Emma Baro

Rawanni und die Mafiosi


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Nähe, sie wollte nicht allein sein. Es war ihr egal, dass sie Al noch nicht lange kannte und er sich etwas anderes erhoffte. Doch er zeigte viel Verständnis, deshalb legte sie den Kopf an seine muskulöse, nackte Brust, während sein Arm sie fürsorglich umschloss. Bald war sie eingeschlafen.

      Ihr Schmerz unterdrückte sein sexuelles Verlangen. Er litt mit ihr. Gerne hätte er ihr geholfen, aber den Schmerz über den Verlust ihres Mannes konnte er ihr auch nicht nehmen. Vielleicht genügte es im Augenblick, dass er da war und sie sich an ihn lehnen konnte. Es bedurfte keiner Worte. Schließlich schlief auch er ein.

      Am Morgen erwachte er vor ihr, bewegte sich aber nicht, um sie nicht zu wecken. Draußen war es trübe und grau. Er hörte den Wind pfeifen, ein angekündigter Blizzard tobte durch die Straßen und würde sicherlich wieder den Verkehr lahmlegen.

      Er betrachtete ihre Gesichtszüge; diese scharf geschnittene Nase, die markanten Wangenknochen und diesen sinnlichen Mund, den er so gerne … Er seufzte lautlos.

      Sie bewegte sich. Ihre Augen waren noch geschlossen, während ihr Arm sich mit traumwandlerischer Sicherheit um seine Brust schlang und ihre Hand an seiner Taille entlang streichelte. Auf ihrem Gesicht lag ein zufriedenes Lächeln und mit einem wohligen Schnurren kuschelte sie sich noch näher an ihn. Plötzlich stockte sie, das Lächeln verschwand und sie riss erschrocken die Augen auf.

      "Äh, entschuldige", stammelte sie verlegen und ging hastig auf Abstand. "Ich dachte … " Sie brach ab und fuhr sich verwirrt durch die Haare.

      "Hey, du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Ich habe es dir schließlich angeboten und zum Anlehnen bin ich sehr gut geeignet." Er lächelte so unschuldig, dass sie ebenfalls lächeln musste.

      Ihm war klar, dass sie im ersten Moment geglaubt hatte, er wäre Luke gewesen. Aber ein paar Sekunden hatte er sie völlig entspannt erlebt und wünschte sich sehnlichst, ihre streichelnde Hand hätte ihm gegolten und weitergemacht.

      "Ich sollte besser gehen", sagte sie voller Unruhe.

      "Nein, das erlaube ich nicht. Sieh mal nach draußen, es schneit und stürmt. Du möchtest doch sicherlich nicht jetzt auf der Straße leben. Außerdem ist heute Weihnachten."

      "Weihnachten?" Sie atmete hörbar aus und sank zurück aufs Kissen.

      "Und ich brauche in den nächsten Tagen nicht zur Arbeit. Falls wir nicht inzwischen vollständig eingeschneit werden, könnten wir heute Mittag essen gehen."

      Sie drehte ihren Kopf zu ihm, ihre Miene war ernst. "Warum tust du das alles für mich?"

      Er stützte sich auf seine Unterarme und blickte sie mit einem spitzbübischen Lächeln an. "Ich habe eben eine Schwäche für Streunerinnen. Also, mach dir bitte keine Gedanken. Komm, lass uns frühstücken. Du kannst zuerst ins Bad."

      "Nein, geh du zuerst."

      Während Al im Badezimmer war, sah Rawanni nachdenklich aus dem Wohnzimmerfenster. Dicke Schneeflocken jagten fast waagerecht zwischen den Häusern hindurch und türmten sich auf den Straßen schnell höher. Die Wolkenkratzer, die nicht weit entfernt lagen, verschwanden vollends im Schneegestöber.

      Plötzlich stand Al hinter ihr. Sie hatte ihn nicht kommen hören, weil im Radio gerade die neuesten Unwetterwarnungen und Verkehrsberichte durchgegeben wurden.

      "Ich glaube, wir werden heute ans Haus gefesselt bleiben." Er blickte über ihre Schulter nach draußen, während er die Hände auf ihre Oberarme legte, ohne sie zu streicheln, was er gerne getan hätte. Der Anblick in ihrem Slip und dem knappen Unterhemd war kaum zu ertragen. Die schlanke Taille, die überging in die sanften Rundungen der Hüfte, ihre langen wohlgeformten Beine … selbst ihre nackten Füße wirkten ausgesprochen sexy. — Und jetzt drehte sie sich auch noch um. Sekundenlang sahen sie sich an, eine knisternde Spannung lag in der Luft. Sein Mund wurde immer trockener, er schluckte verkrampft. Weil er nicht wusste, wo er mit seinen Händen hin sollte, schob er sie in die Gesäßtaschen seiner Jeans.

      Sie schlug die Augen nieder. "Ich gehe jetzt ins Bad."

      "Ich mache inzwischen Frühstück." Die Worte gingen ihm schwerfällig über die Zunge. Er sah ihr nach und seufzte.

      Sie ließ sich das warme Wasser über den Körper laufen, während ihr viele Gedanken durch den Kopf schwirrten. Al war ihr sehr sympathisch und sie spürte, dass er sich zu ihr hingezogen fühlte, aber auf eine Art und Weise, die sie nicht zulassen wollte und konnte. Seine Nähe, die ihr sehr gut tat, wurde ihr langsam doch zu nah. Sie konnte ihm niemals Liebe entgegenbringen und je länger sie blieb, umso schmerzlicher würde es für ihn werden. Sie musste ihn so schnell wie möglich verlassen.

      ***

      Es wurde ein recht gemütliches Weihnachtsfest. Al hatte zwar keinen Baum besorgt, aber ein paar Tannenzweige aufgehangen. Das Fernsehprogramm über die Feiertage war ganz erträglich und so hatten sie einfach eine Woche lang gefaulenzt. Dabei hatte Rawanni so sehr darauf geachtet, dass es keinen Körperkontakt gab, dass er von sich aus zurückhaltender wurde. Er spürte, dass er zu forsch vorgegangen war.

      Im neuen Jahr nahm Al dann seine Arbeit wieder auf. Als er am Abend nach Hause kam, war Rawanni nicht mehr da. Auf dem Küchentisch lag ein Zettel: Lieber Al, es tut mir leid, aber es ist besser so. Vielen Dank für alles. Niedergeschlagen stützte er den Kopf auf. Sie war weg.

      Als er später ins Gästezimmer ging, fand er die Sachen, die er ihr gekauft hatte, fein säuberlich zusammengelegt auf dem Bett, nur einen Pullover und die Unterwäsche hatte sie behalten.

      Er würde sie wiederfinden, das stand für ihn fest.

      Kapitel 3

      Januar 1991

      Rawanni übernachtete diesmal nicht in Mallys Lager, denn hier würde Al als Erstes nach ihr suchen. Wohl oder übel suchte sie die Unterkünfte des Nachtasyls auf, da es draußen zu kalt war und der Schnee sich noch einen halben Meter hochtürmte, aber für die nächsten Tage hatten sie keinen Neuschnee angekündigt, auch die Temperaturen sollten steigen. Nur wenig Autos fuhren auf den Straßen, hauptsächlich Taxen und die Räumfahrzeuge, die unermüdlich unterwegs waren, um die Straßen wieder einigermaßen befahrbar zu machen. Die Quecksilbersäule war weit unter den Gefrierpunkt gefallen und Rawanni sehnte sich bereits wieder nach Als warmem Bett.

      Bei dieser strengen Kälte waren alle Obdachlosenasyle belegt und sie ergatterte an diesem Abend gerade noch das letzte freie Bett. Es war eng und stickig in dem Saal, in dem 30 doppelstöckige Betten standen. Zusätzlich hatte man in jede freie Ecke dünne Matratzen gelegt. In zwei weiteren Sälen sah es nicht anders aus.

      Es stank unangenehm. Der Gestank reichte von Schweiß über Alkohol bis hin zu Urin. Manche lagen betrunken auf ihren Pritschen und schliefen ihren Rausch aus, andere schnarchten oder unterhielten sich lautstark mit dem Nachbarn. Sie erinnerte sich an Charlys Worte, dass man hier besonders auf seine Sachen aufpassen musste.

      Sie schlief unruhig und wurde oft wach. Jemand grapschte nach ihr und sie musste ihn unsanft von sich stoßen. Von Alkohol umnebelt blieb er auf dem Boden vor ihrer Pritsche liegen. Noch eine Nacht wollte sie hier auf keinen Fall verbringen.

      Am Morgen verließ sie das Asyl frühzeitig. Während sie durch die Straßen lief, wärmte sie sich immer wieder in den Kaufhäusern auf. In Little Italy blieb sie vor einem italienischen Restaurant stehen. Es hieß Bei Manolo und sah sehr einladend aus. Sie entschloss sich spontan dort nach Arbeit zu fragen. Das hatte sie, entgegen ihrem Plan, während der Zeit bei Al vernachlässigt.

      Es war zwei Uhr nachmittags und der Haupteingang war noch verschlossen, auch beim Hintereingang rührte sich nichts. An einer zweiten Hintertür schimmerte Licht durch ein milchiges Fenster. Diesmal musste sie es besser machen und mehr auf ihr Aussehen setzen. Sie wickelte den Schal von ihrem Kopf und breitete ihr Haar über Schultern und Brust aus. Von ihrem Körper sah man unter dem dicken Mantel zwar nicht viel, denn es war zu kalt um ihn auszuziehen, aber ihr Gesicht würde vielleicht für den ersten Eindruck genügen. Sie klopfte. Nichts. Sie klopfte ein zweites Mal.

      Ein