J.P. Conrad

Mutterschmerz


Скачать книгу

erklärte der Arzt.

      Ich stand auf und wischte mir die Schweißperlen mit dem Jackenärmel ab. Beinahe war ich versucht, ihn zu bitten, mir auch ein paar von den Dingern zu geben.

      »Passen Sie auf sie auf, ja?«, sagte ich stattdessen und klopfte dem Mann anerkennend auf die Schulter. Dann ging zu Blume, der gerade mit dem Brandobermeister sprach.

      »Sie reißen den Dachstuhl ein, damit keine Einsturzgefahr mehr besteht«, setzte mich mein Assistent in Kenntnis.

      »Wann können wir zu der Leiche?« In Gedanken malte ich mir den Grad der Zerstörung der Spuren aus, die mit dem Abriss des Daches einhergehen würden.

      »Das ist eine Menge Holz und die Dachziegel kommen auch noch dazu«, sagte Klinger abschätzend. »Ein paar Stunden wird es sicherlich brauchen.«

      Mein Assistent und ich wechselten einen stummen Blick. »Ich hatte gefunkt. Die Spurensicherung müsste gleich da sein«, sagte Gerd. »Sie sind in der Hütte fertig.«

      Ich nickte verstehend und ging zu der Hausruine. Es roch stark nach verkohltem Holz und aus dem Hauseingang drang leichter Dampf nach draußen. Ich steckte meinen Kopf hinein und schaute mich um. Alles was ich sah, war schwarz und verbrannt: die Wände, die Deckenbalken, der Boden.

      »Seien Sie bloß vorsichtig!«, sagte einer der Feuerwehrmänner. »Das kann jeden Moment wie ein Kartenhaus zusammenfallen.«

      Ich dachte an die wertvolle Zeit, die verstreichen würde, bis die Leiche geborgen werden konnte. Und an den ganzen Schutt, unter der sie zunächst durch den Abriss des Dachstuhls begraben werden würde. Also traf ich eine Entscheidung.

      »Haben Sie so einen Helm für mich?«, fragte ich den Mann und deutete auf seine Kopfbedeckung. Er sah mich unsicher an.

      »Was haben Sie vor?«

      »Ich werde da rein gehen!« Mein Blick verriet ihm, dass es keinen Sinn machte, mit mir darüber zu diskutieren. Andernfalls hätte ich es mir selbst vielleicht auch nochmal überlegt. Er eilte davon.

      Ein Fahrzeug näherte sich und hielt an. Es war die Spurensicherung; genau zum richtigen Zeitpunkt.

      »Betzdorf, geben Sie mir die Sofortbildkamera«, begrüßte ich den Leiter der SpuSi, kaum dass er die Wagentür geöffnet hatte. Er ging zur Heckklappe, öffnete erst diese und dann einen der silbernen Koffer, die dahinter verstaut waren. Er reichte mir den schwarzen Kasten und ich steckte meine Hand durch die Schlaufe.

      »Hier, die auch«, sagte Betzdorf und schob einen Blitzwürfel auf den Metallschuh auf der Oberseite. Zwei weitere gab er mir in die andere Hand und ich steckte sie in meine Hosentasche.

      »Danke! Wie viele Fotos kann ich machen?«

      »Zehn. Ist leider auch die letzte Kassette. Wir wussten ja nicht, dass es heute gleich drei Einsätze am Stück gibt.« Keiner von uns hätte das ahnen können und entsprechend erschöpft wirkten Betzdorf und seine Kollegen bereits jetzt.

      Als ich wieder zum Hauseingang kam, waren Blume und Klinger schon dort. Der Oberbrandmeister hielt einen Helm in der Hand und reichte ihn mir.

      »Das ist Wahnsinn, was Sie da vor haben!«, erklärte der Mann brummig. »Sie haben doch keine Ahnung, wie man sich da verhalten muss. Worauf man achten muss.«

      Gerd stimmte ihm zu. »Herr Kommissar, er hat Recht! Sie können da drin umkommen!«

      »Zur Kenntnis genommen!« Ich zog den Umschlag mit den Fotos aus der Tasche und drückte sie dem verdutzten Gerd in die Hand. »Hier. Passen Sie darauf auf, bis ich zurück bin!« Dann setzte ich den Helm auf, nahm ihn nochmal ab, justierte ihn auf meine Kopfgröße und setzte ihn wieder auf. Ich atmete einmal tief durch und betrat das Haus.

      Kapitel 10

      Die Luft war stickig vom Rauch und feucht vom Löschwasser. Der Geruch erinnerte mich an den eines erkalteten Lagerfeuers. Ich musste mehrfach husten, aber es war glücklicherweise genug Sauerstoff vorhanden, der mich halbwegs normal atmen ließ. Ich stand in einem schmalen Korridor, von dem drei Türen und eine steile Treppe ins Obergeschoss abgingen. Oberbrandmeister Klinger war davon ausgegangen, dass das Feuer an einer zentralen Stelle ausgebrochen war. Und auch ich teilte seine Auffassung: Die Flammen schienen sich ihren Weg durch das Holz, den Lehm und alles andere brennbare von dem Raum aus gebahnt zu haben, dem ich mich nun näherte. Die schwarzen Brandspuren auf den Wänden sprachen hier eine klare Sprache, auch wenn ich kein Experte auf diesem Gebiet war. Ich schaute nach oben und musste dabei meinen nicht wirklich perfekt sitzenden Helm festhalten. Die Decke war hier zwar ebenfalls rußgeschwärzt, aber noch intakt. Zumindest hatte es den Anschein, denn die Geräusche um mich herum sagten mir, dass ich mich darauf besser nicht verlassen sollte. Überall knarrte und knirschte es. Das Holzskelett des alten Hauses schien sich mit aller Kraft gegen seinen Zusammenbruch zu wehren. Ich musste mich beeilen, wenn ich nicht lebendig begraben werden wollte. Jetzt schaute ich in den Raum vor mir. Es war die Küche, oder besser das, was davon noch übrig war. Der gusseiserne Herd hatte nichts abbekommen; er sah fast aus wie neu, war lediglich mit Ruß und ein paar Fetzen verkohltem Papier bedeckt. Ebenso der kleine Ofen in der Ecke. Ich machte einen Schritt nach vorne, zog aber meinen Fuß sofort wieder zurück. Die Bodendielen, die unter dem, zum größten Teil geschmolzenen, Linoleum zu erkennen waren, waren sehr stark vom Feuer angegriffen worden. Von außen hatte ich ein Kellerfenster gesehen; demnach konnte der ganze Raum ein Stockwerk tiefer fallen, wenn ich mich nicht vorsah. Wieder schaute ich nach oben. Oh ja, hier in der Küche musste der Brandherd gelegen haben. Ein Teil der kohlrabenschwarzen Decke war eingestürzt. Geborstenes Holz und Estrich formten ein Loch in der Zimmerdecke und legten die Stützbalken frei. Darüber lag das teilweise zusammengefallene Dach, durch das ich bis in den wolkenverhangenen Himmel sehen konnte. Vereinzelt fielen Tropfen des Löschwassers von der Decke. Ich kam mir vor, wie in einem brandgerodeten Dschungel nach einem Regenguss. Vor mir tat sich ein heilloses Durcheinander auf. Ich erkannte die Anrichte, einen altmodischen Küchenschrank, den Kühlschrank, sowie, in der Mitte des Raums, einen Tisch und mehrere Stühle, die teilweise von Trümmern begraben waren. Der Rest war größtenteils bis zur Unkenntlichkeit zusammengeschmolzenen und mit Schutt, Estrich und verkohltem Papier bedeckt. Alles glänzte feucht vom Löschwasser.

      Ich nahm die Kamera, schaute kurz, wo der Auslöser war, und blickte dann durch den Sucher. Ein Blitz erhellte für einen Sekundenbruchteil die Szenerie, als ich abdrückte. Ich hatte ein erstes Foto geschossen, das ich gleich in meine Jackentasche stopfte. Es würde eindeutig zeigen, dass der Ursprung des Feuers hier in der Küche gelegen hatte. Ein Fachmann würde das sicher belegen können. Es gab natürlich auch diverse Quellen, die es ausgelöst haben konnten: ein Fettbrand, ein defektes, elektrisches Gerät, vielleicht eine unachtsam aufgestellte Kerze. Doch mein Bauch sagte mir, dass das Feuer kein Unglück gewesen war. Mit dem toten Mädchen im Hinterkopf, das in eben diesen Räumen gelebt hatte und das am Morgen getötet worden war, konnte das einfach kein Zufall zu sein. Hatte es möglicherweise jemand auf die Familie Mattheis abgesehen?

      Das Knarren und Knacken war hier in der Küche besonders laut und bedrohlich. Dazu noch das stetige Tropfen. Ich musste einen Zahn zulegen, damit ich schnell wieder hier raus kam und dieses unablässig wachsende, klaustrophobische Gefühl in mir loswurde. Mein Blick wanderte weiter über den Boden und versuchte, jedes noch so kleine Detail in dem Chaos zu analysieren. Und dann sah ich sie; die Füße einer Person. Sie ragten unter einem Stück Holz hervor, an dem noch ein Teil des Bodenbelags vom oberen Stockwerk hing. Die Tote lag auf dem Bauch; sie trug Schuhe, möglicherweise Pantoffeln. Ich konnte es nicht mit Bestimmtheit sagen, da ihre Extremitäten den heruntergebrannten Holzscheiten in einem Kamin glichen. Ich richtete die Linse der Kamera aus und machte ein weiteres Foto. Es zeigte die Füße und einen Teil der Unterschenkel der Leiche. Der Rest ihres Körpers war, bis auf den rechten Unterarm, unter dem Schutt der eingestürzten Decke begraben. Da es sich eindeutig um eine Frau handelte, ging ich davon aus, dass ich die Schwester von Frau Mattheis vor mir hatte.

      Es drängte mich, näher an sie heranzugehen, um noch Detailaufnahmen zu machen. Aber das allgegenwärtige Knarren um mich herum, das wie das Innere eines alten Holzkahns klang, der über tosende