Stefanie Purle

Scarlett Taylor


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Ein bisschen noch!“

      „Kinder!“, bemerkt Bianca, löst sich seufzend aus meinem Arm und rollt mit den Augen. „Ich zähle bis drei. Eins!“, beginnt Bianca zu zählen und von Riva kommt ein missmutiger Laut. „Zwei!“

      Chris springt auf, rast in unmenschlichem Tempo auf das Kind zu, schnappt es sich und kommt erst vor dem Kamin zum Stehen.

      Riva lacht und gluckst vor Freude in seinen Armen. „Mach nochmal, Onkel Christobel!“, ruft sie vergnügt und Chris rennt erneut mit ihr um den Tisch. Er ist so schnell, dass meine Augen Probleme haben, ihm zu folgen.

      „Drei!“, ruft Bianca aus, als die Haustür offenfliegt und ich schemenhaft Chris daraus verschwinden sehe. Mit ihm verhallt das Lachen des kleinen Mädchens. „Oh man… Das macht er jedes Mal“, sagt sie, schüttelt mit dem Kopf und lacht.

      Erst jetzt bemerke ich die Koffer neben der Eingangstür, auf die Bianca zusteuert. Ich folge ihr und nehme ihr den kleinen Koffer mit den rosafarbenen Blümchen darauf ab. Wir gehen nach draußen, wo Chris mit Riva auf dem Arm durch die Bäume flitzt. Ich höre das ausgelassene Glucksen des Mädchens und immer wieder erscheint die Silhouette der beiden zwischen den Tannen.

      Ich gehe mit Bianca zur Garage, wo wir die Koffer in den Kofferraum eines Geländewagens packen und weiter Ausschau nach Chris und Riva halten.

      „Wahnsinn, wie schnell er ist“, sage ich beeindruckt, während meine Augen versuchen ihm zu folgen.

      „Ja“, stimmt Bianca mir zu und lehnt sich gegen den Kofferraum. „Alle Mannwölfe und Werwölfe sind schnell, aber Christobel ist dabei noch übermäßig trainiert. Das macht ihn noch ein bisschen schneller.“

      Ich nicke und habe sofort Bilder von seinem trainierten Oberkörper und den muskulösen Schenkeln im Kopf, woraufhin mein Brustbein prompt zu kribbeln beginnt. Ein wenig irritiert fasse ich an die Stelle, von der das warme Kribbeln ausgeht und blicke gedankenverloren in den Wald, aus der das glockenklare Lachen des Mädchens hallt.

      „Du bist wirklich seine Gefährtin“, sagt Bianca und sieht zu meiner Hand, die oberhalb meiner Brust ruht.

      „Ja, scheint so“, entgegne ich, lächle und zucke mit den Schultern.

      Bianca seufzt. „Als er mir erzählte, wer seine Gefährtin ist, war ich schon geschockt, das muss ich zugeben. Eine Hexe als Gefährtin, und dann auch noch die Tochter des schwarzen Königs?“, erzählt sie und schüttelt mit dem Kopf. Ihr blondes Haar fällt in ihr Gesicht und sie streicht es mit ihren schlanken Fingern hinter die Ohren. „Solltest du, wie dein Vater, eine dunkle Hexe werden, wirst du nicht mehr seine Gefährtin sein können.“

      Ich drehe mich zu ihr und blicke sie erschrocken an. „Ich habe nicht vor, mich für die dunkle Seite zu entscheiden.“

      Bianca nickt. „Das hoffe ich. Denn wenn du es tust, hat er dich als seine Gefährtin verloren. Und jeder Mannwolf hat nur eine Gefährtin, nur eine Frau, die an seiner Seite leben kann, die ihn beruhigen kann, für die er sterben würde. Wirst du eine dunkle Hexe, ist Christobel für immer allein.“

      „Ich werde mich nicht für die dunkle Seite entscheiden, Bianca“, versichere ich ihr erneut.

      Sie lächelt müde und zuckt mit den Schultern. „Hoffen wir´s. Man kann sich nicht aussuchen, wen man als Gefährten bekommt. Die Gefährtin ist das, was das Herz sich am sehnlichsten wünscht. Und offenbar bist du, was Christobel sich am sehnlichsten wünscht. Ich hoffe nur für meinen Bruder, dass es gut ausgehen wird.“

      Bevor ich etwas darauf erwidern kann, stoßen Chris und Riva wieder zu uns. Er trägt sie noch immer in seinen Armen. Sie ist völlig aus der Puste, wohingegen er, der die ganze Zeit übermenschlich schnell gerannt ist, keineswegs nach Luft schnappt.

      Er überreicht Bianca das kichernde Bündel und diese presst Riva dicht an sich und drückt einen Kuss auf ihre rote Wange, bevor sie sie ins Auto setzt. Wir verabschieden die beiden, winken, bis unsere Arme lahm werden und das Auto zwischen den Bäumen im tiefen Wald verschwindet.

      Chris blickt zu mir herab mit einem Funkeln in seinen Augen. „Das Haus ist leer, wir sind allein“, sagt er und zieht mich an seinen harten Brustkorb, während seine Hände über meinen Rücken bis hinab zu meinem Po gleiten. „Aber da meine Gefährtin eine mächtige Hexe in der Ausbildung ist, muss ich sie nun zu ihrem Lehrherrn bringen.“ Er lässt die Schultern sacken, legt das Kinn auf meinen Scheitel und seufzt.

      „Dann lass uns gehen!“, sage ich, stemme die Hände gegen seine Brust und sehe an ihm hoch. Er sieht mich erstaunt und vielleicht sogar ein wenig gekränkt an. „Umso schneller sind wir fertig und wieder hier. Allein. In deinem Haus.“

      Ein leicht lüsternes Lächeln formt sich auf seinen Lippen und ich sehe die Vorfreude in seinen Augen glitzern. „Gute Idee“, sagt er, beugt sich herab und drückt seine warmen weichen Lippen auf meine, um mir zu zeigen, worauf ich mich schon jetzt freuen kann.

      Wir laufen um die Garage herum und folgen einem schmalen Pfad, an dessen Rand wilder Farn und Brombeerbüsche wachsen. Der Pfad führt immer tiefer in den dichten Wald hinein. Es geht bergab und hier und da tauchen Felsbrocken aus dem Waldboden auf. Ich blicke mich um und sehe zwischen den Bäumen eine glitzernde Wasseroberfläche.

      „Ist das ein See da unten?“, frage ich und zeige mit dem Finger in die Richtung.

      „Ja“, antwortet Chris, ohne das Tempo zu verlangsamen. „Meine Großeltern haben das Haus an diesem See gebaut, weil mein Großvater ein passionierter Angler war. Ich habe ein kleines Boot mit dem ich manchmal rausfahre und mich einfach treiben lasse. Nirgends auf der Welt ist es so ruhig und friedlich, wie mitten auf einem See“, erzählt er und blickt sich lächelnd zu mir um, während wir weitergehen. „Wenn du möchtest, können wir mal zusammen auf den See rausfahren. Bei Sonnenuntergang ist es besonders schön.“

      „Das klingt wunderbar“, sage ich und stolpere ungelenk hinter ihm her.

      Chris läuft rückwärts vor mir und betrachtet mich. Er zieht eine Augenbraue hoch und kratzt sich am stoppeligen Kinn. „So wird das nichts, Scarlett“, sagt er schließlich und bleibt stehen.

      „Was ist?“, will ich wissen, doch bevor ich diese Worte aussprechen kann, liege ich schon in seinen Armen. Er hält mich so, wie er vorhin noch seine Nichte Riva gehalten hat.

      „Wenn wir in deinem Tempo weitergehen, kommen wir heute nicht mehr an“, stellt er fest und rennt los.

      Ich kreische auf und kralle mich an seinem Arm und seiner Schulter fest. Nachdem ich den ersten Schock überwunden habe, und spüre, wie gleichmäßig und sanft er rennt, beruhige ich mich langsam. Mein Atem geht zwar immer noch keuchend, aber ich entspanne mich und blicke nach vorne. Der Wald schießt auf uns zu, und Chris weicht geübt den Baumstämmen, Felsen und Büschen aus. Er rennt und rennt, während um uns herum die Welt zerfließt, wie bei einem Aquarellbild, auf dem Wasser verschüttet wurde. Ich sehe alles nur schemenhaft, sehe nichts als Farben. Brauntöne fließen in Grüntöne und verschmelzen zu einem schmutzigen Grau.

      Nach ein paar Minuten drosselt Chris das Tempo und blickt zu mir herunter. „Könntest du deine Fingernägel aus meinem Oberarm nehmen?“, fragt er grinsend.

      Ich sehe zu meiner Hand und stelle mit Entsetzen fest, dass ich mich wirklich in seinen Oberarm gekrallt habe. Zaghaft lockere ich den Griff und halte mich stattdessen an seinem karierten Hemd fest.

      „Vielen Dank“, sagt er und schüttelt lachend den Kopf. „Wir sind da.“

      Der plötzliche Stillstand macht mich schwindelig und Chris muss mich halten, nachdem er mich abgesetzt hat, worüber er sich scheinbar königlich amüsiert.

      „Was ist so witzig?“, frage ich und stütze mich an einem Baumstamm ab.

      Chris lacht kehlig und hält die Faust vor seine Lippen. „Nichts“, sagt er. „Ich denke nur, bevor ich wirklich schnell mit dir auf dem Arm renne, solltest du dir von Riva noch ein paar Tipps geben lassen.“