Schmuckeier, wie Vater sie stets zu Ostern anfertigen ließ und zumeist verschenkte. In diesem Zimmer arbeitete Fabergé allein. Niemand außer ihm durfte es betreten. Man hörte seine vielen Mitarbeiter woanders werken. Er beschäftigte über 500 allein in dieser Stadt und hatte weitere Niederlassungen in Moskau, Odessa, Kiew, London und anderen Städten.
„Ich nenne sie die Zwillinge!“, erklärte der Meister zu ihrer Ähnlichkeit.
Er wies auf eine Öffnung inmitten der Goldeinfassung.
„Ich habe das Geheimfach in der beschriebenen Größe eingearbeitet.“
Mama holte aus ihrer Tasche zwei der wertvollen Ampullen, die sie in meinem Beisein aus der Schatzkammer entnommen hatte. Dabei blickte sie mich einen Moment bedeutungsvoll an. Ich wusste was dies bedeutete und prägte mir das Geschehen gut ein.
Dann deponierte sie diese in den dafür vorgesehenen Öffnungen. Fabergé erhitzte eigenständig Silber und verfugte mit diesem jeweils ein ziseliertes Silberblümchen so, dass man keinesfalls dahinter einen verborgenen Schatz vermutete. Alles war gut vorbereitet und passte.
„Ich muss die Stelle noch ein wenig polieren!“ Die Arbeit ging ihm so geschickt von der Hand, als wäre sie von unbeschreiblicher Leichtigkeit. Er fragte nicht nach, was und wozu Mutter etwas in den beiden Eiern verbarg. Sicher war er solche Sonderwünsche seiner reichen Kundschaft gewohnt. So manches Geheimnis steckte sicherlich in seinen Werken.
Nach getaner Arbeit deponierte er die beiden relativ kleinen Schmuckeier in eigens bereitstehenden Schutzkisten.
„Fällt es ihnen eigentlich schwer, sich von ihren Kunstwerken zu trennen?“, fragte ich nun doch neugierig nach.
Er lachte. War die Frage zu naiv?
„In unserem Leben trennen wir uns pausenlos von Dingen, die uns am Herzen liegen. Ich sehe das als Übung an. Dann fällt es mir vielleicht leichter, mich irgendwann von dem Bedeutendsten zu trennen, das ich besitze!“
„Das wäre?“, mischte sich nun sogar meine Mutter ein.
Er lachte abermals.
„Na was schon, das eigene Leben!“
Er blickte mich an. Seine Augen wirkten etwas traurig. „Pass nur immer gut darauf auf!“
Zarskoje Selo am 14. März 1917
Die erste Bahn Russlands wurde zwischen Petrograd und Zarskoje Selo gebaut. Oh, ich liebte Zarskoje Selo. Schon immer! Es war hier ganz anders als in Petrograd. Nirgendwo gab es einen besseren Platz für Freigeister. Sogar Puschkin hatte hier gewirkt und seine Spuren hinterlassen. Es gab sogar ein Museum über den großen russischen Dichter. Das kleine Feodorowski-Städtchen war einfach entzückend zum Bummeln und Einkaufen. Die Symbiose von Parks und Schlössern war unvergleichlich in ganz Europa. Wo gab es noch so ein erhabenes und zugleich behagliches Ensemble? Von den unzähligen Kunstwerken im Schloss muss man gar nicht sprechen.
Wie wunderbar war es, durch die schönen barocken oder englischen Parks zu laufen und am Ufer der dortigen Seen die Schwäne zu füttern. Der Schönste von ihnen war für mich der Alexandrowski-Park. Jetzt im März steckten dort bereits die ersten Blumenblüten ihr Haupt der erstarkenden Sonne entgegen. Man sah auch schon erste Bienchen summend fliegen und den frühen Honig sammeln. Bei schönem Wetter beobachtete ich von der prächtigen Paladin Brücke das Treiben der Vögel auf dem See oder den Kampf der Enten um zugeworfene Brotkrumen. Danach trank ich gern einen Tee im Pavillon „Grotte“.
Wir wohnten wie immer im Katharinenpalast und waren in diesem Jahr früher als sonst hierher gekommen. Papa hatte seine Verwandten, die unseren Vater Grigorij ermordet hatten, verschont. Diese waren nur aus Petrograd verbannt worden. Was war das für eine milde Strafe für dieses große Verbrechen! Mama verzieh ihm diese Milde nicht und sorgte sich um unser Leben. Der Vorwurf, wir wären Deutsche, wurde immer lauter geäußert. Zuweilen sprach Mama sogar davon, nach Schweden zu fliehen. Doch sie liebte natürlich unseren Vater viel zu sehr, um diese Drohung wahr zu machen.
Die Lage in Petrograd spitzte sich insgesamt zu. Seit einigen Tagen war die Bahnverbindung dorthin unterbrochen. Es gab immer wieder gefährliche Unruhen in der Metropole. Einige machtverliebte Aristokraten nutzten die Abwesenheit des Zaren für sich aus und verfolgten ihre eigenen Pläne. Sie schürten das Chaos und verdienten an der Lebensmittelknappheit. Unser Vater war gerade im Hauptquartier der Armee in Mogilew in der Nähe von Minsk. Wir sahen ihn kaum noch. Er verbrachte die meiste Zeit als Oberbefehlshaber im Generalstab an der Front. Früher hatte er manchmal unseren kleinen Bruder gegen den Protest von Mama mitgenommen. Doch seit Rasputin tot war, erschien ihm das Risiko dafür zu hoch. Eine kleine Verletzung konnte unseren Bruder, der an Hämophilie litt, töten. Zudem stießen die Deutschen Kilometer um Kilometer vor. Selbst der russische Winter hatte sie nicht aufhalten können. Es sah fast so aus, als würden sie den Krieg gewinnen. Das wäre schrecklich. Im ganzen Land herrschte Hunger, da die Felder durch den Krieg nicht ausreichend bebaut worden waren. Die Männer waren ja Soldaten. In den Städten und Fabriken gab es immer wieder Streiks. Dazu gab es noch Gerüchte von einem geplanten Umsturz. Aus allen diesen Gründen waren wir froh, hier zu sein.
Rasputin schien recht zu behalten. Mütterchen Russland versank im Chaos. Das wollte ich aber an dem heutigen Tag vergessen. Nur für einen Augenblick sollten die Sorgen verblassen. die Jugend ist doch dazu da, um sie zu genießen. Es war der 14.03.2017 nach gregorianischem Kalender, wie wir ihn in Russland verwendeten. Der Rest Europas benutzt die julianische Zeitrechnung. Hiernach war der 01.03.2017. Mama war mit Anastasija zu einem bedeutsamen Generalsbegräbnis gefahren. Davon gab es jetzt viele. Alexej bastelte gerade mit seinem Englischlehrer, Charles Sydney Gibbes, Modellhäuser. Am Vormittag hatte ich mit ihm vorsichtig Ball gespielt.
Wir drei Mädchen waren also unbeobachtet und konnten endlich einmal das machen, was wir wollten. Und was war das?
Natürlich ein Tanztee! Solche Vergnügungen waren in Kriegszeiten aus Respekt vor den Soldaten und den Toten verboten. Doch welches junge Mädchen will nicht tanzen?
„Was ist, wenn Mama herausbekommt, was wir machen?“, fragte ich Tatjana besorgt, die die eigentliche Organisatorin war.
Diese lachte und warf ihr offenes Haar kess von links nach rechts.
„Dann ist es ohnehin zu spät. Olga, willst du denn niemals einen Jungen küssen?“, stellte sie in den Raum.
„Was weißt du schon“, erwiderte ich lachend. „Ich habe schon viele geküsst.“
„Papa und deinen Bruder Alexej! Das war es dann auch schon“, spottete Maria. Sie war die Jüngste von uns Dreien.
Es klopfte. Wir kicherten. Da waren sie, unsere stolzen Kadetten, die wir zu uns gerufen hatten. Sie wussten natürlich nicht, was sie hier erwartete. Alle unsere Kammerdienerinnen und Bediensteten hatten den strengen Befehl erhalten, keineswegs zu stören. Sicher waren sie froh, auch ein wenig Freizeit zu erhalten.
„Herein doch!“, befahl ich mit tiefer, verstellter Stimme. Maria und Tatjana lachten leise.
Etwas verdutzt traten die drei jungen Offiziersanwärter ein. Sie erröteten und wussten nicht so recht, wie sie sich verhalten sollten und traten unsicher steif ein. Die Burschen waren erst vor zwei Tagen aus Petrograd hierher versetzt worden und gehörten zum Wolhynischen Garderegiment. Die schwierige Situation dort gefährdete ihre Ausbildung, die sie gerade begonnen hatten.
Der Mutigste von ihnen nahm militärische Haltung an und salutierte, als wären wir seine Befehlshaber. Die beiden anderen kopierten seinen Gruß etwas verzögert.
Wir kicherten erneut. Das führte bei den jungen Männern zu noch mehr Röte in ihren Gesichtern.
„Man hat uns befohlen, hier zu erscheinen“, stotterte der selbst ernannte Anführer erklärend.
Da ich die Älteste war und auch militärisch ja gewisse Erfahrungen besaß, übernahm ich die Rede.
„Jawohl, meine Herren Offiziersanwärter! Ein wichtiger Auftrag, streng geheim!“,