Enre Wielem

Die Sonnenstrahlenkinder


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schwarzen Kisten befanden sich in dem Gewölbe. Das Lachen versuchte, in ihr Inneres einzudringen, um dort Gehör zu finden, doch die Kisten waren versiegelt und schweren Ketten verschlossen. Für alles und die Ewigkeit, wie es schien.

      Das Lachen hielt Ausschau nach einer anderen Möglichkeit, seinem feuchten, dämmrigen Grab zu entrinnen. Es entdeckte eine Tür, doch auch durch die drang kein Hauch, geschweige ein Lachen. Mit letzter Kraft wehte das Lachen zu einer Apparatur, die sich in einer Ecke neben den schwarzen Kisten übermannshoch bis dicht unter die undurchlässige Decke türmte. Das Lachen irrte durch verworrene Kabel und Drähte, stieß sich an Gestängen und Verkleidungen, quetschte sich an wuchtigen Rädern, aber es fand auch in dem Apparat keinen Weg ins Freie. Das Lachen verharrte erschöpft auf einem der zahlreichen, glitschigen Knöpfe, die zum Betrieb des Apparates taugten. Endlich rutschte es auf eines der von Maschinenruß geschwärzten Sichtfenster der vielen Anzeigen, an denen schmutzige Wassertropfen perlten. Es hielt inne über einem schmalen Schriftzug auf dem Sichtfenster einer Armatur. Der Schriftzug, der dem Apparat einen Namen gab: Lichtdieb.

      Das Lachen ergab sich in sein Schicksal. Hier gab es keinen Weg hinaus, kein Entrinnen. Es warf einen letzten, hoffnungslosen Blick auf die feuchten Mauern, das trübe elektrische Licht, die dunklen Schatten der schwarzen Kisten, den mächtigen Umriss des Apparates und schließlich auf den Menschen, dem es entkam. Dann verschwand es so schnell, wie es geboren war.

      Der Mensch stand, den Rücken zu einem spitzen Buckel gekrümmt, vor einem Haufen von Papieren, den er vor sich in der Mitte des Raumes auf einem Brett ausgebreitet hatte. Das Brett hatte er auf zwei Holzböcke gelegt, sodass es ihm als Arbeitstisch diente. Er studierte die Papiere, wühlte darin, hielt sie sich nah an die Augen, da er in dem kargen Licht kaum die Worte und Skizzen zu erkennen vermochte, die sich eng auf den Blättern drängten.

      Zuweilen warf er die Blätter, die er gerade in den Händen hielt, unwillig zu den anderen zurück. Griff gleich darauf nach einigen anderen, denen er sich wieder mit Aufmerksamkeit widmete.

      Ganz und gar war er vertieft, studierte jede Zeile, jeden Federstrich, fegte das Papier dann aber doch mit einer wütenden Bewegung von sich und stieß aus sich heraus: “Nein, das ist nicht, was ich suche. Das ist es wirklich nicht.”

      Er forschte weiter, und zuweilen entdeckte er, was ihm das Richtige erschien.

      “Es ist großartig! Es ist perfekt””, zischte er dann durch die vor Eifer nervös zuckenden Mundwinkel. Er eilte mit den Notizen in den Händen durch den Raum, entlang an den Schatten der schwarzen Kisten hin zu der Apparatur. Seine Augen hetzten über die Papiere, als ob sie sich noch einmal vergewissern wollten. Dann hantierte der Mensch keuchend an den Drähten des Apparates, drückte Knöpfe, bewegte Hebel, prüfte immer wieder mit hastigen Blicken die Anzeigen, deren Zeiger wütend ausschlugen und verglich die Ergebnisse mit den Notizen auf dem Papier, in das sich seine Finger krampften.

      Für einen Moment stand er dann regungslos vor dem Apparat und sog hastig Luft in seine Lungen, als sei die Anstrengung zu groß für seinen hageren Körper. Der Kopf pendelte wie bei einem Reptil zwischen den dürren Schultern. Ein Kopf mit hervortretenden, kantigen Wangenknochen und tiefen Augenhöhlen, in denen die von roten Äderchen durchzogenen Augäpfel nervös umhersprangen.

      Das Ergebnis schien mehr als einmal im Sinne des Menschen zu sein, denn manchmal riss er die langen Arme in die Höhe. Seine Hände wirbelten die Papiere durch das Gewölbe, fielen herab zu seinen Hüften und warfen die Schöße seines abgetragenen, schwarzen Anzuges weit zurück. Dann fuhren sie wieder hinauf und wühlte sich in die dünnen Haarsträhnen, während die Füße ungeduldig den Boden scharrten,

      So stand der Mann für Augenblicke völlig starr.

      Dann nestelte er aus den Brusttaschen seines Anzuges eine Taschenuhr, las den Stand der Zeiger. Und stopfte die Uhr in wilder Hast zurück in die Tasche. Er hielt noch einmal einen kurzen Moment inne und keuchte eifernd: “Noch ist Zeit. Es wird gelingen.”

      Schon sprang er mit zwei, drei Sätzen zu den verbliebenen Papieren auf dem Schreibtisch, dass ihm die Hosen flatternd um die dünnen Beine schlugen.

      Er warf einen kurzen Blick voll von unruhigem Misstrauen auf die schwarzen Kisten, und keinen Augenblick später hallte erneut ein freudloses, schuldiges Lachen durch das Gewölbe.”

      ***

      Abrupt endete Jack an dieser Stelle. William fuchtelte aufgeregt mit den Krücken.

      “Jack, der Tag bricht an. Wir kommen noch zu spät zur Morgendämmerung”, rief er aufgeregt.

      Jack schaute aufgeschreckt um sich, klappte den Katalog zu und stopfte ihn dem Jungen eilig zurück in den Hosenbund.

      In der Tat, die Sonnenstrahlen um sie herum machten sich bereit für den Tagesanbruch. Und war es ein Vorrecht der alten Sonnenstrahlen den Himmel zur Morgendämmerung in ihr blutiges Rot zu tauchen.

      Sie hatten zuviel Zeit vertan. Das Ende der Geschichte blieb im Geheimen.

      Die Sonnenstrahlenopas mussten los. Sie waren wie ausgewechselt, sprangen umher wie Kinder, waren wie entfesselt. Sie blitzten und sprühten vor Erregung über die bevorstehende Morgendämmerung, dass sie fast Flammen zu schlagen schienen.

      “Auf, auf”, riefen sie wie aus einem Munde. “Der Tag bricht an. Und für euch zwei wird es auch langsam Zeit, sonst verpasst ihr euren ersten Sonnenaufgang.”

      Die Sonnenstrahlenopas waren zum Aufbruch bereit. William packte seine Krücken, Jack zog die Hutkrempe noch tiefer ins Gesicht.

      Gerade wollten sie sich aufmachen, da platzte es aus den Sonnenstrahlenkindern heraus: “Was ist denn nun mit dem Abenteuer?”

      Jack wandte sich noch einmal zu den Kindern.

      “Genießt euren ersten Sonnenaufgang. Ihr werdet sehen, alles Weitere ergibt sich fast von allein”, sagte Jack. “Nur eines ist wichtig: Ihr müsst wachsam sein! Dann wird alles gut!”

      Die Sonnenstrahlenopas waren nicht mehr zu halten. Und ehe die beiden Sonnenstrahlenkinder es sich versahen, waren Jack und William auf und davon.

      Da standen die beiden Sonnenstrahlenkinder und schauten ihnen hinterher.

      “Das sind zwei Kerle”, sagte der Junge schließlich voller Bewunderung. “So will ich auch mal werden.”

      Dann fiel ihm etwas ein: “Lass uns schauen, was der Katalog noch berichtet.”

      Er zog noch einmal den Katalog hervor und schlug ihn auf. Eine kurze Weile versuchte er, die Geschichte weiter zu lesen. Aber er verhaspelte sich und geriet ins Stocken. So gab er bald auf. Auch das Mädchen wusste nicht weiter.

      “Pah”, machte der Junge schließlich und steckte den Katalog wieder unter sein Hemd. “Wir werden das Geheimnis dieses Gewölbes und des Mannes schon lüften und unser Abenteuer bestehen!”

      Er stopfte entschlossen die Hände in die Hosentaschen und warf unternehmungslustig den Kopf in den Nacken.

      “Und wir sollten uns Namen ausdenken”, sagte das Sonnenstrahlenmädchen. “Jack sagte, wir hätten noch keine. Glaubst du, das ist etwas wichtiges - so ein Name?”

      Der Junge lachte und nahm sie bei der Hand. “Wir kommen schon noch dahinter, hat Jack gesagt! Und jetzt dürfen wir keine Zeit mehr vertrödeln - lass uns die Sonne aufgehen!”

       Kapitel 3

      Keinen Augenblick später gingen den beiden Sonnenstrahlenkindern die Augen über vor Erstaunen, vor Begeisterung. Atemlos tauchten sie ein in den Anbruch eines neuen Tages.

      Sie wussten kaum, wo sie zuerst hinschauen sollten. Sie quietschten einander entzückt an, sobald sie eine neue Prächtigkeit entdeckten und zeigten mit den Fingern, wohin sie als Nächstes flitzen wollten. Um sie herum waren unzählige andere Sonnenstrahlen. Alle wie berauscht von dem Licht, von den Farben, von der Kraft dieses Werkes der Natur.