Manu Brandt

Seelenblau


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kleiner Supermarkt in der Größe eines Tante-Emma-Ladens. Neben der Hütte befand sich eine alte Tanksäule.

      Ich wunderte mich, warum wir hier Halt machten. »Ist der Wagen nicht vollgetankt gewesen?«

      »Ja, das war er. Aber ich brauche einen Kaffee und du brauchst etwas zu essen. Das hier ist für uns die letzte Möglichkeit zu tanken, deshalb werde ich noch mal volltanken müssen und die beiden Kanister von hinten auffüllen. Man weiß ja nie.«

      Kaffee und Essen. Das waren für mich zwei gute Argumente für einen kleinen Stopp. Es war fast Abend und mein Magen knurrte mittlerweile recht stark. Ich kletterte aus dem Wagen und dehnte mich. Meine Knochen knackten, aber es tat gut, mich zu bewegen.

      Als ich den Kopf in den Nacken legte, fiel mir wieder ein Falke auf, der über uns flog. Anscheinend gab es sehr viele Falken in Kanada.

      Mir wurde kalt, da die untergehende Sonne durch die hohen Bäume verdeckt wurde. Ich zog meine dicke Jacke an und stiefelte in Richtung Hütte, während Lisa sich den Zapfhahn schnappte und den Wagen betankte.

      Unter dem kleinen Vordach lag eine schmale Veranda, auf der ein runder hölzerner Tisch und zwei Stühle neben dem Eingang standen.

      Ein Mann lehnte an der Hauswand und rauchte seine Pfeife. Sein Holzfällerhemd mit roten Karos war genauso verwaschen wie die braune Jacke aus Schaffell, die er trug. Seine Jeans hatte mindestens genau so viele Jahre auf dem Buckel. Durch seinen weißen Vollbart konnte ich sein Alter schlecht einschätzen, da ich nicht viel vom Gesicht erkennen konnte, aber die Falten an seinen Augen und seine grauen schulterlangen Haare zeigten, dass er nicht mehr der Jüngste war.

      Als ich eintrat, begrüßte er mich mit einem Lächeln. Es war eine urige kleine Hütte, in der winzige Holzregale mit Nahrungsmitteln standen. Hinter einer kleinen Theke, natürlich auch aus Holz, stand eine kleine Kühlung mit Getränkeflaschen und belegten Bagels sowie auch eine Kaffeemaschine.

      Ich schlich langsam durch die Regalreihen. Lisa folgte mir, nachdem der Tank und die Kanister gefüllt waren, und schüttelte entweder den Kopf, oder nickte zustimmend, wenn ich nach etwas in den Regalen greifen wollte. Bei den Chips schnappte ich nach einer Tüte Lay’s. Die wollte ich schon immer einmal probieren. Das heftige Nicken von Lisa zeigte, dass sie damit einverstanden war. Sie nahm gleich noch eine weitere Tüte mit.

      Der Mann kam ohne seine Pfeife in den Laden und beobachtete unser Treiben. Nachdem wir den kleinen Einkaufskorb gefüllt hatten, gingen wir zur Kasse, um zu bezahlen. Lisa bestellte noch vier belegte Bagel, zwei Flaschen Coke und zwei Kaffee mit Milch und Zucker.

      Der Mann antwortete auf Englisch mit einem kanadischen Akzent. Daran musste ich mich erst gewöhnen, aber ich verstand es zu meiner Überraschung sehr gut.

      Er goss den Kaffee in Plastikbecher und zeigte auf einen kleinen Tisch, auf dem Zucker und Milchtüten standen. Während wir unseren Kaffee fertig machten, packte er unsere Einkäufe in braune Papiertüten und wünschte uns eine gute Weiterfahrt. Danach ging er nach draußen, um seine Pfeife weiter zu rauchen. Diese Ruhe, die der Mann ausstrahlte, faszinierte mich. Dass hier überhaupt so viele Leute vorbei kamen, dass sich der Laden rentierte. Wir waren seit Stunden unterwegs und das hier war das erste Haus, das wir zu Gesicht bekamen.

      Wir setzten uns in den Jeep und ich nippte an meinem Kaffee. Er war sehr stark, aber er tat gut. Lisa reichte mir einen Bagel mit Lachs. Als ich hinein biss erlebten meine Geschmacksnerven eine völlig neue Erfahrung. Das war das Leckerste, das ich seit Langem gegessen hatte.

      »Frischer kanadischer Lachs. Schmeckt besser als der Fisch, den du aus der Tiefkühlung kennst, oder?« Lisa trank in großen Schlucken ihren Kaffee aus. So etwas Heißes hätte ich nicht dermaßen schnell trinken können.

      »Tausend Mal besser«, murmelte ich kauend und schlemmte weiter meinen Bagel. Ich konnte mich nicht zurückhalten und futterte gleich meinen Zweiten hinterher.

      Als es dunkler wurde, wurden auch die Wälder immer unheimlicher. Ich sah nur noch die erste Baumreihe im Lichtkegel unserer Scheinwerfer. Der Rest des Waldes lag in tiefem Schwarz und die Dunkelheit brachte meine Müdigkeit zurück. Lisa schaute immer noch wie gebannt auf die Straße. Ab und zu blickte sie nach rechts und links an den Straßenrand, als habe sie etwas zwischen den Bäumen gesehen. Bestimmt gab es hier auch Wild, das sich auf den Straßen tummelte. Auf einen Wildunfall hatte ich jedoch keine Lust.

      Ich rollte meine Jacke zusammen und stopfte sie hinter meinen Kopf. Meine Augenlider wurden immer schwerer. Obwohl ich dagegen ankämpfte, gewann schließlich die Müdigkeit und ich schlief ein.

      Es wurde wärmer und die Sonne blendete mich. Ich hörte den Motor nicht mehr brummen, auch die Musik aus dem Radio war verklungen. Stattdessen hörte ich Vögel, die für mich ihr fröhliches Lied sangen. Unter mir fühlte ich wieder das weiche Gras. Es war so bequem, dass ich mich lang ausstreckte.

      Ich hielt meine Hand vor die Augen als ich sie öffnete, damit ich mich an die Helligkeit gewöhnen konnte. Mein Herz fing an zu klopfen, aber es war nicht das hohle Klopfen aus dem Flugzeug, das selbst nach dem leckeren Bagel und dem Kaffee nicht verschwunden war. Es war ein angenehmes, volles Schlagen. Ich spürte, wie meine Wangen rot wurden und das Blut in jeden Winkel meines Körpers strömte. Ich drehte meinen Kopf nach links, um zu den Bäumen zu blicken, die am Rand der Wiese standen, aber bis dahin reichte mein Blick erst gar nicht. Direkt vor meinem Gesicht tauchten die wunderschönen himmelblauen Augen auf, keine Armlänge von mir entfernt, und beobachteten mich neugierig. Sie zeigten keinerlei Wut oder Angriffslust. Der Wolf hatte seinen Kopf auf die Vorderpfoten gelegt und lag schräg neben mir. Mir fehlte die Kraft, um mich hinzusetzen oder gar weg zu rennen. Aber wollte ich das überhaupt?

      Ich schaute in die Tiefen seiner Augen. Ich sah die kleinen Äderchen der Iris, die auf mich wirkten, als würden sie leuchten. Wie ein blauer strahlender Stern. Blau wie der Himmel. Im Schwarz der Pupille konnte ich mich selbst sehen. Ich sah mich, wie ich in seine Augen blickte. Ich lächelte dabei.

      Das rabenschwarze Fell schimmerte wie Samt in der Sonne. Es musste sich fantastisch anfühlen. Mein Herz schlug schneller, als ich ganz langsam meine Hand hob. Der Wolf schaute kurz zu ihr herüber, blickte mir dann aber wieder in die Augen. Sein Atem veränderte sich. Er atmete schneller. Sein Blick und seine Körperhaltung blieben jedoch unverändert. Der Wolf lag ganz entspannt neben mir. Ich schob meine Hand weiter in Richtung Fell, ich musste es unbedingt spüren. Es war bestimmt ganz warm von der Sonne – und tatsächlich: meine Hand war noch Zentimeter von ihm entfernt und ich spürte bereits seine Wärme. Ganz leicht berührten meine Fingerkuppen die Spitzen seines Fells.

      Der Wolf schloss entspannt die Augen. Bevor ich weiter nach ihm greifen konnte, schüttelte es mich durch. Mein Kopf knallte gegen die Scheibe und ich musste mich festhalten, um nicht vom Sitz zu rutschen.

      »Sorry, aber ab hier gibt es keine befestigte Straße mehr«, entschuldigte sich Lisa schulterzuckend.

      Ich versuchte mich zu sammeln und richtig hinzusetzen. Ein Teil von mir lag immer noch neben dem Wolf. Meine Finger fühlten sich warm an, als würden sie weiterhin das Fell berühren. »Dann sind wir also bald da?«

      »Nein. Wir fahren noch etwa eine Stunde.«

      »Eine Stunde? Wir werden jetzt eine Stunde lang durchgerüttelt? Warum liegt die Hütte so weit im Wald?«

      Plötzlich machte Lisa eine Vollbremsung. Ich wurde nach vorn geschleudert, aber der Gurt hielt mich zurück, bevor ich mit dem Armaturenbrett zusammenknallen konnte. Verstört schaute ich nach vorn.

      Vor uns stand ein riesiger Hirsch mit einem mächtigen Geweih. Langsam näherte er sich unserem Wagen und blieb etwa einen Meter vor uns stehen. Schaute er etwa zu Lisa? Diese beobachtete ihn ganz ruhig. Sie war nicht erschrocken, wie ich. Der Hirsch wandte sich nach einiger Zeit ab und ging gemächlichen Schrittes in den Wald hinein. Sein Geweih trug er stolz wie eine Krone.

      »Ein bisschen langsamer jetzt, ok?«, flehte ich Lisa an.

      »Die Straße ist nur am Anfang so holprig. Es wird gleich besser«, sagte sie und ignorierte meine Bitte.

      Sie hatte recht. Nach einer Viertelstunde war