Stefanie Purle

Scarlett Taylor


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ist ein großer Flachbildfernseher angebracht, vor dem das schwarzhaarige Mädchen sitzt und ganz vertieft an einer Konsole ein Computerspiel spielt.

      „Hey Riva, kommst du mal her?“, ruft Chris dem Mädchen zu und sie steht widerwillig auf. „Ich möchte dir jemanden vorstellen.“ Chris legt seine Hand in meinen Rücken und führt mich um die große Sitzecke herum zu dem kleinen Mädchen, das sich nur schwer von ihrem Spiel lösen kann. „Riva ist meine Nichte, Biancas Tochter.“

      Auf halbem Weg treffen wir aufeinander und die Kleine blickt mich aus runden, moosgrünen Augen an. „Hallo“, sagt sie mit piepsiger Stimme und schielt über ihre Schulter zu ihrem Spiel, während sie ihre kleine Hand ausstreckt.

      Ich bücke mich und ergreife ihre klebrig schlaffe Hand. „Hallo, ich bin Scarlett, und du?“

      „Riva“, sagt sie, ohne mich anzusehen.

      „Riva, begrüße die Gefährtin deines Onkels ordentlich!“, ermahnt Bianca, stemmt die Hände in die Hüfte und wartet auf Rivas Reaktion.

      Die Kleine sieht mich erneut an, zieht eine Schnute und reicht mir noch einmal die Hand. Wieder ergreife ich sie. „Hallo, ich bin Riva. Kennt mich dich freuen zu lernen“, sagt sie und Chris beginnt zu lachen. „War das falsch?“, will sie wissen und blickt zu ihrer Mutter.

      „Ein bisschen“, sagt Bianca und beginnt ebenfalls zu lachen. „Freut mich, dich kennenzulernen, heißt es.“

      Riva sieht mich an, ihr Mundwinkel zuckt und ihre großen Augen funkeln. „Freut mich dich zu lernen!“, sagt sie und flitzt zurück vor den Fernseher.

      Jetzt kann auch ich mir das Lachen nicht mehr verkneifen. Riva sitzt wieder im Schneidersitz vor ihrer Spielekonsole und blickt grinsend über ihre Schulter zu uns herüber, bevor sie sich wieder ganz ihrem Spiel widmet.

      Chris führt mich um den großen Kamin herum, hinter dem sich die Küche befindet. Auch hier ist alles in Holztönen gehalten. An der einen Wand ist ein riesiger Herd mit sechs Platten und einem übergroßen Backofen. Davor befindet sich eine Kücheninsel mit Barhockern. Bianca öffnet einen der Schränke und holt ein paar Tassen hervor.

      „Habt ihr noch Zeit für einen Kaffee, oder müsst ihr los?“, fragt sie, dreht sich halb um und sieht uns an.

      „Wir haben noch etwas Zeit“, sagt Chris und zieht einen der Barhocker für mich vor.

      „Sehr schön! Was hättest du gerne, Scarlett?“, fragt Bianca und deutet auf eine riesige Kaffeemaschine, die in der Ecke der Küche steht.

      Es ist eine von diesen großen Maschinen, die alles herstellen können, von Latte Macchiatto, über Espresso, bis hin zu Cappuccino und heißer Schokolade. Meine Augen weiten sich bei dem Anblick der Maschine. „Einen Latte Macchiatto bitte“, sage ich und kann mir ein Lächeln nicht verkneifen.

      „Haben wir noch den Vanille Sirup?“, fragt Chris und steht auf. Er geht zu einem anderen Küchenschrank und wühlt darin herum, bis er schließlich eine Flasche mit einer goldenen Flüssigkeit herausholt und triumphierend hochhält. „Möchtest du Vanille Sirup dazu?“

      „Oh ja, sehr gerne“, sage ich und bin ein bisschen gerührt, dass er sich gemerkt hat, dass ich am liebsten Vanilla Latte trinke.

      Während Bianca unseren Kaffee zubereitet und geschickt mit der Maschine hantiert, setzt Chris sich neben mich und ergreift meine Hände. „Wie war es bei Elvira? Geht es ihr gut?“

      „Ja, ihr geht’s bestens. Man merkt ihr gar nichts mehr an, sie ist ziemlich taff.“

      Chris nickt. „Ja, das ist sie.“

      „Sie hat mir von den Lebenserwartungen der Mannwölfe, Hexen und Gefährtinnen erzählt“, sage ich und sehe Chris mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Ist das wahr?“

      Er blickt auf unsere Hände, fährt mit dem Daumen über meine Handfläche und grinst. „Ja, es ist wahr.“

      „Wie alt bist du?“, frage ich leise, obwohl es keinen Grund gibt, in seinem Haus bei diesem Thema zu flüstern.

      „Älter, als all deine früheren Lebensgefährten“, sagt er und lächelt schief. „Naja, davon gehe ich zumindest aus.“

      Bianca prustet vor Lachen und dreht sich zu uns um. „Ich glaube, da kannst du dir sicher sein, Christobel. Scarlett wirkt nicht gerade gerontophil!“

      „Gerontophil?“, hake ich nach. „Was bedeutet das nun wieder?“

      Chris unterdrückt sein Lachen und räuspert sich. „Gerontophilie bezeichnet das Interesse eines jungen Menschen an ausschließlich älteren Menschen.“

      „Oh mein Gott, nein!“, sage ich, verziehe angewidert das Gesicht und schüttle mit dem Kopf.

      „Ich bin gerade siebzig geworden, Scarlett“, rückt Chris endlich mit der Sprache raus.

      Ich sehe ihn verdutzt an. „Ach, Quatsch!“, sprudelt es aus meinem Mund, den ich sofort danach mit den Händen bedecke. „Wirklich?“

      Chris nickt und blickt zu Bianca, die meinen Latte neben das Fläschchen mit Vanille Extrakt auf die hölzerne Tischplatte stellt. „Und Bianca ist sogar fünfundsiebzig. Ich bin der Jüngste von uns dreien. Unser Bruder ist achtundsiebzig, aber wir haben seit ein paar Jahren keinen Kontakt mehr“, sagt Chris und senkt den Blick.

      Betretenes Schweigen liegt schwer im Raum.

      „Du hast dich wirklich gut gehalten, Bianca“, sage ich, nicke anerkennend und lenke so vom Thema ab.

      „Vielen Dank“, entgegnet Bianca und zwinkert mir zu. „Das ist einer der Vorteile, wenn man ein Mannwolf ist.“

      „Heißt es bei Frauen auch Mannwolf?“

      „Ja, wobei Mann hier für Mensch steht, nicht unbedingt für das männliche Geschlecht“, erklärt sie und widmet sich wieder der enormen Kaffeemaschine.

      Ich sehe Chris an, betrachte sein Gesicht, das nicht älter wirkt, als höchstens fünfunddreißig. Er hat ein paar Lachfalten um die Augen herum und von seiner Nase zieht sich rechts und links jeweils eine Falte entlang, die neben seinen Mundwinkeln in den Bartstoppeln verschwindet. Nur die weißen Haarsträhnen könnten darauf hinweisen, dass er wesentlich älter ist. Aber ich weiß ja, dass sie nichts mit seinem Alter zu tun haben, sondern dass er sie bekommt, wenn er ein übernatürliches Wesen tötet.

      „Magst du mich jetzt nicht mehr, nun, da du mein wahres Alter kennst?“, fragt Chris, der bloß still dasaß, während ich ihn betrachtete.

      „Doch, natürlich!“, sage ich und umfasse sein breites Handgelenk. Die Stelle an meinem Brustbein wird wieder warm und ich streiche unbewusst darüber, was Chris mit einem Lächeln quittiert.

      Kapitel 5

      „Wir müssen los“, sagt Chris und stellt seine Espresso Tasse klirrend auf den Untersetzer. „Fletcher wartet sicherlich schon auf uns.“

      „Ja, wir müssen leider auch wieder weiter. Ich habe morgen ein wichtiges Meeting im Büro“, sagt Bianca und steht auf. „Aber es war toll dich kennenzulernen, Scarlett. Wir sehen uns bestimmt bald wieder“, sagt sie und lächelt mich an.

      Wie sich herausstellte, wohnen Bianca und Riva in der Stadt, und nicht zusammen mit Chris in diesem Haus, mitten im Wald. Die beiden kommen allerdings gerne an ihren freien Tagen zu Besuch. Bianca ist alleinerziehend und arbeitet vormittags in einem Büro, während Riva im Kindergarten ist. Abends, wenn der Babysitter Zeit hat, arbeitet sie, wie ihr Bruder, als Dämonologin. Scheinbar ist Dämonologie so eine Mannwolf-Sache. Chris hat versprochen, mir später alles darüber zu erzählen. Ich bin schon gespannt, was es damit auf sich hat.

      „Ich habe mich auch sehr gefreut, Bianca“, sage ich, als sie mich in ihre Arme nimmt und fest drückt.

      „Komm, Riva, wir müssen los“, ruft sie über meine Schulter hinweg und klopft sacht