Franziska Hartmann

Das Tal der Feuergeister


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vorbereitet, also fühlt euch herzlich zum Essen eingeladen. Dann könnt ihr mir alles erzählen.“

      Sowie ich die Hütte betrat, stieg mir ein herrlicher pikanter Duft in die Nase. Ich hätte wetten können, dass dort irgendwo ein saftiger würziger Braten im Ofen schmorte.

      Das Häuschen wirkte von innen viel größer als von außen. Zu meiner Rechten breitete sich eine gemütliche Sitzecke aus mit einem rechteckigen Tisch, den eine kleine grüne Tischdecke sowie eine Tonvase mit bunten Wiesenblumen zierten. Rundherum standen vier hölzerne Stühle, die mit passend grünen Sitzkissen komfortabler gestaltet waren. Geradeaus fand ich die Kochstelle, ein höchst altertümlich anmutendes Gebilde aus Steinen, wie ich es sonst nur aus Geschichtsbüchern kannte. Daneben führte eine Treppe in den Keller und zu meiner Linken verdeckte ein großes Bücherregal die Wand. Bücher, die keinen Platz mehr in dem vollgestopften Regal gefunden hatten, häuften sich in hohen Stapeln davor. Neben dem Feuer in der Kochstelle wurde der Raum nur von zwei Laternen in den hinteren Ecken beleuchtet.

      „Setzt euch!“, bat die Frau und zeigte zu der Sitzecke.

      Cuinn und ich taten, wie uns geheißen, während die Frau zur Kochstelle lief und einen Teekessel aufsetzte. Sie nahm drei Tassen aus einem Schränkchen neben dem Herd und brachte sie uns.

      „Nun, bevor ich euch ausfrage, solltest du mich deiner Freundin wohl erst einmal vorstellen, Cuinn. Sofern du das noch nicht getan hast“, schlug die Dame vor, während sie jedem von uns eine Tasse vor die Nase stellte und sich dann zu uns setzte.

      „Natürlich“, sagte Cuinn und räusperte sich kurz, bevor er fortfuhr. „Katja, das ist Kayla. Quasi mein Zufluchtsort in diesem Wald, mein Zuhause.“

      Ich nickte, lächelte Kayla schüchtern zu und sagte: „Freut mich sehr.“

      Sein Zuhause? War Kayla seine Mutter? Seine Großmutter?

      „Ihr seid also verwandt?“, fragte ich unsicher.

      Kayla wedelte abweisend mit ihren Händen. „Nein, nein. Ich habe ihn damals gefunden, als er vor dem Feuer geflohen ist und sich im Wald verirrt hat.“

      „Kayla“, warf Cuinn in mahnendem Ton ein. „Das ist nicht die passende Zeit für Kindheitsgeschichten.“

      Die Verblüffung stand Kayla ins Gesicht geschrieben. „Du hast ihr die Geschichte nicht erzählt?“

      „Welche Geschichte?“, fragte ich neugierig.

      Cuinns Miene war plötzlich wie versteinert, seine Lippen zu einem schmalen Strich aufeinandergepresst und sein Blick starr auf die Blumenvase gerichtet.

      „Später“, wich Kayla aus. Ihr war Cuinns unheimlicher Wandel auch nicht entgangen. Sie stand auf, um den Tee zu holen und schenkte uns ein. Ich konnte es kaum erwarten, meinen Körper mit wohltuendem Tee zu wärmen, doch als ich an der Tasse nippte, verbrannte ich mir natürlich nur Lippen und Zunge.

      „Du warst lange nicht mehr hier“, bemerkte Kayla. Betrübt blickte sie auf die Teetasse herab, die sie in ihren Händen hin und her drehte. „Ich habe von Lou gehört. Oder sagen wir eher: Ich habe gespürt, wie ihr Licht erloschen ist. Was ist passiert?“

      Das war eine Frage, die ich bisher nicht zu stellen gewagt hatte. Ich wusste, dass Cuinn und Lou in einen Kampf mit Feargal verwickelt worden waren, doch wie und was genau sich zugetragen hatte, davon hatte ich keine Ahnung.

      Das Thema trug nicht gerade zur Erhellung Cuinns Stimmung bei. Für einen Augenblick starrte er weiter auf die Blumenvase. Dann atmete er tief ein und begann zu erzählen: „Ein Jäger hatte uns entdeckt und wir haben seine Fähigkeiten unterschätzt. Es scheint, dass Feargal die Waffen der Menschen allesamt mit starken Zaubern belegt hat. Unsere Unvorsichtigkeit hat dazu geführt, dass Lou von einem Pfeil schwer verwundet wurde.“

      „Was genau meinst du mit starkem Zauber?“, wollte Kayla wissen.

      „Der Pfeil hat meine Schutzzauber mühelos durchbrochen. Normalerweise sollte er dabei zu Staub zerfallen“, erklärte Cuinn, wobei er den zweiten Satz eher an mich Magie-Newbie richtete. „Um genau zu sein, war es also meine Unvorsichtigkeit. Lou hat sich auf mich verlassen, ich habe versagt.“

      Kayla legte eine Hand auf Cuinns Arm. „Zieh dir diesen Schuh nicht an. Lou würde nicht wollen, dass du dir die Schuld an ihrem Tod gibst.“

      Ich konnte Cuinns gequältem Gesichtsausdruck entnehmen, dass er sich trotzdem die Schuld gab.

      „Jedenfalls“, fuhr Cuinn fort, offensichtlich, um von der Schuldfrage abzulenken, „ließ sich Feargal diese Gelegenheit nicht entgehen. Ein schwer verwundeter Drache, wann bekommt er schon mal so eine Gelegenheit.“

      „Er hat sich persönlich blicken lassen?“, fragte Kayla interessiert. „Ihr habt gekämpft?“

      Cuinn nickte langsam. „Hast du etwas gehört? Weißt du, was aus ihm geworden ist?“

      „Nun, da weiterhin Jäger im Wald unterwegs sind, die von ihm gesandt wurden, scheint es ihm nicht allzu schlecht zu gehen. Aber weißt du das nicht selbst? Du warst schließlich bei ihm.“ Kayla zog irritiert die Augenbrauen zusammen.

      Cuinn und ich wechselten einen Blick. Ab hier kannte ich die Geschichte. Es war der Moment, in dem er irgendwie in meine Welt gelangt war. Er erzählte, wie er in meinem Wohnzimmer aufgewacht war, meiner hysterischen Mutter begegnet war, im Krankenhaus versorgt worden war, versucht hatte fortzulaufen und schließlich mit mir ans Meer gefahren war, um Chloe aufzusuchen. Ich konnte mir ein amüsiertes Grinsen nicht verkneifen, als er voller Verwunderung und einer Mischung aus Ehrfurcht und Begeisterung von Autos, Bahnen, Fahrstühlen und Automatiktüren berichtete. Gleichzeitig überkam mich beim Gedanken an all diese vertrauten Dinge Heimweh. Ich war gerade mal ein paar Tage in Glenbláth, doch es kam mir vor wie eine Ewigkeit. Was meine Mutter wohl grad machte? Meine Mutter! Sie musste sich riesige Sorgen machen. Ich war einfach so verschwunden und das schon seit zwei Tagen. Vielleicht sogar noch länger! Verlief die Zeit hier vielleicht langsamer als auf der Erde? Oder schneller? Einstein hätte es mir eventuell sagen können. Aber auch nur, wenn er gewusst hätte, wo im Universum ich mich befand. War ich überhaupt in unserem Universum? Oder in einem Paralleluniversum? Kurz durchzuckte mich der Gedanke, dass ich eindeutig zu viele Science-Fiction-Filme gesehen hatte, bis ich mich daran erinnerte, dass ich gerade mit einem Magier unterwegs war. Im Moment schien mir einfach alles möglich.

      Cuinn beendete seine Erzählung an dem Punkt, als wir Lou in der Höhle aufgesucht hatten und Cuinn nichts mehr für sie hatte tun können. Es fiel ihm sichtlich schwer, darüber zu sprechen. Seine Stimme klang kratzig, sein Körper war angespannt und die Worte kamen nur mühevoll über seine Lippen. Danach versank er wieder in nachdenklicher Stille, physisch zwar anwesend, aber doch so fern.

      Nach einer Weile unterbrach Kayla das Schweigen und schlug ein anderes Thema an. „Und du kommst also aus dieser fernen Welt.“ Sie musterte mich mit einem neugierigen Blick.

      Ich nickte. Es war seltsam, dass meine Heimat bei anderen solch eine Bewunderung auslöste. Ich fand meinen Wohnort immer eher trist, grau und langweilig. Wobei ich mir während der letzten Tage so manchen Vorzügen der Großstadt bewusst geworden war. Und wenn es nur vernünftige Toiletten waren. Und Flüsse, in denen keine Aquare auftauchten.

      „Wie gefällt dir Glenbláth?“, fragte Kayla und nippte an ihrem Tee.

      „Es ist“, ich suchte nach dem passenden Wort, dachte an die wirklich bezaubernde Natur, an die aufregenden Geschöpfe, die hier in dem Wald lebten, gleichzeitig an die beiden Male, die ich nur knapp dem Tod entronnen war, meinen Hunger, meinen Durst und meinen schmerzenden Körper, „ungewohnt.“

      Kayla lachte. Sie stand auf und ging zum Ofen. „Die Stadt ist das Grauen“, sagte sie, während sie mit zwei Stofflappen eine große ovale Form aus Ton aus dem Ofen zog und auf dem Herd abstellte. Sie sammelte Teller und Besteck zusammen und kehrte zu uns zurück, um den Tisch zu decken. „Aber du hast das Glück, dich im Herzen Glenbláths zu befinden“, fuhr Kayla fort und sah mir dabei direkt in die Augen. „Mit diesem Ort ist es wie mit den Menschen. Wahre Schönheit erkennt man oft nicht