Giorgos Koukoulas

Atlantis wird nie untergehen


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Leben in unserem Planetensystem ist eine zu vernachlässigende Größe. Bemerkenswert ist, dass diese beiden Himmelskörper für einen einfachen Beobachter auf der Erde so aussehen, als hätten sie am Himmel genau die gleiche Größe. Während der Mond vierhundert Mal kleiner ist als die Sonne, befindet er sich durch einen enormen Zufall in einer Distanz zur Erde, die genau vierhundert Mal geringer ist als die der Sonne. Das führt dazu, dass sich der Mond an bestimmten Tagen zwischen Erde und Sonne schiebt und dabei die Sonne vollständig verdeckt, wodurch er für die Zeit der Sonnenfinsternis alles ins Dunkel taucht.

      Daran erinnerte Alexandros die Beziehung des Paars, das neben ihm saß. Takis, ein unbedeutender felsiger Himmelskörper, dem es durch Umstände, die er nicht begreifen konnte, seltsamerweise gelungen war, einen strahlenden Stern wie Aphrodite, griechisch für Venus, zu verdunkeln.

      Er fasste sich ein Herz und traute sich, den geschwätzigen Redefluss ihres Verlobten kurz zu unterbrechen. Er war sich nicht sicher, ob der Professor seinen Vorschlag gutheißen würde, aber sein Bedürfnis, noch einmal für wenige Augenblicke mit Afroditi allein zu sein, ließ sich nicht unterdrücken. Er mochte sich bei Mutproben nicht besonders hervortun, aber er war genial darin, sich bestimmte Konstellationen auszudenken. Sein Herz schlug wie verrückt, sein Mund war trocken, aber er nahm sich zusammen, um sich mit dem sachlichen Ton des professionellen Archäologen auszudrücken. Er sprach zögernd, suchte nach unpersönlichen Formulierungen und war sparsam mit seinen Worten.

      „Afroditi, der Professor und ich sind wegen einer archäologischen Forschung hier, die auch einige geologische Funde in Akrotiri umfasst und deren genauere Untersuchung uns nicht möglich ist. Deine Erfahrung und deine wissenschaftliche Qualifikation auf diesem Gebiet wären für uns sehr wertvoll. Könntest du vielleicht ein wenig Zeit erübrigen, um uns zu helfen?“

      Die junge Frau war von dem unerwarteten Angebot überrascht. Doch bevor sie antworten konnte, kam ihr der stämmige Freund an ihrer Seite zuvor.

      „Aber ja, natürlich, eine schöne Gelegenheit ... Mein Afroditchen fängt nämlich an, sich bei all den Annehmlichkeiten und dem Luxus meiner Hotelsuite in Imerovigli zu langweilen. Das wäre eine gute Gelegenheit für sie, etwas Nützliches zu tun!“

      Alexandros’ Herz schlug wieder in einem schnellen, unregelmäßigen Takt, dieses Mal aber vor lauter Wut und Ärger über das unmögliche Verhalten, das dieser Typ gegenüber der Liebe seines Lebens an den Tag legte. Als er aber gleichzeitig Afroditi anschaute, erkannte er ein kaum merkliches zufriedenes Lächeln, das ihn im letzten Moment davon abhielt, sich in ein Wortgefecht zu verwickeln. Für die Dauer eines Herzschlags, nur für einen unendlich winzigen Moment, trafen sich ihre Blicke. An ihren ausdrucksvollen Augen konnte er ablesen, dass auch sie versuchte, ein Wiedersehen mit ihm einzufädeln.

      Er erinnerte sich an die einmalige Art ihres Blickkontakts, als sie noch ein Paar waren. Es steckt dem Menschen im Blut, schon fast sofort vom Beginn seines Lebens an mit den Augen zu kommunizieren. So ist es kein Zufall, dass das Erste, worauf ein Säugling bei allen Reizen aus seiner Umgebung reagiert, die Augen sind. In den ersten sechs Monaten rufen bei einem Baby vor allem die optischen Kontakte Reaktionen hervor und normalerweise auch das erste Lächeln. Beinahe von dem Moment an, als er Afroditi kennenlernte, bildeten die bedeutungsvollen Blicke zwischen ihnen die Grundlage ihrer Beziehung.

      Der Professor verabschiedete sich rasch von der Runde, sobald er bemerkt hatte, dass das Ziel erreicht war, und schob als kleine Entschuldigung seine Arbeit vor. Alexandros vereinbarte – so formell und professionell er nur konnte – mit der jungen Geologin, sich mit ihr in zwei Stunden am Eingang zur archäologischen Stätte von Akrotiri zu treffen.

      Nikodimos konnte es sich auf keinen Fall verkneifen, eine Bemerkung zu dieser Begegnung zu machen, sobald sie sich dem Ausgang des Lokals näherten. Er wusste genau, wie er mit kleinen Sticheleien Antworten hervorlocken konnte.

      „Eine nette junge Frau, diese Afroditi, schade, dass sie mit so einem Typen zusammen ist.“

      Alexandros war noch ganz durcheinander und lief wie ein Schlafwandler neben ihm her; er hatte sich von der Intensität der Augenblicke, die er gerade erlebt hatte, noch nicht erholt.

      „Ja ... ja, sehr schade ...“

      Mit der leicht abgewandelten mäeutischen Methode, der sogenannten Hebammenkunst des Sokrates auf dem Weg zur Erkenntnis, setzte der Professor seine Befragung fort, um zur erwünschten, aber auch erwarteten Schlussfolgerung zu gelangen.

      „Ihr beiden wart bestimmt einmal sehr gute Freunde. Sie scheint eine besonders interessante Persönlichkeit zu sein, auch wenn es ihr dieser Neandertaler an ihrer Seite nicht erlaubt hat, bei unserem Gespräch heute auch nur einen Satz zu Ende zu führen.“

      „Sie ist wirklich eine sehr begabte junge Wissenschaftlerin, mit einem bemerkenswerten Engagement für ihr Fachgebiet.“

      „Und sehr hübsch ...“

      Es würde nichts bringen, sich weiter zu verstecken. Die frivole und gleichzeitig freundliche Miene seines Mentors zeigte ihm, dass er die Art seiner Beziehung zu Afroditi bereits durchschaut hatte. Es war eine Gelegenheit, sich von der Bürde zu befreien und mit einem vertrauten Freund zu sprechen.

      „Ich weiß nicht, was ich mir dabei gedacht habe, als ich dieses Treffen so unbefangen ausgemacht habe. Es ist doch verrückt, die Frau ist schließlich verlobt. Ich habe von dieser Verabredung nichts zu erwarten außer sehnsüchtigen Erinnerungen und Enttäuschungen. Außerdem wird sie die Lüge, die ich ihr als Vorwand aufgetischt habe, um sie ein wenig allein zu sehen, sofort durchschauen. Ich mache mich noch mehr zum Affen als ihr Verlobter. Keine Ahnung, wie ich unser Treffen begründen soll. So einen Schwachsinn habe ich schon immer gemacht ... Was für ein unreifes Verhalten. Wenn ich mit dieser Frau zusammen bin, weiß ich nicht mehr, wo es lang geht!“

      Es brach wie ein Sturzbach aus ihm hervor, kritisch und streng gegen sich selbst. Der Professor machte diesem Wortschwall rasch ein Ende.

      „Was meinst du denn für eine Lüge? Aber selbstverständlich brauchen wir die Kenntnisse deiner jungen Freundin.“

      Alexandros blieb wie versteinert stehen, starrte ihn mit offenem Mund an und wartete auf seine nächsten Worte wie auf das Manna in der Wüste. Der Professor fuhr ungerührt fort:

      „Um meine Theorie zu stützen, brauchen wir einen Geologen, der sich mit Platons Landschaftsbeschreibungen beschäftigt und sie mit dem möglichen morphologischen und geologischen Bild sowohl des heutigen Thira als auch mit der Insel in der minoischen Zeit vergleicht.“

      „Stimmt auch wieder! Aber wie soll ich denn jetzt diese Verabredung in Akrotiri begründen?“

      „Ich hatte sowieso vor, dich zu den Ausgrabungen zu schicken, damit du dort ein paar Messungen durchführst. Die beste Art und Weise, unsere Forschung zu begreifen, bevor deine Freundin mit uns zusammenarbeitet, ist ein gemeinsamer Besuch an dieser bedeutsamen archäologischen Stätte.“

      Erleichtert verabschiedete sich Alexandros von seinem Retter auf dem Hauptparkplatz von Ia am Ausgang des Dorfes. Für heute würde der Professor bei seiner Grabung im Keller allein weitermachen, in der Hoffnung, noch eine neue Tafel freizulegen. Er selbst wollte zurück nach Hause gehen, um sich dort in der Bibliothek umzusehen. Nikodimos versicherte ihm, dass er dort unter anderem die Übersetzungen der Platonischen Dialoge Kritias und Timaios finden würde. Er musste alle geografischen Angaben und Beschreibungen zusammentragen, die Atlantis betrafen, um sie mit dem neuen Mitglied ihrer Forschungsgruppe zu teilen.

      Wenn Afroditi einverstanden wäre, aktiv an der Forschung teilzunehmen, dann würden sie täglich viele Stunden gemeinsam verbringen. Auf der ganzen Strecke bis nach Hause musste er sich immer wieder in den Arm kneifen, um zu sehen, ob er träumte. Er schwebte auf einer Woge des Glücks. Denn er träumte nicht, er würde wirklich mit Afroditi zusammenarbeiten, und das bei einer der vielleicht größten Entdeckungen der Geschichte!

      8. ZWEI SONNEN ZUVOR …

      „Alle Wegkreuzungen rings um den Dreiecksplatz werden von Wachen mit jeweils