Franziska Hartmann

Das Tal der Feuergeister


Скачать книгу

Ich tat es ihm nach, den Rücken an den Baum gelehnt, und versuchte, zu Atem zu kommen.

      „Sie folgen uns immer noch“, keuchte ich. „Sie werden uns kriegen.“

      „Werden sie nicht. Pass auf“, sagte Cuinn und zeigte auf den Baum neben uns.

      Ich wusste nicht, was er meinte, drehte mich zum Baum um und starrte irritiert auf die dunkelbraune Rinde. Im nächsten Moment schrie ich auf. Cuinn hielt mir schnell den Mund zu, doch die Jäger hatten uns bereits gehört und liefen zielsicher in unsere Richtung. Aber das war für mich in diesem Moment beinahe nebensächlich. Der Baum vor mir hatte Augen. Vor wenigen Sekunden hatte er seine knorrigen Lider gehoben, um mich mit seinen hölzernen Augen zu begutachten. Ein paar Zentimeter tiefer, genau zwischen den Augen, ragte ein kurzer, dicker Ast aus dem Stamm, der genauso gut eine Nase hätte darstellen können. „Was zur Hölle ist das?“, fragte ich Cuinn.

      Zur Antwort nahm Cuinn meine Hand und legte sie auf die raue Rinde.

      Nicht was, sondern wer, ertönte eine tiefe, grummelige Stimme in meinem Kopf und ich wusste sofort, dass der Baum durch die Berührung mit mir sprechen konnte. Ich bin Corann. Es ist mir eine Ehre.

      Als nächstes bedeutete Cuinn mir, mit ihm aufzustehen und schob mich zwei Schritte vom Baum zurück. Corann drehte und wendete sich und schüttelte dabei seine Äste. Nicht nur er setzte sich in Bewegung. Alle Bäume um uns herum begannen, bedrohlich zu schwanken. Ich rückte näher an Cuinn heran, als Blätter und Zweige vom Himmel herabregneten und klammerte mich an seinem Arm fest. Cuinn hingegen sah aus, als würde er das furchteinflößende Spektakel genießen. Mit einem schadenfrohen Lächeln auf den Lippen blickte er zu den Jägern, die sich panisch umschauten und erfolglos versuchten zu fliehen, während die Bäume mit Ästen und Wurzeln nach ihnen peitschten und die Erde zum Beben brachten.

      „Darf ich vorstellen?“, rief Cuinn mir über den Lärm der um sich schlagenden Bäume zu, wobei er ob des wackelnden Bodens selbst ins Taumeln geriet. „Das sind die Trévarda, die großen Wächter des Waldes.“

      Plötzlich wand sich ein knubbeliger Ast um meine Taille. Im selben Augenblick hörte ich eine definitiv weibliche Stimme in meinem Kopf. Die Bäume hatten auch noch verschiedene Geschlechter! Es ist zu gefährlich für euch hier unten.

      Ich wurde von Cuinn fort in die Höhe gerissen. Erneut kreischte ich. „Cuinn!“

      Hab keine Angst, ich beschütze dich, sagte der Baum.

      Ich schlug auf das Holz an meiner Taille. „Lass mich los!“

      Doch der Baum hörte nicht auf mich. Stattdessen setzte er mich auf einen dicken Ast hoch oben in seiner Krone, woraufhin sich Zweige um meine Oberschenkel schlangen, sodass ich nicht hinunterfallen, aber auch nicht entkommen konnte. Durch die Äste und Blätter hindurch versuchte ich zu erkennen, wo Cuinn geblieben war. Doch ich fand ihn nicht mehr wieder. Ich wurde auf dem Ast hin und her geschleudert, als der Baum weiter um sich schlug. Um mich herum drehte sich alles. Schon bald wusste ich nicht mehr, wo oben und unten war und ich kämpfte mit aller Macht gegen meinen rebellierenden Magen an. Ich wagte nicht einmal mehr zu schreien, aus Angst davor, mich übergeben zu müssen, sobald ich den Mund öffnete. Die rauen Unebenheiten der Rinde drückten unangenehm durch den dünnen Stoff meines Kleides und kratzen auf meiner Haut. Doch als ich einen Blick auf den Boden erhaschte, der von den langen kräftigen Wurzeln der Bäume aufgewühlt wurde, fühlte ich mich hier oben tatsächlich sicherer als auf der Erde.

      Und mit einem Mal war alles still. Als wäre ich in einem Film und jemand hätte die Pausetaste gedrückt, verharrten alle Bäume wieder an Ort und Stelle. Die Zweige lösten sich von meinen Beinen und ich spürte wieder den Ast um meine Mitte. Im nächsten Moment wurde ich angehoben und sanft zum Boden getragen.

      Tut mir leid, dass es etwas holprig geworden ist, entschuldigte sich der Baum, ehe er mich losließ und sich zurückzog. Ich blickte zu seinem Stamm und erkannte auch hier zwei große Augen.

      „Ähm, schon in Ordnung“, antwortete ich. „Danke.“

      Der Baum zwinkerte mir zu und schloss dann die Augen. Die Augenlider bildeten so eine perfekte Einheit mit dem Rest des Stammes, dass ich schon bald gar nicht mehr sagen konnte, wo die Augen gewesen waren.

      Ich sah mich um und ging ein paar Schritte. Meine Beine fühlten sich an wie Wackelpudding. „Cuinn?“

      „Hier bin ich.”

      Mein Blick folgte der Stimme und ich beobachtete, wie Cuinn von einem weiteren Baum gerade zu Boden gelassen wurde. Er bedankte sich, als der Baum seinen Ast wieder zurückzog und trat an meine Seite.

      „Was ist mit den Jägern passiert?“, fragte ich ihn. „Sie sind wie vom Erdboden verschluckt.“

      Wenige Sekunden später fiel mir etwas nahe einer Baumwurzel auf. Ich wagte einen Schritt näher heran. Cuinn hielt mich sofort fest und hinderte mich daran weiterzugehen. Doch dieser eine Schritt genügte mir, um das Etwas zu identifizieren. Unter der Wurzel hervor ragte die Hand eines Menschen. Das Grauen durchfuhr mich. Erschrocken riss ich die Augen auf und drehte mich zu Cuinn um. Er hingegen wirkte recht unberührt von den Geschehnissen.

      „Nicht nur wie vom Erdboden verschluckt“, sagte er. Dann fing er wieder an, mich durch den Wald zu schleifen. Wie benommen folgte ich ihm. Meine Augen brannten. Weinte ich?

      „Sie haben sie umgebracht“, murmelte ich.

      „Die Trévarda haben nur ihre Heimat beschützt. In diesem Wald gibt es schon lange keine Kompromisse mehr. Entweder die Menschen oder die magischen Geschöpfe.“

      „Aber du hast diesen einen Jäger doch auch nicht gleich umgebracht!“, erinnerte ich ihn empört.

      Eine kleine Pause entstand, ehe Cuinn antwortete: „Das war vielleicht ein Fehler.“

      Entsetzt starrte ich auf seinen Rücken, während ich weiter hinter ihm herlief. Ich wollte etwas entgegnen, doch mir fehlten schlichtweg die Worte. Das Einzige, was ich tun konnte, war, meinen Arm seinem Griff zu entreißen und mehr Abstand zwischen uns zu bringen. Cuinn hatte die Jäger in ihren Tod laufen lassen, ohne mit der Wimper zu zucken. Na gut, die Jäger hatten uns auch töten wollen. Und trotzdem fühlte es sich falsch an. Am liebsten wäre ich fort gelaufen. Weit weg von Cuinn. Doch ich hatte keine Ahnung, wohin ich hätte gehen können und der Gedanke, allein zwischen Killerbäumen umherzuirren, schien mir auch nicht besonders einladend. Außerdem tobten schon wieder neue Fragen in meinem Kopf, deren Antworten mir nur Cuinn liefern konnte. Was war das für ein Mal unter seinem Schlüsselbein? Und waren ab hier alle Bäume diese Trévarda?

      Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht, atmete tief durch und versuchte, mich zusammenzureißen. Mit festem Schritt wanderte ich weiter. Dennoch hielt ich weiterhin Abstand zu Cuinn und untersuchte jeden Baum argwöhnisch auf Gesichter und Bewegungen, die nicht durch den Wind verursacht wurden.

      NEUN

      Mein Magen knurrte. Ich hätte Cuinn um eine weitere Pause bitten können – eine richtige Pause ohne Flucht vor Jägern. Aber ich konnte immer noch kein Wort mit ihm wechseln, selbst dann noch nicht, als die Sonne bereits untergegangen war und Cuinn von sich aus vorschlug, erst einmal zu rasten.

      „Wir schaffen es heute nicht mehr bis zu den Feuergeistern. Aber morgen werden wir sicher ankommen“, meinte Cuinn, als wir nebeneinander auf dem Waldboden saßen und an unseren Brötchen nagten.

      Ich blieb stumm und starrte in das wärmende Feuer, das Cuinn mit einem Fingerschnipsen entfacht hatte und nun neben uns loderte.

      „Bist du immer noch sauer?“, fragte Cuinn nach einer Weile.

      Ich biss mir auf die Unterlippe, um mein Schweigen zu bewahren. Das war gar nicht so leicht, denn als er die Frage stellte, merkte ich erst, wie sauer ich wirklich war.

      „Sie hätten uns umgebracht.“

      Ich gab mein Schweigen auf und giftete ihn an. „Und bist du jetzt besser als sie, wo du sie umgebracht hast?“ Dabei funkelte ich ihn wütend an.