Stefanie Purle

Scarlett Taylor


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tiefsten Tiefen des Waldes stehen, auf dessen Mitte ein klappriger, halb verrosteter Wohnwagen steht. Schräg dahinter steht ein alter Mercedes. Die Fenster des Wohnwagens sind mit bestickten Gardinen geschmückt und aus dem Inneren dringt warmes Licht.

      „Hier wohnt Fletcher?“, frage ich verdutzt und gehe auf den Wohnwagen zu, von dem der blass mintfarbene Lack abblättert.

      Chris nickt. „Meistens schon. Er hat allerdings auch noch ein winziges Keller-Apartment in der Stadt.“

      Die ovale Tür des Wohnwagens springt auf und Fletcher kommt mit mürrischem Gesicht heraus. Als ich ihn das letzte Mal sah, war es auch in einem Wohnwagen, allerdings in dem von meinem Vater, dem schwarzen König. Fletcher hatte meine Wunden mit seiner weißen Magie geheilt und mich beruhigt, nachdem ich zusammenbrach, als sich herausstellte, dass meine Mutter aufgrund meines Fluches im Wachkoma liegt.

      „Hey, Fletcher!“, ruft Chris freudig und geht auf ihn zu. Ich folge ihm. „Alles klar?“

      Fletcher ergreift Chris´ Hand und sie schlagen sich auf eine kumpelhafte Art ab. „Geht so. Ich habe offenbar meinen Lavendel im Wohnwagen des schwarzen Königs vergessen“, sagt er und nickt mir knapp zu.

      „Oh man, das ist Mist“, stimmt Chris zu und fasst sich nachdenklich ans Kinn. „Ich glaube, unten am See wächst noch etwas.“

      Fletcher nickt, wobei sein Haar vor und zurückwippt. Er trägt es, wie der junge Nick Carter: halblang bis oberhalb des Ohres, Seitenscheitel, hellblond, im Nacken kurzgeschoren. Jedoch ist sein Gesicht verhärmter und wirkt hager und verlebt. „Und du willst also die weiße Magie erlernen?“, fragt er mich und spricht mich zum ersten Mal persönlich an.

      Ich nicke und stelle mich unsicher neben Chris.

      Fletcher sieht mich an, blickt mit zusammengezogenen Brauen über meine schwarz-rotgefärbten Haare und verzieht einen Mundwinkel. „Kommt erst mal rein“, beschließt er, dreht sich um und geht zurück in seinen Wohnwagen.

      Drinnen ist alles vollgestellt mit bunten Glasflaschen, vertrockneten Dingen in Gläsern mit Schraubverschlüssen, sowie mehreren Schalen mit Steinen darin. Auf der einen Seite steht ein Herd mit einer winzigen Küchenzeile, und direkt neben der Tür ist ein kleiner Kamin, dessen Schornstein leicht gebogen durch die Decke geht.

      Fletcher weist uns mit dem Arm in die hintere Ecke des Wohnwagens, wo sich rechts und links je eine Sitzbank mit bunt geflickten Polstern befindet, und in der Mitte ein Tisch, auf dem ein Dame-Spiel steht, welches so aussieht, als wäre es mitten im Spiel verlassen worden.

      „Setzt euch“, bittet er uns und ich zwänge mich auf die schmale Bank.

      Chris, der nur schräg durch die Tür passt und halb gebeugt neben dem Kamin steht, presst die Arme dicht an den Körper und hinkt zur Bank, akribisch darauf bedacht, keine Fläschchen und Döschen mit seiner Körpermasse von den Regalen zu fegen. Als er sich neben mich setzt, streckt er ein Bein unter dem Tisch durch, das andere lässt er angewinkelt daneben ruhen. Sein Knie reicht weit über die Tischplatte hinweg. Er wirkt hier drin so fehl am Platz, wie ein Tiger in einem viel zu kleinen Käfig, allerdings scheint er sich nicht daran zu stören, sondern blickt auf das Dame-Spiel in der Mitte des Tisches.

      „Na, wer gewinnt? Du oder du selbst?“, neckt er Fletcher und grinst.

      Fletcher rutscht auf die Bank gegenüber und steigt dabei über Chris´ Bein. „Ich natürlich“, sagt er und ein leichtes Grinsen formt sich auf seinen schmalen Lippen.

      Chris beugt sich vor, nimmt einen der schwarzen Spielsteine und setzt ihn zwei Felder weiter.

      Fletcher zieht die Augenbrauen zusammen und will protestieren, überlegt es sich dann aber doch anders und nickt anerkennend, wobei er die Unterlippe hochzieht und sein Kinn kräuselt.

      Ich kann meine Neugier nicht länger verbergen und unterbreche das Spiel der beiden, bevor es richtig begonnen hat. „Was genau soll ich nun bei dir lernen, Fletcher?“, frage ich und wippe nervös mit den Beinen.

      Chris legt seinen Arm umständlich um meine Seite und sieht zu Fletcher, der sich anlehnt, die Arme vor der Brust kreuzt und tief Luft holt.

      „Ich werde dir die Grundlagen der weißen Magie erklären und dich ein paar Zauber wirken lassen, falls das klappt.“

      „Falls es klappt? Wieso sollte es nicht klappen?“, frage ich und sehe ratlos zu Chris, der mich aber nur ausdruckslos ansieht und seinem Kollegen die Bürde überlässt, mich aufzuklären.

      „Nun ja, in dir fließt schwarzes Hexenblut, nicht weißes. Es wird sich herausstellen, ob du, als Tochter des schwarzen Königs, überhaupt zu weißer Magie fähig bist“, meint er und nickt Chris zu.

      „Wo genau liegt der Unterschied?“, will ich wissen und lege meine fahrige Hand auf Chris Oberschenkel. Seine Wärme wirkt beruhigend auf mich, vermag aber nicht mein pochendes Herz zu entschleunigen. Wenn es stimmt, was Bianca sagt, dann kann ich nicht mehr Chris´ Gefährtin sein, würde ich mich für die dunkle Seite entscheiden. Was aber, wenn ich gar keine Wahl habe, weil mein Vater der schwarze König ist?

      „Schwarze und weiße Magie kann nur von einer wahren Hexe ausgeführt werden. Schwarze Magie bedient sich an uralten überlieferten lateinischen Sprüchen, sie fordert Opfergaben, wie zum Beispiel Asche eines Verstorbenen, Blut, Tierinnereien, und so weiter“, beginnt Fletcher zu erzählen und ich ziehe scharf die Luft ein.

      „War dieser Spruch, mit dem ich den Dämon habe verschwinden lassen, und der andere Spruch, mit dem ich die fünf Besessenen gelähmt habe, schwarze Magie?“, will ich wissen und blicke erschrocken von Chris zu Fletcher. Fletcher nickt, Chris senkt den Blick. „Wieso hat Elvira Sprüche schwarzer Magie in mein Buch geschrieben?“

      „Weil eine Hexe schwarze Magie nicht erlernen muss, sie muss sie nur ausführen. Weiße Magie hingegen muss erlernt werden. Dabei bedient man sich der Elemente, konzentriert sich, manifestiert seine Gedanken und führt so den Zauber durch“, erklärt Fletcher und steht auf. Er geht zu dem Küchenschrank über dem kleinen Herd, holt zwei Gläser heraus und setzt er sich wieder zu uns. Die Gläser stellt er in die Mitte des Tisches, dann sammelt er die schwarzen und weißen Spielsteine vom Damefeld auf und hält sie in seiner Hand. „Wie viele Sprüche der schwarzen Magie hast du bis jetzt angewandt?“, will er wissen.

      Ich blicke nachdenklich zu Chris. „Zwei Sprüche. Einen, um Chris vor dem Nonnen-Dämon zu retten, und einen um die fünf Besessenen zu lähmen.“

      „Okay“, sagt Fletcher, zieht die Augenbrauen zusammen, sodass sich über seiner Nase zwei tiefe Zornesfalten bilden, und beginnt in eines der Gläser zwei schwarze Spielsteine hinein fallen zu lassen. „Das wären dann zwei dunkle Zauber. Da aber der letzte Zauber für fünf Besessene galt, muss ich noch vier Steine drauflegen.“

      Chris schluckt und ballt die Hand, die auf seinem Oberschenkel liegt, zur Faust. „Bist du dir sicher?“

      „Ja, leider. Sie hat den Zauber verfünffacht, also gilt er fünffach“, sagt Fletcher und lässt Stein für Stein klirrend ins Glas fallen. Dann holt er das leere Glas herbei und legt seine Hand darum. „Dieses Glas steht für die weiße Magie in dir. Nach Aktivierung der Hexenmacht hat eine Hexe bis zum nächsten Vollmond Zeit, sich für eine Seite zu entscheiden. Die Zauber, die sie bis dahin am meisten gewirkt hat, entscheiden, zu welcher Seite sie gehört. Zur schwarzen oder zur weißen Seite.“

      Wir alle starren auf das leere Glas. Da ich noch keinen einzigen weißen Zauber gewirkt habe, ist es natürlich leer. Wohingegen das Glas, welches für die dunkle Seite steht, schon zur Hälfte gefüllt ist.

      „Ich dachte, ich sage einfach zu gegebener Zeit, dass ich eine weiße Hexe sein möchte, wenn ich denn überhaupt eine sein muss. Ich wusste nicht, dass ich mit den zwei Sprüchen schon fast mein Schicksal besiegelt habe!“, rufe ich hysterisch und habe das Gefühl, mich verteidigen zu müssen. „Hätte Elvira mir diese Sprüche nicht aufgeschrieben, hätte ich sie doch niemals angewandt! Ich wusste nicht, was ich damit anrichte!“

      Chris streicht beruhigend über meine Schulter, aber ich sehe auch die Angst in