weiterschreien. Weiße Punkte tanzten vor meinen Augen. Ein grelles Piepen dröhnte auf meinen Ohren. Bitte, wenn ich hier schon sterben musste, dann bitte schnell, ohne unnötige Qualen.

      Gerade als ich dachte, ich würde endlich das Bewusstsein verlieren und damit von den Schmerzen erlöst werden, vernahm ich durch das Piepen auf meinen Ohren eine vertraute Stimme.

      „Katja!“, brüllte Cuinn.

      War er zurückgekehrt? Oder halluzinierte ich? Ich wusste es nicht. Ich konnte nichts sehen und selbst wenn ich es hätte tun können, traute ich meinen Sinnen nicht mehr.

      Plötzlich verschwand der Schmerz, genauso schnell wie er gekommen war. Und damit auch die Kraft, die mich noch hatte aufrecht stehen lassen. Meine Beine gaben unter mir nach, doch bevor ich auf den Boden sackte, umfasste ein starker Arm meine Taille und fing mich auf.

      Cuinn ließ mich langsam ins weiche Gras gleiten. Die Lichter waren verschwunden. Das einzige Licht, das die Gegend noch erhellte, schwebte als weiße Flamme neben Cuinn und ich ging davon aus, dass er diese erzeugt hatte. Cuinn hockte vor mir und sah mich mit einer Mischung aus Wut und Sorge an. „Kann man nicht mal in Ruhe Nahrung besorgen? Musst du dich gleich in Schwierigkeiten bringen? Kannst du nicht wenigstens ein bisschen auf dich aufpassen?“

      Seine vorwurfsvollen Worte prasselten auf mich ein und der Schock in mir ließ mich keine Antworten finden, sondern stattdessen nur völlig erschöpft im Gras sitzen und auf Cuinns Mund starren, der sich unaufhörlich bewegte. Es wurde mir zu viel. Konnte er nicht einfach die Klappe halten? Ich hatte gerade Todesängste ausgestanden. Meine Haut kribbelte noch immer. Warum war er so gemein? Er hatte mich doch so lange allein gelassen! Und dabei wusste er, dass ich keine Ahnung von seiner Welt und dessen Bewohnern hatte. Hätte er nicht damit rechnen müssen, dass so etwas passierte? Oder hätte ich vorsichtiger sein müssen? Natürlich war es nicht klug gewesen, sich magisch von diesem wunderschönen Licht anziehen zu lassen. Aber hätte ich es wirklich besser wissen können?

      Ich