Franziska Hartmann

Das Tal der Feuergeister


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vom Erdboden entfernt und bestanden aus ineinander verschlungenen Ästen und Zweigen, die sich über der Hütte dann in alle Richtungen streckten, wie die einer gewöhnlichen Baumkrone. Am Fuße des Abhangs grenzte eine hohe steinerne Mauer das Tal vom Rest des Waldes ab. Direkt vor uns bot jedoch ein offenes, aber bewachtes Tor einen Weg ins Tal.

      Cuinn schlitterte den Abhang hinunter, sodass ich kaum folgen konnte. Erstaunlich, wie schnell Cuinn war, obwohl er Doran auf dem Rücken trug. Fae sauste wie ein schwarzer Pfeil hinterher.

      „Wir brauchen Hilfe!“, hörte ich Cuinn rufen, als er noch einige Schritte vom Tor entfernt war.

      Es standen zwei Wachen vor dem Tor. Ihre Ähnlichkeit war verblüffend. Sie beide waren groß gewachsen und schlank, hatten lange, blonde Haare und goldene Augen. Sie trugen beide eine Lederrüstung, in die irgendwelche schnörkeligen Muster geprägt waren. Als ich fast direkt vor ihnen stand, erkannte ich, dass es Flammenmuster waren, die sich über die Armschienen und quer über den Torso schlängelten. Jedoch begutachtete ich die Rüstungen kaum weiter. Sie hatten goldene Augen. Wie Doran eines hatte. Doran war ein halber Feuergeist. Und wenn Doran Cuinns Bruder war… Ich öffnete den Mund, konnte mich aber gerade noch zusammenreißen, um Cuinn nicht: Du bist ein halber Feuergeist! zuzurufen.

      Wir kamen vor den Feuergeistern zum Stehen. „Mein Bruder“, keuchte Cuinn. „Er hat Blüten von der Teufelsranke zu sich genommen.“

      „Du bist Cuinn“, äußerte einer der Wachen und sah ihn argwöhnisch an. „Cuinn Lasair.“

      „Bitte“, flehte Cuinn. „Er stirbt sonst.“

      Die Wachen wechselten einen Blick miteinander. Dann winkte einer von ihnen einen weiteren, etwas jünger aussehenden Feuergeist zu sich. „Rowan, bring das kranke Halbblut zu unseren Heilern.“

      Cuinn übergab seinen Bruder dem Feuergeist, der ihn aus unserem Blickfeld trug, gefolgt von einem aufgebrachten schwarzen Vogel. „Danke.“

      „Du weißt, wir können dich nicht einfach eintreten lassen“, sprach die Wache weiter. „Und schon gar nicht mit einem… Warum ist ein Mensch an deiner Seite?“

      Zwei golden glühende Augenpaare musterten mich und ich spürte, wie ich innerlich immer kleiner wurde. „Ich komme nicht von hier, ist kompliziert“, wiederholte ich einfach die Worte, die Cuinn Doran gegenüber gesagt hatte.

      „Wir brauchen einen Drachen, um sie wieder nach Hause bringen zu können“, erklärte Cuinn. „Und auch aus anderen Gründen möchte ich genau dorthin: zu den Drachen. Ich muss zu Créla auf den Feuerberg.“

      „Nun, wie gesagt, wir können dich nicht eintreten lassen. Wir werden Herrin Honora um Erlaubnis bitten müssen und noch wichtiger…“

      Die Wache wurde von einem lauten Klirren unterbrochen. Wenige Meter hinter dem Tor stand eine zierliche junge Frau. Ihre engelsblonden Haare fielen in sanften Wellen über ihre Schultern und reichten ihr bis zur Hüfte. Der im Sonnenlicht golden schimmernde Stoff ihres rostroten Kleides reichte bis zu ihren Füßen, um die herum unzählige Tonscherben verstreut lagen. Eine Hälfte ihres schmalen, spitzen Gesichts war von Brandnarben übersät. Sie starrte Cuinn mit großen Augen an. Mit großen, dunkelbraunen Rehaugen.

      „Lilly“, hörte ich Cuinn flüstern.

      Ein weiterer Feuergeist trat an die Seite der Frau. Er zog sie schützend an sich und funkelte Cuinn verächtlich an. „Ihr Name ist Aida.“ Liebevoll strich er ihr mit der Hand über die Wange.

      „So ein Unsinn!“, rief Cuinn entrüstet. „Was habt ihr mit ihr gemacht? Lilly, sag etwas!“ Cuinn wollte durch das Tor stürmen, doch die Wachen hielten ihn links und rechts an den Schultern fest.

      Ich wusste nicht, was hier vor sich ging. Ich wusste nicht, wer diese Frau war, ob sie nun Lilly oder Aida hieß und warum sie Cuinn so wütend machte.

      Sie drückte die Hand des Feuergeists an ihrer Seite sanft fort und trat mit wackeligen Schritten über die Scherben auf Cuinn zu, der immer noch von den Wachen festgehalten wurde. Vor dem Tor blieb sie stehen. In ihren Augen lag so viel Traurigkeit und Schmerz, dass ich das Gefühl hatte, zu fallen und mich in ihnen zu verlieren, wenn ich zu lange hineinsah.

      „Ich bin Aida. Aida aus der Familie Azura“, sagte sie mit erstaunlich fester Stimme. „Lilly wurde von den Flammen verschlungen. Du hast sie verbrennen lassen, Cuinn. Lilly Lasair ist tot. Du wirst deine kleine Schwester niemals wiedersehen.“

      ZEHN

      Kalte Stille erfüllte die Luft. Aida fixierte Cuinn mit ihrem leidvollen Blick. Da ich einen Schritt hinter Cuinn stand, konnte ich sein Gesicht nicht erkennen. Doch sein Körper war zum Zerreißen angespannt.

      Die Wache zu seiner Rechten beugte sich ein Stück zu ihm hinunter. „Was ich sagen wollte: Noch wichtiger ist beinahe die Frage, ob Fräulein Azura damit einverstanden ist. Ich schätze, du hast gerade ein Nein bekommen.“

      „Ich möchte mit Herrin Honora persönlich sprechen“, forderte Cuinn. „Ich verlange keine Unterkunft, keine Verpflegung. Ich möchte nur durchreisen, um zu den Dracheneiern zu gelangen.“

      „Herrin Honora hat momentan keine Zeit für dich und die Dracheneier sind bei Créla sicher.“ Die Wachen stießen Cuinn einen Schritt zurück.

      „Aber ich habe mich den ganzen weiten Weg durch diesen gruseligen Wald gekämpft, nur um einen Drachen zu finden, der mich wieder nach Hause bringen kann!“, warf ich ein, ohne große Hoffnung, dass es etwas bringen würde.

      Aida sah mich eine Weile an. „Lasst sie hinein“, sagte sie dann zu den Wachen. „Wir können ihr helfen, sobald die Drachen geschlüpft sind.“

      „Was?“, quiekte ich. „Ich gehe aber nicht ohne Cuinn!“

      In diesem Moment legte Cuinn mir eine Hand auf den Rücken und schob mich vorwärts durch das Tor. „Warte, halt!“, rief ich, doch da stand ich schon auf der anderen Seite neben Aida. Ich sollte hier ganz allein unter den Feuergeistern bleiben? Ich drehte mich um und sah Cuinn schockiert an.

      Er sah schrecklich aus. Sein Blick war so enttäuscht und hoffnungslos, dass es mir das Herz brach.

      „Geh mit ihnen, Katja“, sagte er. „Sie bringen dich Heim.“

      Und plötzlich wurde mir klar, dass ich das gar nicht wollte. Ich wollte nicht zurück nach Hause. Nicht mit diesem todunglücklichen Cuinn im Gedächtnis, nicht mit dem Wissen, dass der Zauberwald vielleicht dem Untergang geweiht war.

      „Gerit, wir bringen sie in unserem Gästezimmer unter. Würdest du sie schon mal dort hinbringen?“, bat Aida den Feuergeist hinter ihr, von dem ich annahm, dass er ihr Freund war.

      „Natürlich“, antwortete er und trat auf mich zu.

      Ich zuckte zurück und stolperte einfach wieder an den Wachen vorbei zu Cuinn.

      „Was tust du?“, zischte Cuinn.

      „Ich warte mit dir hier“, sagte ich. „Wir warten hier, bis Herrin Honora ihr Einverständnis gegeben hat und dann gehen wir gemeinsam.“

      Ich bemerkte, wie die Wachen mich amüsiert belächelten. Aida hingegen schien eher wütend darüber, dass ich mich auf Cuinns Seite stellte. „Du wirst lange warten müssen. Denn Herrin Honora wird nicht zulassen, dass Cuinn mir zu nahe kommt.“ Sie nahm Gerits Hand. „Lass uns gehen, bitte.“

      Auch als die beiden sich zum Gehen abwandten, haftete Aidas Blick noch an Cuinn. Erst als sie einige Schritte gegangen waren, drehte sie ihren Kopf nach vorn.

      „Wir werden Herrin Honora über eure Ankunft informieren. Allerdings kann ich euch nicht sagen, wann ihr Antwort erhalten werdet. Aber wenn ihr in der Nähe des Tores rastet, können wir euch mit Speis und Trank versorgen“, bot eine der Wachen an.

      Ich schaute zu Cuinn, erwartete, dass er irgendetwas sagte. Aber er starrte einfach nur zu Boden und schien mit seinen Gedanken weit weg zu sein. Also übernahm ich das Wort und bedankte mich bei den Wachen. Dann schnappte