Franziska Hartmann

Das Tal der Feuergeister


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und türmten sich zu einem hohen Hügel auf, der nahezu alle anderen in der Landschaft überragte – nur ein einziger Berg, dessen Kuppe hinter den Bäumen hervorlugte, konnte den Wald noch übertrumpfen. Es war, als würde der Wald über seine Umgebung wachen, als sei er eine Festung und gleichzeitig dessen Bewohner, ein Thron und gleichzeitig König. Ich hatte noch nie einen so atemberaubend schönen, majestätisch wirkenden Wald gesehen und im selben Moment wurde mir klar, wie bescheuert dieser Gedanke klang, denn wie konnte eine Ansammlung von Bäumen majestätisch wirken? Doch der Wald übte eine Faszination auf mich aus, der ich mich nicht entziehen konnte. Es fiel mir nicht leicht, mich von ihm abzuwenden, um mich wieder an Cuinn zu richten.

      „Wo ist Chloe?“, fragte ich nun leiser. „Sie soll mich wieder nach Hause bringen.“

      Cuinn schüttelte den Kopf. „Das geht nicht.“

      „Warum nicht?“

      „Es funktioniert nicht in die andere Richtung.“ Er sah mich mit einem Blick voller Bedauern an.

      „Na großartig!“, stöhnte ich. „Aber du bist doch auch von hier zu mir gekommen.“

      „Das war ein Unfall. An welchem ich zudem nicht alleine beteiligt war.“

      „Und wie komme ich jetzt nach Hause?“, wollte ich wissen.

      Cuinn zog die Augenbrauen zusammen und überlegte eine Weile. „Es gibt nur eine Art von Wesen, die genug magische Kraft besitzen könnte, dich nach Hause zu bringen.“

      „Die da wäre?“

      „Drachen.“

      Mein Gesicht musste nur noch aus Augen bestehen, so wie ich Cuinn anstarrte. „Gibt es die hier?“

      Cuinn nickte und sein Mund verzog sich zu einem sanften Lächeln. „Einen einzigen gibt es noch. Ich weiß aber nicht, ob sie im Moment in der Lage dazu ist, dich nach Hause zu bringen. Aber schauen wir nach, ich möchte so oder so zu ihr.“

      „Zu ihr? Also eine Drachin?“

      „Ja, Lou“, antwortete Cuinn. „Folg mir.“ Er begann, Richtung Wald zu marschieren.

      Mein Kopf kam nicht mehr mit. Verwirrt stolperte ich ihm hinterher. „Moment, ich dachte, Lou wäre so etwas wie deine Freundin, so eifersüchtig wie Chloe war. Und Lou ist ein Drache?“

      „Lou ist meine Freundin, ja.“ Cuinn schien nicht in der Stimmung für Erklärungen zu sein.

      „Aber sie ist ein Drache!“, wandte ich ein. Wie konnte er, ein Mensch, meinetwegen auch ein Magier, aber ein ziemlich menschlicher Magier, mit einem Drachen zusammen sein?

      „Drachen sind Gestaltwandler“, erzählte Cuinn. „Als ich sie kennenlernte, hatte sie menschliche Gestalt angenommen. Und ich war damals noch nicht geübt genug, um zu erspüren, dass es sich bei ihr um einen Drachen handelte. Und hinterher war es mir egal, was sie ist. Sie ist Lou und ich liebe sie, egal, ob Mensch, Drache oder eine ganz andere Gestalt.“

      Ich zwang mich, mich mit dieser Erklärung zufrieden zu geben. Doch ein Teil von mir war drauf und dran, wahnsinnig zu werden, das spürte ich. Ich war an einem Ort, der eigentlich gar nicht existieren dürfte und lief einem Typen hinterher, der magische Kräfte besaß, einen Drachen zur Freundin hatte – und zwar wortwörtlich – und dessen Freundeskreis allgemein größtenteils aus magischen Wesen zu bestehen schien. Das war zu verrückt, um wahr zu sein.

      Ich hatte Mühe, mit Cuinn Schritt zu halten. Offenbar war er wesentlich längere und häufigere Fußmärsche gewohnt als ich und hatte sich einen beachtlich schnellen Gang angeeignet. Vielleicht lag es auch einfach daran, dass er fast einen Kopf größer war als ich, was bei meinen mickrigen einen Meter fünfundsechzig nicht allzu schwer war, und dementsprechend längere Beine hatte. Ich lag auf dem gesamten Weg zum Wald mindestens fünf Meter hinter ihm. Erst, als er den Schatten der Bäume erreicht hatte, blieb er stehen und drehte sich zu mir um.

      „Weich mir von jetzt an nicht von der Seite. Hier kann man sich leicht verirren“, warnte er mich.

      „Alles klar…“, schnaufte ich. „Wenn du dir die Mühe machen würdest, einen Schritt langsamer zu gehen, bekomme ich das vielleicht auch hin.“

      Ich erntete nur einen verständnislosen Blick und als er wieder losmarschierte, wusste ich, dass er keine Rücksicht auf mich nehmen würde. Warum hatte ich ihm noch mal geholfen, nach Hause zu kommen? War das seine Dankbarkeit? Mich gnadenlos durch einen dunklen, unheimlichen Zauberwald zu scheuchen? Mühsam schleppte ich mich hinter ihm her, immer wieder schlugen mir Zweige ins Gesicht und ich stolperte über die Wurzeln der mächtigen Bäume. Ich achtete schon gar nicht mehr darauf, wo wir hingingen, sondern nur darauf, mir nicht noch mehr Schürfwunden zuzuziehen. Deshalb war es auch nicht verwunderlich, dass ich nicht mitbekam, als Cuinn Halt machte, und blind in ihn hineinlief.

      „Oh, sorry“, sagte ich und versuchte mich wieder zu sammeln.

      „Alles in Ordnung bei dir?“

      Ich zog eine Grimasse. „Klar, alles bestens. Ich laufe mit einem Magier durch ein fremdes Land, das vermutlich nicht mal auf meinem Planeten liegt, warum sollte nicht alles in Ordnung sein?“

      „Wir finden einen Weg, dich wieder nach Hause zu bringen“, versuchte Cuinn mich aufzumuntern. „Wir sind da.“

      Jetzt erst bemerkte ich die hohe Felsfront vor uns. Sie war Teil eines großen steinernen Hügels inmitten des Waldes, der hier und da von dunkelgrünem Moos benetzt war. Mir war noch nicht ganz klar, was es mit diesem Steinriesen auf sich hatte, bis Cuinn die rechte Hand hob und sich daraufhin das Gestein von links nach rechts ineinander schob und einen Eingang eröffnete. Ohne zu zögern, trat Cuinn ein, während ich draußen stehen blieb und versuchte herauszufinden, wo die Masse des Gesteins geblieben war.

      „Kommst du?“, fragte Cuinn und winkte mich hinein.

      Ich löste meinen Blick von der Stelle, an der sich Stein in Stein geschoben hatte und folgte Cuinn unsicher.

      Sobald ich den ersten Fuß in die Höhle setzte, umfing mich die Dunkelheit, die nur von einer wohlig warm flackernden Fackel durchbrochen wurde, die am anderen Ende der Höhle in einer Halterung am Fels befestigt war. Meine Augen brauchten einen Moment, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Erst dann erkannte ich, was in der Höhle auf uns wartete.

      Anfangs dachte ich, es sei ein großer Stein, der an der hinteren Höhlenwand lag. Doch nun konnte ich die Schuppen erkennen, die im Licht der Fackel in einem dunklen Violett glänzten. Die Flügel dicht am Rumpf und den langen Hals und Schwanz um den Körper gelegt, lag der Drache da. Ich versuchte, mir auszumalen, wie riesig dieses Wesen sein musste, wenn es seine Flügel entfaltete und nicht zu einem Päckchen zusammengerollt in einer Höhle kauerte, doch das überstieg in diesem Moment noch meine Vorstellungskraft. Ich schloss meinen Mund, als ich bemerkte, dass mir die Kinnlade heruntergeklappt war. Ein Drache. Ein richtiger Drache!

      Der Eingang schloss sich wieder hinter mir. Während Cuinn sich dem Drachen langsam näherte, blieb ich wie angewurzelt stehen. Obwohl es aussah, als würde der Drache schlafen und dieser sehr friedlich wirkte, erweckte der Anblick der Kreatur genug Respekt, um mich auf Abstand zu halten.

      „Lou?“, flüsterte Cuinn.

      Ein großes, faltiges Lid hob sich und entblößte ein wachsames Auge, dessen Iris in einem noch dunkleren Violett schimmerte als die Schuppen des Drachen. Angestrengt hob Lou den Kopf und versuchte, ihn zu Cuinn zu bewegen, doch auf halbem Weg ließ sie den Kopf wieder zu Boden sinken. Cuinn kniete sich neben sie, hob ihren Kopf an und bettete ihn auf seinem Schoß. Dann streichelte er ihr liebevoll über die Schnauze. Ihr schwerer Atem ließ ihre Nüstern beben.

      „Was haben sie dir angetan?“ Cuinn gab ihr einen Kuss auf die Stirn.

      Ich bemerkte, dass Lou die ganze Zeit ihren Blick auf mich gerichtet hielt.

      „Das ist Katja“, stellte Cuinn mich vor. „Keine Sorge, sie ist auf unserer Seite.“ Er erzählte ihr von seiner unfreiwilligen Reise in mein Wohnzimmer und wie ich ihm von dort wieder nach Glenbláth geholfen