Manu Brandt

Seelenblau


Скачать книгу

du ein fremder Mann, würde ich jetzt Panik bekommen, wo du mit mir hinfährst. Kilometerweit in den Wald hinein und das ganz allein«, versuchte ich ein Gespräch anzufangen. Wir schwiegen uns schon viel zu lange an.

      »Wer sagt denn, dass du vor mir keine Angst haben musst?« Lisa blickte mich fies über den Rand ihrer Brille hinweg an.

      Ich musste lachen, weil das wirklich dämlich aussah. Lisa konnte einfach nicht böse gucken. Mir fiel ein Stein vom Herzen, als auch sie anfing zu kichern. Ich hatte befürchtet sie sei wegen der Bemerkung über ihren Bruder sauer auf mich gewesen.

      »Keine Angst, ich werde dich nicht ermorden, zerstückeln und wilden Tieren zum Fraß vorwerfen. Vielleicht foltere ich dich ein wenig, indem ich dich fessle und dir Schlagerlieder vorspiele oder selbst geschriebene Gedichte vorlese.«

      »Oder mich durch die Pampa jagst und jeden Tag mit mir wandern gehst.«

      »Natürlich! Was glaubst du denn, warum du hier bist? Um deinen Seelenfrieden zu finden?« Lisa zwinkerte mir zu.

      »Seelenfrieden ist doch nichts Schlechtes«, antwortete ich, auch wenn ich mich wunderte, wie Lisa auf dieses Thema kam.

      »Nein«, sagte sie ernst. »Es ist neben der Liebe das größte Glück, das einem Menschen passieren kann.« Sie schaute mich an und lächelte. »Der Friede stellt sich niemals überraschend ein. Er fällt nicht vom Himmel wie der Regen. Er kommt zu denen, die ihn vorbereiten.«

      »Woher hast du denn bitte den Spruch?« So poetisch kannte ich sie gar nicht.

      »Von einem sehr weisen Mann.«

      »Ah ja. Und wie soll man seinen Frieden vorbereiten?«

      »Frieden wird in die Herzen der Menschen kommen, wenn sie ihre Einheit mit dem Universum erkennen.«

      Ich verdrehte die Augen. Das klang überhaupt nicht nach Lisa. Das klang, als würde sie etwas zitieren, das sie in irgendeiner Esoterik-Zeitschrift gelesen hatte. Egal was Lisa mit mir hier draußen vorhatte, aus diesen Sprüchen wurde ich nicht schlau. Einheit mit dem Universum. Das klang für mich eher wie ein Spruch aus der Bibel – oder viel schlimmer: wie von einer Sekte. War Lisa ein Mitglied einer Sekte? Brachte sie mich deshalb nach Kanada in die Einöde? War sie vielleicht jemand, der neue Mitglieder anschleppte? Im Fernsehen hatte ich Berichte über solche Sekten gesehen. Sie bewohnten ganze Dörfer, blieben unter sich und waren davon überzeugt, dass allein ihr Glaube der richtige Weg war. Die Mädchen wurden jung verheiratet und niemand konnte aus dem Dorf fliehen und wenn es doch jemandem gelang, wurde er gewaltsam zurück geholt.

      Aber passte das alles zu der Lisa, die ich kannte? Ich konnte es mir nur schwer vorstellen. Dennoch wollte ich versuchen, irgendetwas von ihr zu erfahren. »War der weise Mann vielleicht Priester oder so was?«

      Lisa lachte. »So etwas Ähnliches. Du wirst ihn kennenlernen. Vielleicht verstehst du es ja dann.«

      Nun verstand ich gar nichts mehr.

       Kapitel 4

      Verändere deinen Blick auf die Dinge.

      Das zunehmende Licht erhellt nicht nur die Landschaft.

      Es steigt auch in dir selbst auf, aus den Tiefen deines Geistes.

      Werde dir der Macht bewusst, die dir gegeben ist,

      früh am Morgen, im Angesicht der aufgehenden Sonne.

      »Wir sind gleich da.« Lisa stoppte den Wagen. Ich hatte aus dem Seitenfenster geschaut und blickte nun nach vorn. Im Scheinwerferlicht konnte ich einen hohen Zaun erkennen. Kein einfacher Maschendraht sondern viel stabiler. Er ragte gefühlte drei Meter vor uns in die Höhe. Am oberen Ende war Stacheldraht aufgerollt. Es wirkte wie ein Hochsicherheitstrakt im Gefängnis.

      Auf der Straße befand sich ein schweres, eisernes Tor. Lisa stieg aus dem Wagen und öffnete es. Es war gar nicht verschlossen. Der Anblick des Zaunes und des schweren Tores machte mir Angst. Der Gedanke an eine Sekte wurde immer größer, aber ich wollte mir meine Angst nicht anmerken lassen. Weglaufen hätte eh keinen Sinn gehabt. Von hier aus würde ich nie wieder den Weg zurück finden. Ich räusperte mich. »Dein Bruder hat wohl nicht gern Besuch, was?«

      Lisa zuckte stumm mit den Schultern und fuhr durch das Tor. Dann hielt sie erneut an, stieg aus und schloss das Tor hinter unserem Wagen. Als sie wieder hinter dem Steuer saß, fragte ich sie, warum das Tor nicht abgeschlossen sei, wenn ihr Bruder schon einen hohen Zaun um sein Grundstück baute.

      »Damit man rein und raus kommt, natürlich«, erklärte Lisa.

      »Natürlich.«

      Ich wartete darauf, dass Lisa weiterfuhr, aber sie tat es nicht. Stattdessen schaute sie in ihren Außenspiegel.

      »Lisa?« Ich stupste sie mit einem Finger an der Schulter an. »Schläfst du?« Doch sie reagierte nicht. Ich rutschte zurück auf meine Seite und drehte meinen Spiegel etwas nach innen, damit ich sehen konnte, was Lisa entdeckt hatte. Ich sah nichts. Außer dem eisernen Tor konnte ich nichts erkennen. Lisa beobachtete immer noch ihren Außenspiegel.

      Nun kurbelte ich das Fenster hinunter und lehnte mich hinaus, um mehr sehen zu können. Hinter dem Tor bewegte sich etwas. Es lief Richtung Zaun. Es musste ein Tier sein, da es auf vier Beinen lief. Es war ein großes Tier. Es stapfte schwermütig am Zaun entlang und blieb stehen. Nun drehte es den Kopf in unsere Richtung.

      »Oh Gott, Lisa! Da ist ein Bär! Ein riesiger Bär!«, schrie ich, als ich ihn erkannte, und kurbelte das Fenster schnell wieder hoch. »Nun fahr doch los! Wenn der das Tor aufmacht, frisst er uns! Er hätte dich angreifen können, als du ausgestiegen bist! Lisa, jetzt fahr endlich!« Ich fuchtelte mit den Armen, um sie zum Fahren zu bewegen.

      Lisa stöhnte auf. »Wie soll er bitte das Tor aufmachen? Er müsste die Riegel öffnen. Das schafft er mit seinen Pranken doch gar nicht. Genauso müsste er unsere Wagentüren aufbekommen. Mal ehrlich: sieht der Bär so aus, als ob er uns fressen will?«

      Der Bär naschte an einem Beerenstrauch, der am Zaun wuchs. Solange er sich für Futter nicht anstrengen musste, würde er sich bestimmt nicht auf uns stürzen.

      »Ganz ruhig, Mia. Wir sind hier in den Wäldern. Hier leben nun mal wilde Tiere. Hinter dem Zaun bist du sicher.«

      »Ich verbringe also eine Woche in Fort Knox, umgeben von wilden Tieren, die mich zerfleischen könnten, wenn ich auch nur einen Schritt nach draußen wage. Das ist ja super.« Oder ich würde irgendwelche Gebete auswendig lernen und stundenlang aufsagen müssen. Oder würde an einen alten Mann verheiratet und bei einem Fluchtversuch erschossen werden. Vielleicht käme Thomas, um mich zu retten. Nur, wenn ich keinen Kontakt zur Außenwelt hätte, wie sollte ich ihm dann sagen, dass ich gekidnappt wurde?

      Lisa lachte. »So schlimm wird es mit Sicherheit nicht werden. Hier gibt es zwar ein paar Sicherheitsvorkehrungen, aber das bedeutet nicht, dass wir nicht rausgehen können.«

      Sicherheitsvorkehrungen? Das klang gar nicht gut. »Und wenn wir angegriffen werden, wenn wir raus gehen?« Sei es nun von einem Tier oder einem Sektenmitglied.

      »Mia! Wir werden nicht angegriffen! Die Tiere haben mehr Angst vor dir als du vor ihnen!«

      Sie ahnte zum Glück nicht, welche irrsinnigen Gedanken ich an eine Sekte hatte.

      »Warum dann der Zaun?« Ich ließ nicht locker. Irgendetwas stimmte hier nicht und ich fühlte mich, als würde man mich einsperren wollen.

      »Weil hin und wieder ein paar Tiere zum Dorf gelangt waren und wir die Kinder schützen wollen. Die haben noch nicht die Erfahrung und könnten etwas machen, was die Tiere falsch verstehen.«

      »Dorf? Kinder? Lisa! Wo bringst du mich hin? Ich dachte wir fahren zu einer einsamen Hütte im Wald! Auf einmal redest du von Kindern, die von Tieren attackiert werden könnten!«

      Lisa legte ihre Stirn auf das Lenkrad und schloss die Augen.

      Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Da es wieder mehr Luft als Blut pumpte, musste ich husten.