Giorgos Koukoulas

Atlantis wird nie untergehen


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der Palastwache aus. Der mit Schmutz und Staub bedeckte Mann hob den rechten Arm zum Gruß und wandte sich mit knappen Worten an Andrion.

      „Mein General, ich überbringe den ausdrücklichen Befehl des Minos von Strongyle, dass Ihr Euch schnellstmöglich zurück in den Palast begebt.“

      Das ersehnte Treffen mit Astarte musste ein weiteres Mal aufgeschoben werden.

      9. Akrotiri

      Sie hatten sich am südlichen Haupteingang des Ausgrabungsgeländes von Akrotiri verabredet. Die antike Siedlung ist mit einer bioklimatischen Überdachung versehen, um die Gebäude nach der Freilegung vor dem Tageslicht zu schützen. Für die Außenkonstruktion verwendete man schwarzen Stein, den man mit Santorinerde bedeckte, damit sie sich vollständig in die Landschaft einfügt. Alexandros war als Erster am Treffpunkt. Um seine Gedanken zu ordnen, repetierte er das Wissen, das er im Studierzimmer des Professors aus den Platonischen Dialogen gewonnen hatte. Das half ihm, mit seiner Nervosität fertig zu werden.

      „Hallo, Alexandros.“

      Afroditi kam wie immer eine gute Viertelstunde zu spät. Doch das interessierte ihn im Moment recht wenig. Bei ihrem Anblick stockte ihm der Atem. Sie hatte ein dünnes Kleid aus weißem Leinen an, unter dem sich ihre Rundungen sanft abzeichneten, ohne dass es ihr am Körper klebte. Dazu trug sie braune Ledersandalen. Sie war leicht geschminkt und hatte ihre Haare hochgesteckt. Sie erschien ihm schöner und reifer, als er sie in Erinnerung hatte, sogar noch im Vergleich zu seinen Träumen, in denen sie ihn oft genug besuchte.

      „Hallo Afroditi. Ganz schön heiß heute, was?“ Er hasste sich selbst für jeden dämlichen Satz, den er in ihrer Gegenwart sagte. Seine Verlegenheit ließ sich einfach nicht verbergen.

      „Ja, stimmt, ein echt heißer Tag heute.“ Sie strich ihr Kleid glatt, das vom Wind und dem Sitzen im Auto zerknittert war.

      „War es schwierig herzukommen?“

      „Nein, überhaupt nicht, ich habe gleich ein Taxi gefunden. Ich bin ja so begeistert von eurer Forschung, dass ich von der Fahrt gar nichts mitbekommen habe. Die Zeit ist mir unterwegs wie im Flug vergangen!“ Ihr Gesicht strahlte. Wie sehr hatte sie ihm gefehlt!

      „Na dann, gehen wir“, er wies in Richtung Eingang.

      Sie lächelte und folgte ihm gehorsam.

      „Wir haben Glück, denn die archäologische Stätte war ungefähr sieben Jahre geschlossen und hat erst kürzlich wieder aufgemacht.“ Er wusste, dass er seine Verlegenheit nur dann in den Griff bekommen konnte, wenn er das Gespräch auf etwas lenkte, worüber er gut Bescheid wusste.

      „Ich weiß, aber warum war sie denn eigentlich so lange geschlossen?“

      „Im September 2005 ist ein kleiner Teil der Überdachung eingestürzt, die damals noch in Arbeit war. Danach war das Gelände für Besucher gesperrt. Leider waren ganze sieben Jahre nötig, um der Öffentlichkeit diese archäologische Attraktion wieder zugänglich zu machen.“

      „Ehrlich gesagt habe ich immer noch nicht kapiert, warum ihr bei einer archäologischen Forschung eine Geologin braucht ...“

      Alexandros atmete auf. Besser konnte das Gespräch für ihn nicht laufen.

      „Damit du richtig verstehst, wozu wir dich brauchen, muss ich dir zuerst eine kleine Einführungsvorlesung zur antiken Siedlung von Akrotiri geben.“

      „Mit Vergnügen, Herr Professor. Ihre Studentin ist ganz Ohr.“ An ihrem Tonfall merkte er, dass sie Lust hatte, ihn zu foppen und mit ihm herumzualbern. Das anfängliche Eis zwischen ihnen war endgültig gebrochen.

      „Die ersten Ausgrabungen in Akrotiri wurden von dem französischen Geologen und Vulkanforscher Ferdinand Fouqué um 1866 durchgeführt. Das Jahr 1967 war dann der Ausgangspunkt für systematische Grabungen, die unter der Leitung von Spyridon Marinatos begannen. In diesem Gebiet hier wurde die weltweit am besten erhaltene prähistorische Stadt entdeckt. Der hervorragende Zustand der Funde ist dem Vulkanausbruch zu verdanken. Nachdem sich die Vulkanasche und der Gesteinshagel gesetzt und die Siedlung unter sich begraben hatten, folgte ein wolkenbruchartiger Regen und verwandelte Bimsstein und Asche in eine schlammige Masse. Dieser Schlamm füllte die Hohlräume in den Gebäuden aus und konservierte alles, was sich darin befand. Außerdem stabilisierte er die Böden der oberen Stockwerke in ihrer Position.“

      „Ein neues Pompeji also!“, unterbrach ihn Afroditi, sichtlich beeindruckt von der Schilderung.

      „Sehr richtig, mein Fräulein Studentin.“ Die Rolle des Dozenten machte ihm Spaß. Voller Selbstvertrauen setzte er die Vorlesung fort. „Trotzdem gibt es zwischen beiden Städten wesentliche Unterschiede. Akrotiri ist bei Weitem die bedeutendere Entdeckung.“

      „Was sollen das für große Unterschiede sein? Beide Städte wurden unter der Lava eines Vulkans begraben und blieben so erhalten.“ Die junge Geologin hatte sich inzwischen von der Magie der Archäologie mitreißen lassen.

      „Die Zerstörung Pompejis erfolgte 79 n. Chr., in einer Zeit also, aus der wir unzählige schriftliche Informationen und archäologische Funde besitzen, die uns Auskünfte zu ihrer Geschichte und ihrer Kultur geben. Akrotiri wurde eintausendsechshundert Jahre vor Pompeji verschüttet. Wir haben hier das hervorragende Beispiel einer gut organisierten, vorgeschichtlichen Stadt. Jede Wandmalerei, jedes Gefäß, jeder kleine oder große archäologische Fund in dieser Stadt liefert wertvolle Hinweise auf eine geheimnisvolle, unerforschte Epoche in der Geschichte des Menschen.“

      Sie hatten ihren Gang durch die antike Stadt aus der Bronzezeit bereits begonnen. Alexandros machte eine kurze Pause und fuhr dann fort:

      „Die Wissenschaftsgemeinde war von diesen Funden überwältigt. Die kunstvolle Architektur und das florierende, urbane Leben, die zum Vorschein kamen, weisen auf eine besonders hoch entwickelte Zivilisation hin. Du siehst es ja selbst, wenn du dich umschaust: Die Bebauung war dicht, die Gebäude sind mehrstöckig, reich mit Wandmalereien geschmückt und verfügen über organisierte Lagerräume und Werkstätten. Die eigentliche Bauweise der Gebäude ist relativ schlicht, aber ihre räumliche Anordnung zeigt eine für die damalige Zeit beispiellose städtebauliche Auffassung. Planung und Ausführung waren ihrer Zeit weit voraus, wobei das Hauptmerkmal die vielen gemeinnützigen Bauprojekte sind. Das Anlegen und Pflastern von Straßen, die Gestaltung von Plätzen und ein voll funktionierendes Abwassersystem, das unter dem Pflaster verlegt und direkt mit den Häusern verbunden war.“

      „Ein komplettes Abwassersystem!“, unterbrach sie ihn verblüfft. „Kaum zu glauben, dass eine vorgeschichtliche Zivilisation über ein so entwickeltes Know-how verfügte!“

      Wieder einmal konnte Alexandros die Bewunderung für seine Gesprächspartnerin nicht verhehlen. Er hatte nur eine allgemeine Beschreibung der archäologischen Stätte abgegeben, und sie zeigte mit ihren Bemerkungen, dass sie bereits bis zum Kern ihrer Forschung vorgedrungen war. Die Hände in den Hosentaschen schlenderte er weiter und fuhr mit Feuereifer fort:

      „Als Baumaterial wurden Steine, Ton und Lehmziegel, die mit Stroh, Holz und Gips verstärkt wurden, verwendet. Die große Zahl an Wandmalereien, mit denen viele Räume der Gebäude, in der Regel die Obergeschosse, verziert waren, weist auf eine entwickelte, kultivierte urbane Gesellschaft hin. Eine Gesellschaft, die sich mit Luxus, Eleganz und intensiven Farbspielen umgab. In einem der Gebäude fand man die älteste Toilette der Welt, von der das Abwasser durch einen Schacht direkt in die Kanalisation abfloss.“

      „Was du mir da beschreibst, ist eine vollendete zivilisierte Gesellschaft in ihrer Blütezeit. Und das alles vor dreitausendfünfhundert Jahren. Kaum zu fassen!“ Sie war ganz offensichtlich hingerissen von der Welt, die sich vor ihr auftat. „Eben hast du aber von Unterschieden zu Pompeji gesprochen und bis jetzt habe ich nur von einem einzigen gehört.“

      „Ungeduldig wie immer ...“ Alexandros lachte glücklich und zufrieden. Endlich hatte er die alte natürliche, spontane Afroditi wieder vor sich. „Du hast recht, meine eifrige Schülerin. Da ist ein weiterer enormer Unterschied zu Pompeji: Es gibt in dieser