Holger Töllner

Das geschenkte Leben


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nichts passieren. Wenn überhaupt kann ich ausschließlich durch eine im Feuer geschmiedete Klinge getötet werden, die in Drachenblut gehärtet wurde. Kein Grund zur Sorge also.

      Deswegen entschließe ich mich, auf ein Testament zu verzichten. Als Jurist weiß ich, dass die gesetzliche Erbfolge genau das ist, was ich ohnehin will. Vermächtnisse à la ‚Meinem Sohn vermache ich meine Schlittschuhe und meine Eishockeyschläger‘, erspare ich mir. Max hat weder meine Schuhgröße, noch kann er meine Schläger benutzen, denn er spielt links, ich dagegen rechts.

      Was kümmert es mich im Übrigen, wenn ich tot bin. Von mir aus können sie mit meinen Schlägern das Krematorium heizen, in dem sie mich verbrennen werden. Ich überlege ganz kurz, ob ich zumindest auf eine möglichst günstige Bestattung bestehen soll, entscheide dann aber konsequenterweise, auch das mag die Familie nach ihrem Gutdünken beschließen.

      Wesentlich wichtiger ist in meinem Fall eine unzweideutig abgefasste Betreuungsvollmacht. Denn wenn ich nicht in der Lage bin, Entscheidungen zu treffen und Unterschriften zu leisten, müsste beim Amtsgericht zuerst ein Betreuer bestellt werden, bevor die Familie vollständig handlungsfähig wird. Das kann man leicht durch so eine Vollmacht vermeiden. Ich achte darauf, dass meine Betreuungsvollmacht über den Tod hinauswirkt, damit Anna im Ernstfall auch ohne Erbschein Zugriff auf alle Konten und das Aktiendepot erhält. Ich suche mir ein passendes Muster im Internet heraus und passe es für meine Zwecke an. Nach einer halben Stunde bin ich fertig.

      Was ich nach einem kurzen Versuch nicht über mich bringe, ist die Verfassung einer Patientenverfügung. Denn dafür ist es erforderlich, sich verschiedene Sterbeszenarien vorzustellen und exakte Handlungsanweisungen für das medizinische Personal zu hinterlegen. Zum Beispiel, ob ich im Fall eines Herzstillstandes reanimiert werden möchte, auch wenn ich etwa bereits hirntot wäre.

      Ich habe im Rettungsdienst selbst so viele Reanimationen durchgeführt, dass ich die Brutalität dessen, was im Rahmen einer solchen Herz-Lungen-Wiederbelebung geschieht, aus dem Effeff kenne. Will ich das unter bestimmten Umständen vermeiden? Ich überlege und beschließe dann: Ich bin zu gesund und hänge zu sehr am Leben, um auch nur auf die kleinste Überlebenschance zu verzichten. Die sollen mal schön das volle Programm an mir durchziehen. Ich verstehe die Notfallmedizin als Teil des Schicksals und verfasse gar nichts. Ich weiß, darüber kann man anderer Ansicht sein. Aber es gibt ja auch noch die Familie, die in Absprache mit den Ärzten sinnlose Maßnahmen stoppen kann. Wenn ich ehrlich bin, schaffe ich es so unmittelbar vor der Operation nervlich nicht, so ein Dokument zu liefern, und lasse es deswegen. Wenn alles glatt läuft, brauchen wir es ohnehin nicht. Und wenn es schief geht? Scheiß drauf.

      Am Dienstag fährt mich Anna ins Krankenhaus. Außer einer Tasse Kaffee gab es nichts zum Frühstück. Das nun mir, wo ich doch so gerne esse, und am allerliebsten Frühstück. Es ist herrlichstes Sommerwetter. Sonnenbrille auf, rein ins Auto, ab nach Mannheim. Wir reden nicht viel, weil wir beide einen Kloß im Hals haben. Aber noch wird es ja nicht ernst. Nach der stationären Aufnahme wird meine wichtigste Aufgabe sein, mein Gekröse zu entleeren. Man hat mir erklärt, dafür bekommen die Patienten literweise ein spezielles Abführmittel, das so lange getrunken werden muss, bis nur noch Flüssigkeit herauskommt, die wie Kamillentee aussieht.

      Hört sich leicht an. An der Klinik lässt Anna mich aussteigen. Sie wird mich später noch besuchen, wenn ich ein Zimmer habe. Zuvor muss ich zur stationären Aufnahme, wo ich eine ganze Reihe von Formularen ausfülle. In meinem Fall sind es noch ein paar mehr als üblich, da ich privat versichert bin. Auf Station bekomme ich Besuch von Doktor Greene, der mir Einwilligungserklärungen für alle Maßnahmen vorlegt, die ich brav unterschreibe. Bevor ich mit dem Abführen anfangen kann, muss ich noch zum Anästhesisten und zur Stomaberatung.

      Der Anästhesist ist aber eine Sie, nämlich eine junge Ärztin. Ich mag sie, traue ihr aber nicht so recht über den Weg. Ob die mich korrekt Schlafenlegen kann? Deswegen frage ich, ob sie selbst die Narkose macht. Sie antwortet zu meiner Erleichterung, „Nein, ich mache nur das Aufklärungsgespräch. Die Narkose macht bei Ihrer OP Oberarzt Doktor Sowieso.“

      Ich bin erleichtert und schäme mich sofort dafür, weil ich merke, wie dumm das ist. Oberarzt Sowieso kenne ich doch noch weniger als diese Ärztin hier, die vor mir sitzt. Typisches sexistisches Vorurteil. Bloß weil sie jung und hübsch ist, kann sie sicher nix.

      ‚Du bist ein Idiot‘, sagt eine Stimme in mir,

      ‚Nö,‘ antwortet eine andere Stimme.

      Ich will bloß nicht, dass ich aufwache, und meine Birne ist Matsch, weil jemand sich mit dem Sauerstoff oder dem Betäubungsmittel vertan hat.

      Die Narkoseärztin möchte wissen, ob ich noch Fragen habe. „Nein,“ sage ich, „habe ich nicht. Vielen Dank.“

      Sie wünscht mir viel Erfolg. Den kann ich brauchen.

      Ich muss nun weiter zur Stomaberatung. Man hat mir erklärt, das Stoma ist ein Loch in der Bauchdecke, nämlich der Austritt des künstlichen Darmausgangs. Bei der Beratung geht es ums Maßnehmen. Das ist durchaus wörtlich zu verstehen, denn bei der Sitzung wird mit einem schwarzen Filzschreiber die Stelle auf meinem Bauch angezeichnet, wo Professor X den künstlichen Darmausgang platzieren wird. Je nach Größe, Bauchform und -fülle des Patienten und natürlich nach seinen Tragegewohnheiten hinsichtlich Hosenbund und Gürtel soll das Stoma so angelegt werden, dass der Klebebeutel möglichst bequem und dabei unauffällig getragen werden kann. Ein ganz famoser Service, wie ich finde und der Stomaberatung auch mitteile.

      Ich habe Hunger. Aber ich werde bis morgen, bis es losgeht, natürlich nichts mehr bekommen. Jetzt muss ich diese eklige Flüssigkeit trinken, um mich möglichst vollständig zu entleeren.

      „Was rauskommt, das soll aussehen wie Kamillentee. Dann sind sie fertig“, sagt die Schwester.

      Damit ich nicht direkt kotzen muss, gibt es dazu leckeren Apfelsaft, leider krankenhaustypisch lauwarm. Ich schütte im Lauf einer Stunde die ersten zwei Liter in mich hinein. Wie gut, dass ich Biertrinker bin. Da sind zwo Liter gar nichts. Obwohl es mit vier Halben sicher viel einfacher und nach den vier Halben zweifellos wesentlich lustiger wäre.

      So beginne ich nach einer kleinen Weile, das Klo zu frequentieren. Zum Glück habe ich ein Einzelzimmer bekommen. Das fehlte, dass mir ein Zimmernachbar im Notfall die Klotür vor der Nase zuschlägt, weil er gerade selbst muss.

      Am frühen Nachmittag habe ich schon reichlich fünf Liter von dem schrecklichen Trank in mich hineingegossen. Aber was herauskommt, sieht überhaupt nicht nach Kamillentee aus. Ich frage die Schwester. Sie fragt zurück, was ich die letzten Tage so gegessen habe. Ich erzähle ihr von Berlin und der mehrtägigen Völlerei einschließlich der Blutwurst und dass der Herr Professor mir gesagt hat, ich könne ruhig nochmal alles essen, worauf ich Lust hätte.

      „Das sagen die Ärzte immer und verschweigen, wie die Patienten sich dann quälen, um alles wieder loszuwerden. Wir hatten hier mal einen, der musste zwölf Liter von dem Mittel trinken, bis er halbwegs sauber war.“

      Ich staune und bestelle noch einen Zweiliter-Kanister und eine neue Pulle Apfelsaft. Am Abend habe ich zehn Liter von dem Abführmittel getrunken und bin fix und fertig. Noch immer ist mein Darm nicht richtig sauber. Aber Doktor Greene hat Mitleid und behauptet, sie würden morgen im OP schon klarkommen. Abends erscheint dann nochmal der Chef, jovial wie ich nun schon kenne. Er strahlt eine professionelle Zuversicht aus, die mich beruhigt.

      Als wir uns verabschieden, schlage ich vor „Vielleicht heute Abend nur ein Gläschen Wein und nichts Hochprozentiges?“

      Er lacht, nickt und weg ist er.

      Anna und die Kinder kommen noch kurz vorbei und wünschen mir Glück. Wir machen keine große Sache daraus.

      Kapitel 4: Die Operation

      Gegen sechs werde ich geweckt. Ich bestelle Körnerbrötchen, Milchkaffee, ein weiches Ei und Lachs. Die Schwester lacht nur und schüttelt den Kopf.

      „Dann eben nicht!“, rufe ich ihr hinterher.

      Draußen ist es schon leidlich hell.