Giorgos Koukoulas

Atlantis wird nie untergehen


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Andrions Jugendfreund und einer seiner besten Offiziere, erstattete seinem Obersten kurz Bericht. Andrion nickte befriedigt und gab einige letzte Anweisungen.

      „Sorge dafür, dass die Wachen alle sechs Stunden abgelöst werden, und setze unsere fähigsten Leute dafür ein. Ich muss mich in der nächsten Zeit um die Einschiffung der Bevölkerung kümmern.“ Er richtete sich zu voller Größe auf und sah seinem Offizier ernst in die Augen, bevor er ihn noch einmal mit Nachdruck warnte und dabei jedes Wort einzeln betonte: „Theomenes, gib acht, dass sich niemand dem Platz nähert. Es geht um Leben und Tod!“

      Verstört zögerte Theomenes einen Augenblick, bevor er antwortete. Selbst in den schwersten Kämpfen, als sie gemeinsam Feind und Tod ins Auge blicken mussten, hatte er seinen General nie so aufgewühlt erlebt.

      „Sorgt Euch nicht, mein General, ich werde mit meinem Leben dafür einstehen, dass Euer Befehl befolgt wird.“

      Der Offizier salutierte und machte sich auf den Weg zum bewachten Hauptplatz von Akrotiri. Andrion wandte sich an Sonchis.

      „Und nun, Ägypter, müssen wir uns um deine Abreise kümmern. Deine sichere Rückkehr in die Heimat ist nicht nur für mich, sondern auch für Strongyle von größter Bedeutung.“

      Sonchis wollte offenbar nur ungern an seine Abreise erinnert werden und wechselte das Thema.

      „Weißt du eigentlich, dass Prinzessin Astarte mit ihrem Gefolge heute Morgen in Akrotiri eingetroffen ist?“

      „Ja, das wurde mir berichtet.“

      „Hast du sie schon gesehen?”

      „Nein, ich habe weitaus dringendere Angelegenheiten zu regeln als unsinnige Höflichkeitsbesuche bei Prinzessinnen.“ Andrions Antwort war kühl, doch sein Freund ließ sich nicht täuschen.

      „Mein Lieber, vielleicht ist jetzt die Gelegenheit gekommen, die Dinge zwischen euch zu klären. Besser ein zerbrechliches Gleichgewicht als eine stetige Unausgewogenheit in eurer Beziehung. Im Anschluss an eure letzte Begegnung in der Nacht nach dem Fest …“

      „Es gibt nichts zu klären. Es ist alles gesagt. Wir haben keine Zeit mit kindischem Gerede zu verlieren“, unterbrach ihn Andrion abrupt. Es war offensichtlich, dass ihm nicht der Sinn danach stand, dieses Gespräch fortzusetzen. „In wenigen Stunden wird das Schiff, das Knossos gestern gesandt hat, nach Ägypten in See stechen. Die Vorbereitungen sind fast abgeschlossen. Sieh zu, dass du rechtzeitig dort bist. Ich will noch einmal die Wachen auf dem Platz überprüfen und die Anzahl der Schiffe überschlagen, die heute ablegen. Wenn ich fertig bin, treffe ich dich am Landungssteg.“

      „Andrion, wisse, dass man nicht versuchen soll, einen Fehler durch einen anderen auszugleichen.” Sonchis beharrte auf dem vorherigen Gesprächsthema, um seinem Freund einen guten Rat zu geben.

      Der General hob eine Augenbraue, sagte jedoch nichts dazu. Ohne zu antworten, drehte er sich um und ging zum Dreiecksplatz, um die Lage zu überprüfen.

      Theomenes hatte den Platz buchstäblich abgeschottet und war damit dem Befehl seines Generals in jeder Hinsicht nachgekommen. An allen Zugängen waren die Wächter in voller Alarmbereitschaft. Die stattlichen Gestalten hinter den achteckigen gewölbten Schilden, die ihnen bis zum Brustkorb reichten, fielen schon von Weitem ins Auge. Mit einer Hand stützten sie sich auf lange Speere, um die Hüfte war das Schwert gegürtet, und auf dem Kopf trugen sie Helme aus Bronze und Elfenbein. Panzer aus Bronzeplatten und Schichten von Tierhäuten schützten ihren Brustkorb.

      Ihre entwurzelten Landsleute trafen erschöpft aus den anderen Gegenden der Insel ein. Sie kannten sich in der Stadt nicht aus, und so war es abzusehen, dass sich viele von ihnen auf dem Weg zum Hafen verirrten und ziellos in den verlassenen Straßen herumtrieben. Auf keinen Fall durfte sich einer von ihnen dem Dreiecksplatz nähern. Als Begründung dafür wurde die Gefahr durch baufällige Gebäude in der Umgebung vorgeschoben.

      Andrions Inspektion war beendet. Er hatte sämtliche möglichen Zugangsstraßen zum bewachten Platz auf das Gründlichste überprüft. Er kehrte zu Theomenes zurück und verschaffte sich mit seiner Hilfe einen Überblick über die Abfahrt der Schiffe.

      „Im Hafen liegen zurzeit einundzwanzig Schiffe. Sechs aus Knossos, davon soll eins Ägypten anlaufen. Drei aus Malia und weitere drei aus Phästos. Archanes, Zakros, Melos und Kudonija haben je zwei Segler geschickt und Kythera einen. Dann sind da noch zwei unserer Kriegsschiffe, die schon einmal Flüchtlinge befördert haben und unverhofft schnell zurückgekommen sind.“

      Andrion überschlug rasch die letzten Zahlen, die auf einer Tafel eingeritzt waren. Sie benötigten noch ungefähr achtzig Schiffe, um die Räumung der Insel abzuschließen. Von den ungefähr dreihundert Schiffen, die insgesamt zu Strongyles Flotte gehörten, waren ihnen noch siebzig verblieben. Alle anderen hatten sie bei der ersten Katastrophe im Haupthafen und im gesamten Umkreis des Meeresrings verloren. Gemeinsam mit ihnen waren auch hundert Schiffe von den übrigen Königtümern des minoischen Reiches, die an jenem Tag bei der Insel vor Anker lagen, untergegangen.

      Im Sommer und im Frühjahr erreichten Seefahrt und Handel wegen der günstigen Wetterverhältnisse ihren Höhepunkt. In den anderen Monaten verboten sich weite Seereisen fast gänzlich. Es war also ganz natürlich, dass der Hafen von Strongyle in dieser Jahreszeit dicht belegt war. Die Lage der Insel inmitten der Ägäis machte sie zum größten Umschlagplatz des Reiches. Der Großteil der Handelsflotte der neun Paläste lief gewöhnlich den Hafen von Strongyle an, um vor dem endgültigen Ziel noch einmal die Vorräte aufzufrischen.

      Wenn er die mittlere Fahrtzeit der Schiffe in Verbindung mit den Wetterverhältnissen der letzten Tage zugrunde legte, konnte Andrion damit rechnen, dass mindestens sechzig von ihnen in den nächsten zwei Tagen zurückkehrten. Sie gehörten zu denen, die von der stark geschrumpften Flotte der Insel erhalten geblieben waren. Die schnellen Kriegsschiffe, die ebenfalls für die Räumung eingesetzt worden waren, wurden bis zum späten Abend zurückerwartet. Die beiden ersten waren schon angekommen. Es war also möglich, sein gesamtes Volk zu retten.

      „Alle einundzwanzig Schiffe, die im Hafen liegen, müssen bis zum Ende des Tages beladen und zum Aufbruch bereit sein. Gib den Familien Vorrang, besonders denen mit schwangeren Frauen, Säuglingen und Kleinkindern.“

      Theomenes hörte den Anweisungen aufmerksam zu, als sie durch die Ankunft eines Boten unterbrochen wurden. Er war außer Atem, und dicke Schweißtropfen rannen von seiner Stirn. Seine Kleidung und die gepflegte Erscheinung wiesen darauf hin, dass es sich um den Diener oder Schreiber eines Adligen handelte.

      „Ich habe eine dringende Botschaft für General Andrion.”

      „Das bin ich. Ich höre!”

      „Ich komme vom königlichen Landhaus, wo sich Prinzessin Astarte mit ihrem Gefolge aufhält. Sie erwartet Euren Besuch, um ihre Abreise zu besprechen.“

      Andrion zögerte, bevor er antwortete. Er runzelte die Stirn und rieb sich das Gesicht. Unter anderen Umständen reagierte der General in ähnlich zwiespältigen Situationen schneller. Schließlich erwiderte er zögernd:

      „Richte der Prinzessin aus, dass ich sie heute am späten Abend aufsuchen werde, sobald das letzte Schiff abgelegt hat.”

      Mit einem kurzen Nicken entließ er den Boten. Eilig, jedoch nicht ohne die gebotene Ehrerbietung, grüßte der junge Mann und entfernte sich im Laufschritt.

      Andrion versuchte um jeden Preis, der Begegnung mit Astarte aus dem Weg zu gehen. Angesichts der verheerenden Zerstörungen hatte er beschlossen, dass die Rettung seines Volkes, dem er stets selbstlos diente, Vorrang hatte. Seine eigenen Angelegenheiten und seine Gefühle mussten zurückstehen. Auch wenn er in Wirklichkeit innerlich vor Sehnsucht darauf brannte, die Prinzessin wiederzusehen, und sei es nur kurz, um die Ereignisse jener Nacht zu klären, die er nicht für einen Augenblick aus seinen Gedanken vertreiben konnte. Doch das Schicksal hatte bereits eigene Pläne geschmiedet, um ihn aus seiner Zwangslage zu befreien.

      Ein Soldat nahte in wildem Galopp und brachte sein Pferd nur wenige Schritte vor den beiden Männern gewaltsam zum Stehen. Eine Staubwolke wirbelte auf, als der Braune