J.P. Conrad

Mutterschmerz


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rel="nofollow" href="#u173c7cbc-9576-5d7e-8a18-10f82236b13a">Kapitel 61

       Kapitel 62

       Kapitel 63

       Kapitel 64

       Kapitel 65

       Kapitel 66

       Kapitel 67

       Kapitel 68

       Epilog

       Impressum neobooks

      Prolog

      Die Frau hielt den Kopf ihres Sohnes fest im Schoß umklammert. Adolf schätzte sie auf etwa dreißig Jahre; das Kind war vielleicht acht. Gerade hatte es wieder einen dumpfen Schlag gegeben, der trotz der dicken Kellermauern klar als Detonation einer Fliegerbombe zu erkennen gewesen war. Etwas Staub rieselte von der rauen, mit Stahlstreben durchzogenen Decke, auf die Anwesenden herab. Neben der Mutter und ihrem Kind befanden sich noch drei weitere Bewohner des Hauses mit ihnen im Raum: Eine Frau Mitte fünfzig, die Metzger hieß, eine Küchenschürze über ihren einfachen Hauskleidern trug und nervös ihre Finger im Schoß knetete. Dann eine ältere Dame in Hose und Strickpullover, die, scheinbar vollkommen unbeeindruckt von allem, genüsslich an ihrer Zigarettenspitze zog. Zuletzt noch Adolfs jüngere Schwester Margarethe, die mit ihm Schulter an Schulter an der klammen, unverputzten Wand hockte. Sie hielten sich bei den Händen.

      Seit über einer Stunde saßen sie nun schon in diesem Keller. Die Luft war feuchtwarm und wurde mit jeder Minute stickiger. Im gleichen Maße schien sich auch die Stimmung der Anwesenden immer weiter aufzuladen. Es war kaum gesprochen worden. Jeder schien mehr mit sich selbst und seiner eigenen Angst beschäftigt zu sein, als zu versuchen, für etwas Ablenkung zu sorgen. Adolf verfluchte seine Entscheidung, gerade heute nach Frankfurt gekommen zu sein; er hätte es schon viel früher tun sollen. Er hätte seine Schwester einfach packen und sie mit nach Hause schleppen sollen. Sein Schwager war vor einem halben Jahr in Charkiw gefallen und die Ehe kinderlos geblieben. Es hätte also für sie kein allzu großes Opfer bedeuten können, zu ihren Wurzeln, in ihr Elternhaus, zurückzukehren. Dorthin, wo nach dem Tod der Eltern und der Hochzeit ihrer Schwester Gertrud nur noch Adolf und ihr gemeinsamer Bruder Otto lebten. Zumindest bis alles vorüber war, hätte sie zu ihnen ziehen können. Margarethe hatte sich jedoch vehement geweigert; auch heute wieder. Dann war der Fliegeralarm ausgelöst worden. Es hatte zuvor zwar Gerüchte gegeben, aber Adolf hatte sie ignoriert. Jetzt saß er hier fest; wer weiß, wie lange. Es bestand durchaus die Möglichkeit, dass dieser Keller sein Grab würde.

      »Sie werden es noch schaffen!«, zeterte Frau Metzger, die an der gegenüberliegenden Seite des Raumes saß. »Wir haben viel zu lange Glück gehabt.« Sie hatte eine unangenehm schrille Stimme, wie Adolf durch ähnliche Äußerungen von ihr zuvor bereits wusste.

      »Bitte beruhigen Sie sich!«, sagte er mit Nachdruck. »Sie machen dem Kind Angst.« Er schaute zur Mutter und ihrem Jungen. Beide waren blond, die Frau leicht kräftig, aber recht attraktiv. Sie hatte etwas Strenges an sich; im Gesicht und auch in der Art, wie sie gekleidet war: sehr konservativ; hochgeschlossen, grau in grau; die Haare zu einem straffen Dutt geknotet. Ein wenig erinnerte sie ihn an die Beschreibung einer Frau aus einer Geschichte, die er in der Schule hatte lesen müssen und die, passenderweise, in Frankfurt spielte. Er hatte eine Zeitlang gebraucht, sich an ihren Namen zu erinnern, schließlich war es schon an die fünfundzwanzig Jahre her gewesen, dass er die Schulbank gedrückt hatte. Aber zumindest hatte ihn die Grübelei etwas von der angespannten Lage, in der er sich befand, abgelenkt. Irgendwann war es ihm dann eingefallen; die Frau in der Geschichte hieß Fräulein Rottenmeier.

      »Der Bub sollte gar nicht hier sein!«, giftete die Metzger zurück. »Er sollte da draußen sein und für unser Land und den Führer kämpfen!« Sie sah Adolf scharf an und zeigte mit dem Finger auf ihn. »Ebenso wie Sie!«

      »Ich gehöre zu denen, die versuchen, unser Land, trotz der am Boden liegenden Wirtschaft, am Laufen zu halten«, konterte er missgestimmt. »Seien Sie froh, dass es noch Leute wie mich gibt, die nicht als Kanonenfutter herhalten müssen. Ohne mich hätten Sie vielleicht nicht mal ein paar Kartoffeln zu essen!« Treffenderweise saß die Frau direkt neben einer hohen Lattenkiste, auf deren Boden drei einsame Knollen lagen.

      »Was tun Sie?«, fragte ihn die Mutter interessiert.

      »Mir gehört ein Landhandel im Taunus.«

      Die Metzger brummte geringschätzend. »Was suchen Sie dann hier in Frankfurt? Hier können Sie keine Geschäfte mehr machen! Hier verdienen nur noch die Totengräber.«

      »Ich habe meine Schwester besucht«, erklärte er, bemüht, sich von den beirrenden Worten der Frau nicht beeinflussen zu lassen, mit denen sie sicher nur ihre eigene Angst zu überspielen versuchte. »Ich wollte sie überreden, mit mir zu kommen.«

      »Hach, wie rührend! Der strahlende Retter im feinen Zwirn!«

      Adolfs Schwester Margarethe, die ansonsten eher eine zurückhaltende Art hatte, platzte nun der Kragen. »Hören Sie auf damit!«, fuhr sie sie an. »Reicht Ihnen der Krieg über unseren Köpfen noch nicht?« In ihrer Stimme lagen gleichermaßen Wut und Traurigkeit.

      Adolf drückte beschwichtigend ihre Hand, doch sie zog sie weg, was ihn selbst nur noch mehr gegen das Gehetze der Nachbarin aufbrachte.

      »Wenn es nicht so viele Feiglinge gäbe, wäre der Feind gar nicht erst bis hierher gekommen!«, konsternierte diese unbeeindruckt.

      Der Junge hob nun zum ersten Mal, seit sie alle hinunter in den Keller geeilt waren, den Kopf. Seine Augen waren rot und.

      »Wie siehst du denn aus?« Seine Mutter wischte ihm hektisch mit dem Daumen die Feuchtigkeit aus den Augenwinkeln. Falten der Verärgerung standen ihr im Gesicht. Es war fast so, als wäre ihr das eigene Kind peinlich. »Und jetzt setz dich neben mich und zeig, dass du ein Mann bist!«, wies sie ihn mit ihrer leicht tiefen Stimme an.

      »Ja, Mama.« Der Junge stand sofort auf.

      »Ein groß gewachsener, blonder junger Mann bist du geworden«, stellte Frau Metzger angetan fest, als sie ihn musterte. Und an die Mutter gewandt lobte sie: »Sie müssen sehr stolz sein. Genau das verlangt der Führer. Wirklich schade, dass er noch zu jung ist, ihm zu dienen.«

      Adolf sagte nichts, auch wenn ihm dieses nationalistische Gewäsch gehörig auf die Nerven fiel. Im Grunde war es ihm egal, wer letztendlich das Land regierte, solange es ihm gut ging und die Geschäfte liefen. Er hatte auch nie wirklich daran geglaubt, dass ein Sieg über die Welt Deutschland irgendwelche Vorteile bringen würde; nur sicher noch mehr Entbehrungen für das gemeine Volk. Er beobachtete den Jungen, der sich nun neben Frau Metzger auf den Boden setzte und kerzengerade gegen die Wand lehnte. Irgendwie tat er Adolf leid. Er musste sich für sein Alter viel zu erwachsen benehmen; weniger wegen des Krieges, so schätzte er, als aufgrund der Strenge seiner Mutter. Das äußerte sich auch in seiner Kleidung: Er trug ein weißes, bis zum Hals zugeknöpftes Hemd, eine graue Hose mit Hosenträgern und polierte schwarze Schnürschuhe. Adolf vermisste den Lausbuben in ihm, so wie er selbst in diesem Alter einer gewesen war; mit zerschlissenen Hosen, aufgeschürften Knien und ordentlich Dreck unter den Nägeln.

      »Noch hat er wenig getan, das mich stolz macht«, sagte die Mutter trocken, beinahe enttäuscht, ohne ihren Sohn anzusehen.

      Adolf schnalzte verächtlich mit der Zunge, was aber niemand mitbekam, da in diesem Moment die Druckwelle