Manu Brandt

Seelenblau


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Mall-Kette gehörte. Ich hatte jemanden im Anzug erwartet.

      »Du musst Mia sein!« Der Mann löste sich von seiner Schwester und umarmte mich nicht weniger stürmisch. »Herzlich Willkommen. Ich freu mich so sehr, dass du endlich da bist.«

      »Du bist Jan?«, keuchte ich. Er drückte mich so fest an seine Brust, dass ich kaum Luft bekam.

      »Ja, das bin ich. Der große Bruder. Als solch einen darfst du mich auch gerne sehen: Als deinen großen Bruder.«

      »Peace, Bruder«, hechelte ich ins Hemd.

      Jan lachte und ließ mich endlich los. »Ich hoffe das wirst du hier finden. Den Frieden.«

      Was redeten bloß alle von Frieden? Erst Lisa auf der Fahrt hier her und jetzt auch noch Jan.

      »Ich habe für euch Bohneneintopf warmgehalten, den ich heute Mittag gekocht habe. Ihr habt sicher Hunger.« Jan griff nach unseren Koffern und trug sie in die kleine Hütte.

      Das Haus war von innen viel größer, als es von außen wirkte. Es war ein großer Raum, der in unterschiedliche Bereiche aufgeteilt war. Gegenüber des Eingangs befand sich die Küche – zumindest etwas, was man als Küche bezeichnen musste. Es gab einen kleinen Herd, der mit Gas betrieben wurde. Daneben standen eine kleine Spüle und ein riesiger Kühlschrank, der gar nicht in das Bild passte. Hängeschränke gab es nicht, denn die Küchenzeile stand unter einem Fenster. Vor den Geräten stand ein kleiner runder Holztisch mit vier Stühlen. Rechts neben der Küche führte eine Wendeltreppe in den ersten Stock. Vor der Treppe befand sich eine Tür, wahrscheinlich das Bad. Neben der Tür gab es in der Zimmerecke einen riesigen Kamin, in dem Feuer brannte. Es knisterte und machte den Raum noch gemütlicher.

      Den größten Teil nahmen drei alte Sofas ein, die um einen kleinen Couchtisch gestellt waren. Sie waren aus robustem grünen Stoff, über den viele verschiedene Decken gelegt waren. Zu meiner Verwunderung hing an der Wand ein großer Fernseher. Damit hatte ich nicht gerechnet.

      Jan fiel mein Blick auf. »Wir leben hier nicht wie die Hinterwäldler. Außerdem sind wir alle verrückt nach Eishockey. Da muss man die Spiele einfach gucken.«

      Ich schaute zu Lisa hinüber. »Schon klar. Kein Internet, aber dafür ein Riesen-Fernseher.«

      Sie zuckte entschuldigend mit den Schultern.

      »Für Internet gibt es hier keine Leitungen. Über Satellit wäre es zu teuer. Darüber können wir wenigstens fernsehen und telefonieren. Strom bekommen wir über vier große Stromgeneratoren, die mit Benzin betrieben werden«, erklärte Jan.

      Ich hing meine Jacke an die Garderobe und wollte mich auf eine Couch fallen lassen.

      »Moment, wir gehen in die Küche. Der Bohneneintopf wird euch schmecken. Ich habe mich mal wieder selbst übertroffen«, lobte Jan sich selbst und rührte in einem großen Topf, nachdem er unsere Koffer vor die Wendeltreppe gestellt hatte.

      Richtig, der Bohneneintopf. Der Geruch erfüllte die gesamte Hütte und mein Magen knurrte. Auch etwas anderes meldete sich bei mir. »Gibt es hier eine Toilette?«

      »Durch die Tür dort. Das Bad ist nicht groß, aber es reicht.« Jan zeigte auf die Tür, die ich schon im Verdacht hatte.

      Als ich in das Bad trat, musste ich grinsen. Es war wirklich nicht groß: ein kleines Waschbecken an der linken Wand, gegenüber stand das Klo und an der Stirnseite befand sich eine kleine Dusche. Man hätte alle drei Dinge auf einmal erledigen können. Über der Toilette gab es ein winziges Fenster. Ich hätte auf den Klodeckel klettern müssen, um es zu öffnen.

      Bevor ich wieder hinausging, warf ich noch einen prüfenden Blick in den Spiegel. Du liebe Güte! Es hatte doch nicht am Licht im Flugzeug gelegen. Meine Augen leuchteten mich in einem satten Grasgrün an. In dem schwachen Licht, das die kleine Lampe an der Decke ausstrahlte, waren sie immer noch so grell wie im Neonlicht des Flugzeuges. Vielleicht wurde ich krank? Oder ich war einfach übermüdet.

      Ich ging zurück in die Küche und setzte mich an den Tisch. Jan schob mir einen großen Teller Suppe vor die Nase und stellte mir eine Dose Coke hin.

      Der Eintopf schmeckte wirklich gut. Er erinnerte mich an die Suppen, die meine Oma für mich gemacht hatte. Sie schmeckten viel besser als Dosensuppen oder die, die meine Mutter kochte. Das hier war eine deftige Mahlzeit und genau das brauchte ich jetzt, auch wenn ich vor meinem geistigen Auge sah, wie sich die Knöpfe meines Brautkleides spannten.

      Während des Essens schwiegen wir. Es war ab und zu ein »Mh« oder »lecker« zu hören, wobei sich Jan weiterhin selbst lobte.

      Nachdem wir fertig gegessen hatten, wollte ich meinen Teller abspülen.

      »Nein, nein, lass das! Stell ihn einfach in die Spüle! Ich mache das morgen früh! Bitte, heute Abend nicht mehr«, sagte Jan und nahm mir den Teller aus der Hand, um ihn in das Waschbecken zu stellen.

      »Wie macht ihr das mit dem Abwasser? Wenn ihr nicht mal am Stromnetz angeschlossen seid, dann habt ihr sicher auch keine Kanalisation«, fragte ich.

      »Schlaues Kind«, witzelte Jan. »Wir haben unterirdische Tanks, die jede Woche abgepumpt werden. Es kommen zwei Geländewagen mit je einem Tank. Einer für das Wasser aus den Duschen und den Waschbecken, der andere für den Rest.«

      »Wäre es nicht einfacher, näher an einer Stadt zu wohnen, wo man euch an das Versorgungssystem anschließen könnte?« Dieses Thema ließ mir keine Ruhe. Warum machten sie es sich so umständlich? So weit weg von der Zivilisation. Kein Internet, Strom nur von Generatoren und das Abwasser wurde abgepumpt.

      »Wir könnten auch alle in den Wald machen und uns im Bach baden, aber so ist es doch angenehmer.« Jan nahm mir meine Fragen zum Glück nicht übel.

      »Wie kauft ihr denn ein? Wo ist der nächste Supermarkt? Oder ein Arzt? Was ist, wenn jemand krank wird?«

      Jan setzte sich zurück an den Tisch und öffnete sich eine zweite Coke, die er mit ein paar großen Zügen leerte. »Bist kaum angekommen und willst schon alles wissen. Das gefällt mir. Einiges bauen wir selbst an. Wir haben einen Gemüsegarten, Obstbäume und auch Ziegen, Schweine, Hühner und ein paar Kühe. Alles andere kaufen wir auf Vorrat ein. Der nächste größere Ort ist Clearwater. Bis dahin fahren wir knapp drei Stunden. Wir fahren mit mehreren Wagen los und kaufen für alle hier im Dorf ein. Deshalb haben wir auch große Tiefkühlschränke«, Jan zeigte auf den großen silbernen Kasten in der Küche. »Das, was wir einkaufen, muss ein paar Wochen reichen. Wenn jemand krank wird, holen wir uns Hilfe in der Natur. Und für den allergrößten Notfall haben wir einen Hubschrauber.«

      Ich schluckte. »Ihr habt einen Hubschrauber?«

      Jan nickte, als sei es das Normalste auf der Welt, wenn im Garten ein Helikopter stand. »Hinter dem Dorf gibt es eine Lichtung, die wir als Landeplatz benutzen.«

      »Wer bezahlt das alles? Wie verdient ihr euer Geld? Oder übernimmst du alle Kosten?«

      »Ich unterstütze das Dorf, wo ich kann und übernehme die größeren Anschaffungen. Nicht jeder lebt für immer hier. Manche sind für ein paar Monate da, andere nur für ein paar Wochen. In der Zwischenzeit gehen sie einer Arbeit nach.«

      »Das muss aber eine sehr gut bezahlte Arbeit sein, um hier monatelang Urlaub machen zu können.«

      Langsam kam mein Gefühl zurück, dass hier etwas schief lief, dass all das nicht das war, für das es von Lisa und Jan verkauft wurde.

      Ich traute mich nicht, weiter nachzufragen, aus Angst, etwas zu erfahren, das ich nicht wissen wollte. Vielleicht waren es ja doch Sektenmitglieder, die auf diese Weise neue Mitglieder warben: Einfach das Flugticket verschenken und hier festhalten und die, die angeblich wieder in die Stadt gingen, wurden als Opfer dargebracht.

      Mir fröstelte es bei dem Gedanken und ich bekam eine Gänsehaut. Ich wünschte, ich wäre zu Hause bei Thomas. »Ich muss zu Hause anrufen, dass ich gut angekommen bin«, sagte ich und suchte in meiner Tasche nach meinem Handy.

      »Warte.« Jan stand auf und holte aus dem Sideboard, das unter dem Fernseher stand, ein