J.P. Conrad

Mutterschmerz


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dass er das so kombinierte. Von dem kleinen Fleck, der eindeutig Blut war und den er sicher nicht hatte erkennen können, sagte ich nichts. Ich zog mein Taschentuch aus der Hose, legte die Kette hinein und stopfte beides in meine Jackentasche. Der unverhoffte Fund spornte mich an, das bescheidene Refugium von Emil Klotz etwas genauer zu inspizieren.

      Ein Rascheln machte mich wieder auf Gerd Blume aufmerksam; er schaute in die diversen Schachteln im Regal. »Was Interessantes entdeckt?«

      »Lebensmittel, hauptsächlich Konserven«, antwortete er knapp.

      Ich sah zu Klotz. »Haben Sie die auch illegal geschossen?«

      Er trat einen Schritt auf mich zu; der Polizist hinter ihm zuckte reflexartig.

      »Die Sachen hab ich ehrlich erstanden. Im Laden unten in Anspach«, sagte er, was mich angesichts seiner Lebensumstände etwas erstaunte.

      »Woher haben Sie das Geld dafür?«

      Er sah zu Boden. Nach einem Zucken seiner mit einem Mal eingefallenen Schultern, antwortete er: »Waren ein Geschenk.«

      »So? Und wer war der Wohltäter?«

      »Frau Reuter«, grummelte Klotz und der Polizist an der Tür erklärte daraufhin: »Sie führt den Laden zusammen mit ihrem Mann.«

      »Ich verstehe. Scheint eine gute Seele zu sein.«

      »Das ist Sie«, bestätigte Klotz, fast wehmütig.

      Ich ließ es dabei bewenden. Der Mann lebte am Rande der Gesellschaft; darüber zu spotten oder zu urteilen, war nicht meins.

      Als Nächstes nahm ich mir die Schlafstätte vor. Die mit gelblich-weißem Stoff bespannte Liegefläche war vollkommen durchgelegen, die Wolldecke war zerschlissen und wirkte ziemlich kratzig. Es konnte nur einer Strafe gleich kommen, sich hier Nacht für Nacht schlafen zu legen. Durch ein Loch in der Bespannung sah ich, dass sich irgendetwas unter dem Bett befand und ich bückte mich, um nachzusehen. Ich fand eine alte Schreibmaschine und ein paar Gummistiefel. Letztere waren ziemlich dreckig. Prüfend strich ich mit dem Zeigefinger über den Rand der Sohle. Die Erde war noch feucht. Ein leichter Adrenalinschub durchfuhr meinen Körper. Sollte das etwa schon das Ende meiner ersten eigenen Mordermittlung sein?

      Gerade, als ich mich wieder aufrichten wollte, bemerkte ich etwas Dunkles, das ein wenig unter der Wolldecke hervor ragte. Mit den Fingerspitzen hob ich sie an und fand zwei schwarze Lederhandschuhe. Sie waren alt, das Leder spröde und rissig. Rote Farbe haftete an ihnen; ebenso an der Wolldecke und der Liege.

      »Gerd!«

      Blume ließ von dem Regal ab und kam herbei geeilt. Er folgte meinem Blick. »Oh, schau an«, flüsterte er.

      Ich brummte zustimmend und sagte leise: »Und die Stiefel unter dem Bett sind auch interessant. Wurden vor kurzem noch getragen.«

      Er sah mich mit einem überraschten Glänzen in den Augen an; sicher dachte er in diesem Moment genau dasselbe wie ich.

      »Suchen Sie weiter!«, sagte ich dann und ging zu Klotz hinüber. »Zeigen Sie mir mal Ihre Hände!«

      Er kam meiner Aufforderung mit einem Knurren nach. Ich drehte sie im schwachen Licht, das durch die Tür in die Hütte fiel. Sie waren schwielig, an vielen Stellen hatte sich Hornhaut gebildet. Die Finger und vor allem die Nägel strotzten vor Dreck. Wasser hatten sie sicher in den letzten Stunden nicht gesehen. Ich schaute ganz genau; auch auf die Unterarme, seine Jacke und die Hose, konnte aber keine Anzeichen von getrocknetem Blut entdecken. Trotzdem, auf meinen Blick allein durfte ich mich nicht verlassen.

      »Holt mir jemand bitte die SpuSi hierher! Ich will Fingerabdrücke und so weiter. Danke.«

      Der Beamte in der Tür sagte: »Schon unterwegs!« und ließ seinen Kollegen seinen Platz einnehmen. Dann lief er los.

      »Was soll das? Sie behandeln mich wie einen Schwerverbrecher! Ich habe nichts getan«, krächzte der Alte trotzig, mit vor dem Bauch verschränkten Armen.

      Ich deutete auf die Handschuhe auf dem Bett. »Gehören die Ihnen?«, fragte ich scharf.

      Er beugte sich vor und ich sah die Überraschung in seinem Gesicht. Ob sie echt oder gespielt war, vermochte ich nicht zu sagen.

      »Nein«, antwortete er sofort. »Die hab ich noch nie gesehen. Was soll ich mit Handschuhen anfangen?«

      Diese Frage erschien mir dann doch ein wenig naiv und ich zog in Erwägung, dass er schwindelte. »Es ist Herbst und schon ziemlich kalt. Sicher sind warme Hände von Vorteil, wenn man mit einem Gewehr auf Wild anlegt, oder?«

      »Ich besitze keine Handschuhe«, wiederholte der Mann brummig. »Die muss mir jemand hier rein gelegt haben.«

      »So. Und die Kette auch und das Paar Gummistiefel unter Ihrem Bett.«

      Klotz stand ein großes Fragezeichen über dem Kopf. »Gummistiefel?« Er hob das rechte Bein an. »Da, das sind meine Stiefel. Ich besitze nur das eine Paar. Und was für eine Kette? Die, die Sie mir gezeigt haben? Die haben Sie doch mitgebracht!«

      Ich verneinte und deutete zu seinem Waschplatz. »Sie hing vor dem Spiegel!«

      Er machte eine abwehrende Geste mit den Händen. »Nein, nein! Moment mal! Was passiert hier? Was versuchen Sie mir da anzuhängen?«

      Ich blieb ruhig und antwortete nur: »Wie es aussieht, Herr Klotz, braucht sich keiner von uns die Mühe zu machen.« Anschließend schaute ich erneut auf meine Uhr: Es war kurz nach elf. Ich lief zum Waschplatz, nahm die mit seifigem Wasser gefüllte Emailleschüssel vom Schemel und stellte sie auf den Boden. Dann platzierte ich den kleinen runden Rocker mitten im Raum. »Herr Klotz, bitte setzen Sie sich, bis die Kollegen von der Spurensicherung da sind«, sagte ich höflich. Er kam meiner Aufforderung widerwillig nach.

      Ich wandte mich an Blume, der gerade, auf Zehenspitzen stehend, einen Karton auf dem oberen Regalbrett öffnete. Er verzog angewidert das Gesicht. »Puh, Stinkekäse!«

      »Halten Sie die Stellung hier, Gerd«, bat ich ihn. »Und die Kollegen sollen unbedingt auch die Reifenspuren vor der Tür fotografieren und vermessen!«

      Er sah mich fragend an. »Und was haben Sie vor?«

      »Ich fahre zur Schule, das Mädchen identifizieren.«

      Kapitel 6

      Ich nahm den Opel und fuhr die Strecke durch den Wald zurück, aus der wir gekommen waren. Rechtsanwalt Schott hatte mir den Weg ja grob erklärt und das hatte auch genügt: Nachdem ich auf die Hauptstraße abgebogen war, tauchte nach weniger als einer Minute auf der rechten Seite ein moderner, weißer Flachbau auf; das Dorfgemeinschaftshaus. Auf der Herfahrt hatte ich es wohl nicht richtig wahrgenommen. Ich bog in die Straße ein und sah dann sofort das Schulhaus. Es war ein nicht allzu großes, zweistöckiges Gebäude mit einem hohen Giebeldach. Ich stellte den Wagen am Straßenrand ab und stieg die Stufen zum Eingang hinauf. Als ich durch das kleine Fenster in der Tür lugte, bestätigte sich, dass ich dort richtig war: Ich sah Kinder unterschiedlichen Alters, die an ihren schmalen Holztischen saßen und konzentriert einen Punkt fixierten. Sie lauschten dabei einer weiblichen Stimme. Ich atmete einmal kurz durch, öffnete dann die Tür und räusperte mich. Alle fuhren herum und standen von ihren Plätzen auf. Etwa dreißig Augenpaare starrten mich an. Auch die einer Frau Mitte bis Ende zwanzig, die auf der anderen Seite des Raums vor einer Tafel stand. Auf diese waren mehrere Brüche geschrieben, was mich vermuten ließ, dass gerade Mathematik an der Reihe war.

      »Ja? Kann ich Ihnen helfen?«, fragte die Lehrerin und zog sich ihre Brille mit leicht geschwungenem, schwarzen Gestell von der Nase. Zu den Kindern sagte sie: »Bitte, setzt euch wieder hin!«

      Alle kamen brav der Aufforderung nach. Ich ging durch den Raum, ihre neugierigen Blicke deutlich in meinem Nacken spürend.

      »Guten Tag. Mein Name ist Kampmann von der Kriminalpolizei«, stellte ich mich der Frau leise vor. Ich zeigte ihr unauffällig meine Marke und hoffte, dass die Kinder sie nicht sehen konnten.

      »Schneider,