Franziska Hartmann

Das Tal der Feuergeister


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      Doch plötzlich schoss ich nach oben, als würde mich etwas von unten antreiben. Das Wasser strömte an meinem Körper vorbei. Als mein Kopf durch die Wasseroberfläche brach, ließ der Schub nach. Ich versuchte zu atmen, stattdessen hustete ich. Einen Augenblick später tauchte Cuinn neben mir auf. Er drückte mich zum Ufer, kletterte aus dem Wasser und zog mich hinterher. Ich stützte mich mit den Händen vom Boden und hustete weiter, so heftig, dass ich dachte, es würde mir die Lunge zerfetzen. Als ich mich nach einer Weile beruhigt hatte, begann ich zu zittern. Ich setzte mich in den Schneidersitz und rieb mir die Arme.

      Cuinn griff nach seinem Umhang, den er offenbar abgeworfen hatte, bevor er mir hinterher in den Fluss gesprungen war, und legte ihn um meine Schultern. Ich zog den kuscheligen Stoff enger um mich und bemerkte, dass ich meine eigene Jacke im Fluss verloren haben musste.

      „E-e-es tut m-mir leid“, bibberte ich und klang dabei schrecklich weinerlich.

      Wortlos rückte Cuinn dichter zum Fluss und füllte seinen Trinkschlauch darin auf. Ängstlich beobachtete ich ihn dabei, in der Erwartung, die Nixe könnte jeden Augenblick wieder auftauchen. Aber nichts geschah.

      Mein Körper bebte und ich hörte trotz des wärmenden Umhangs nicht auf zu frieren. Mit den Zähnen klappernd betrachtete ich zum ersten Mal, seit wir wieder an Land waren, Cuinn genauer. Das Biest hatte drei beachtliche Furchen auf seiner linken Wange hinterlassen. Sie zogen sich von der Schläfe bis zum Kinn hinunter und waren tief genug, dass etwas Blut hinaussickerte. Die umliegende Haut war ebenfalls gereizt gerötet. Sein rechter Hemdärmel war zerschlissen und auch darunter erkannte ich Kratzspuren an seinem Unterarm.

      „W-w-wirklich… Es t-t-tut mir leid“, wiederholte ich. Je länger er schwieg, desto schlechter wurde mein Gewissen.

      Endlich machte sich die Wut in seinem Blick breit, auf die ich gewartet hatte. „Ich habe dir gesagt, du sollst sie ignorieren. Dich von ihnen fern halten. Was ist so schwer daran?“

      Ich wollte antworten, doch meine klappernden Zähne machten eine umfangreiche Antwort schwierig. Deshalb sah ich einfach nur beschämt zu Boden. Er hatte recht. Ich hatte seine Worte im Kopf gehabt und sie trotzdem ignoriert. Ich war vollkommen unfähig, auf mich selbst aufzupassen. Das Gefühl von Heimweh flammte in mir auf, schmerzte, zog in meiner Brust. Ich wollte weg von diesem ganzen Magieunfug, von all diesen Gefahren, von denen ich keine Ahnung hatte. Zwei aufeinanderfolgende Tage, an denen ich zweimal fast gestorben wäre, waren eindeutig zu viel. Mit aller Gewalt unterdrückte ich die aufsteigenden Tränen. Wenn ich schon so schwach war, dass Cuinn mich ständig retten musste, würde ich zumindest nicht vor ihm weinen.

      Entschlossen stand ich auf. Meine Beine waren wackelig und die Welt um mich herum drehte sich. Trotzdem ging ich entschieden zurück zu dem Punkt, wo ich Cuinn verlassen hatte.

      „Katja?“

      Ich drehte mich nicht zu Cuinn um. Ich hörte, wie er aufstand und mir nachlief.

      „Du solltest dich noch etwas ausruhen.“

      „V-vernünftig essen“, antwortete ich und hoffte, dass er mit dieser kurzen Aussage verstand, dass ich ihn an unser Ziel erinnern wollte. Er hatte gesagt, wir kämen bald an einen Ort, an dem wir vernünftig essen könnten. Momentan konnte ich mir nichts Schöneres vorstellen. Und ich würde sicher nicht der Grund sein, warum wir diesen Ort heute nicht mehr erreichten.

      „Wenn du dich noch eine Weile erholst, sollten wir es auch noch schaffen.“

      Was sollte das? Machte er sich plötzlich Sorgen um mich? Sollte er doch lieber weiter den unbarmherzigen Kommandeur spielen, der mich zu endlosen Gewaltmärschen trieb. Ich wollte nicht mehr das Weichei sein, das er beschützen musste. Warum fing er ausgerechnet jetzt damit an, nett und rücksichtsvoll zu sein?

      „Geht schon“, presste ich hervor. Der Boden unter meinen Füßen bewegte sich und ich hatte bei jedem Schritt Mühe, nicht einzuknicken. Nach ein paar Schritten stolperte ich über eine Baumwurzel und fiel zu Boden. „Mist“, fluchte ich und betrachtete meine aufgeschürften Hände und die Löcher in meiner Hose. Natürlich war ich nicht aufs weiche Moos, sondern inmitten von kleinen spitzen Steinchen gefallen.

      Cuinn stand nur mit verschränkten Armen vor mir und betrachtete mich mit einem Blick, der sagte: „Selbst schuld.“

      Ich wischte mir den Dreck von den Händen und wollte wieder aufstehen, doch ich konnte nicht. Meine Beine wollten nicht mehr.

      Cuinn nahm meine Handgelenke und half mir auf. „Du möchtest unbedingt weiter?“

      Ich nickte entschlossen.

      Dann wandte er mir den Rücken zu und ging in die Hocke. „Steig auf.“

      Ungläubig starrte ich auf seinen Rücken.

      „Na komm schon, bevor ich es mir anders überlege“, sagte er ungeduldig.

      Ich schloss die Schlaufe seines Umhangs, damit er nicht von meinen Schultern rutschte, kletterte auf seinen Rücken und legte meine Arme um seinen Hals.

      „Das mache ich nur so lange, bis du wieder gerade laufen kannst. Gut festhalten.“ Mit einem Ruck richtete er sich wieder auf und ich klammerte mich fester an ihn, um nicht herunterzufallen.

      Ich ärgerte mich, dass ich nicht selbst laufen konnte und Cuinn nun doch wieder zur Last fiel.

      Unser Weg führte uns wieder durch offenere Gegenden des Waldes. Die Bäume standen weiter auseinander, sodass das orangegelbe Licht der Nachmittagssonne meinen Rücken wärmte. Gleichzeitig nahm ich Cuinns Körperwärme auf, sodass ich tatsächlich nach einer Weile nicht mehr fror und mich etwas entspannen konnte, auch wenn meine triefnassen Klamotten nicht sehr gemütlich waren. Ich legte meinen Kopf an Cuinns Schulter und schloss die Augen. Der Wind rauschte sanft durch die Baumkronen und ließ die Blätter rascheln. Ich hörte Vögel zwitschern und in der Ferne Wasser plätschern. Es duftete nach Frühling. Jetzt, wo sich meine Muskeln allmählich entkrampft hatten und ich mich sicher fühlte, kam mir der Wald wieder bezaubernd vor, wie als ich ihn das erste Mal gesehen hatte.

      Ich rechnete damit, dass Cuinn mich jeden Augenblick von seinem Rücken herunterschubsen und dazu verdonnern würde, selbst weiterzulaufen. Doch wider Erwarten blieb diese Reaktion aus. Die Zeit verstrich, die Sonne machte einem klaren Sternenhimmel Platz und Cuinn ließ erst wieder von sich hören, als er mir mitteilte: „Wir sind da.“

      SIEBEN

      Ich blinzelte ein paarmal. Vor uns stand eine kleine Hütte. Die Bruchsteine des Mauerwerks waren von Moos und Efeu überwuchert und durch die Schlitze der hölzernen Fensterläden drang schummriges Licht.

      Cuinn ließ meine Beine los, sodass ich von seinem Rücken herunterrutschen konnte. Er trat an die bogenförmige Haustür und klopfte an. Auf Augenhöhe war ein kleines Guckloch in die Holztür eingelassen, das von innen mit einer Holzscheibe verschlossen schien. Nun wurde die Scheibe jedoch beiseitegeschoben. Für einen kurzen Moment schimmerte das Dämmerlicht durch das Löchlein, wurde dann jedoch verdeckt, als jemand hindurchlugte. Die Scheibe fiel zurück vor das Loch und als nächstes hörte ich, wie Riegel verschoben wurden und Ketten rasselten. Die Tür sprang auf und vor uns stand eine kleine alte Frau. Sie hatte eine rundliche Figur und trug ihr grauweißes Haar zu einem Zopf gebunden. Ihr langärmliges Leinenkleid sah im knappen Licht graugrün aus und sie trug darüber eine Schürze.

      „Mein Junge!“, rief sie aus und fiel Cuinn um den Hals. Dann trat sie wieder einen Schritt zurück und zupfte an Cuinns zerschlissenem Hemd. „Wie siehst du denn aus? Hast du dich mit einem Wolf angelegt?“

      „Eine Aquare“, antwortete Cuinn.

      Die Frau schüttelte den Kopf. Dann blieb ihr Blick an mir hängen. „Und wen hast du da mitgebracht? So ein hübsches Mädchen.“

      Ich spürte, wie mir die Röte ins Gesicht stieg.

      „Katja, eine Freundin“, erklärte Cuinn. „Sie hat mich nach Hause gebracht.“

      „Nach Hause gebracht? Das klingt nach einer längeren Geschichte.“ Die