Nelia Gapke

Eva Sofie


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      „Haben Sie versucht die Person anzusprechen?“, fragte die Frau nach.

      „Nein, sie sieht aber auch nicht so aus, als ob sie nur schlafen würde, sondern eher, als wäre sie schon tot!“

      „Können sie sehen oder hören, ob sie atmet?“

      Andres beugte sich über die Frau, doch ihr Brustkorb schien sich nicht zu bewegen, er hörte auch keine Atemzüge. Er hielt seine Hand an ihre Nase und meinte einen leichten, warmen Hauch an den Fingern wahrzunehmen.

      „Ich bin mir nicht sicher, ich versuche nach ihrem Puls zu fühlen.“

      Er überwand das mulmige Gefühl in seinem Bauch und berührte die kalte, schlaffe Hand der Frau. Da er am Handgelenk nichts ertasten konnte, griff er an ihren Hals.

      „Ich glaube einen leichten Pulsschlag zu fühlen.“

      „Sehr gut. Bleiben Sie bitte vor Ort, falls die Sanitäter oder die Polizei Fragen an Sie haben sollten. Ein Krankenwagen ist bereits zu Ihnen unterwegs.“

      Andres legte auf und steckte das Handy in seine Hosentasche. Seine Hündin stand daneben und blickte ihn abwartend an.

      „Wir müssen noch ein Weilchen hier warten, Neli.“

      Er blickte wieder zu der jungen Frau auf dem Boden. Wie lange sie wohl schon hier lag? Es hatte die ganze Nacht geregnet und die Luft war kalt. Er zog seine Jacke aus und breitete diese über den Körper der Frau aus. Die Minuten verstrichen und es kam ihm, wie eine Ewigkeit vor, bis er den Krankenwagen endlich in den Waldweg einbiegen sah, dicht von einem Polizeiwagen gefolgt.

      *

      Andres sah zu, wie die Sanitäter die junge Frau kurz untersuchten, sie dann auf eine Trage luden und eilig in den Krankenwagen trugen.

      „Lebt sie?“, wollte er wissen.

      Der Sanitäter sah ihn ernst an.

      „Das Mädchen lebt, ist aber in keiner guten Verfassung. Sie muss so schnell wie möglich ins Krankenhaus.“

      Andres´ Herz machte unwillkürlich einen Satz. Seine Hündin hatte also doch keine Leiche gefunden! Als er den kaum wahrnehmbaren Puls gefühlt hatte war er sich nicht sicher gewesen. Doch die junge Frau lebte!

      Die Tür ging zu und der Krankenwagen fuhr fort.

      „Kennen Sie die junge Frau vielleicht?“, fragte der ältere Polizist.

      „Nein, ich habe sie heute zum ersten Mal gesehen. Glauben Sie, es war ein Verbrechen?“

      „Das kann man nicht ausschließen. Zwar lag sie direkt neben einem Stein und hätte gestolpert und mit dem Kopf gegen den Stein gefallen sein können. Aber es könnte auch jemand nachgeholfen haben. Wir warten auf jeden Fall die genaue ärztliche Untersuchung ab. Leider gibt es keine Hinweise auf die Identität des Mädchens. Es wäre wirklich von Vorteil gewesen, wenn man wüsste, wer sie ist. Ich werde auf jeden Fall die nähere Umgebung absuchen lassen, vielleicht finden wir noch etwas, was uns einen Hinweis auf ihre Identität liefern könnte. Ansonsten hoffe ich, dass das Mädchen überlebt und uns bald selbst erzählen kann, was sich zugetragen hat.“

      Andres nickte.

      ***

      Laura trat durch die Tür der Polizeiwache und ging durch den Flur zu dem Glaskasten, in dem ein junger Polizist saß und etwas in den Computer eintippte.

      „Guten Morgen“, grüßte Laura.

      Der Polizist, in dem Glaskasten, blickte auf.

      „Guten Morgen. Was kann ich für Sie tun?“

      „Meine Schwester ist verschwunden. Ihr ist bestimmt etwas Schlimmes zugestoßen!“

      „Wie alt ist Ihre Schwester und wie lange ist sie weg?“

      „Sie ist achtzehn und ist gestern nicht mehr nach Hause gekommen.“

      „Und Sie glauben wirklich, dass ihr etwas zugestoßen ist? Haben Sie einen Grund zu dieser Annahme?“

      „Natürlich habe ich einen Grund. Sie sagt mir immer Bescheid, wo sie ist. Aber seit gestern ist ihr Handy die ganze Zeit aus und sie ruft auch selbst nicht an. Das sieht ihr gar nicht ähnlich. Ihr ist garantiert etwas zugestoßen!“

      „Gut. Gehen Sie bitte weiter den Flur entlang, das zweite Büro rechts. Dort können Sie bei meinem Kollegen alle Angaben machen. Ich sage ihm Bescheid.“

      Laura bedankte sich und ging den ihr gewiesenen Weg. Sie war verzweifelt und hoffte, dass die Polizei ihr helfen und nach Sofie suchen würde. Sie klopfte an die Tür und trat ein.

      „Guten Morgen“, begrüßte sie der etwas ältere Polizist, mit einem Vollbart und buschigen Augenbrauen, der am Bürotisch saß. „Nehmen Sie bitte Platz.“

      Laura setzte sich dankend auf den Stuhl, dem Polizisten gegenüber.

      „Mein Kollege sagte mir, ihre Schwester wäre verschwunden?“

      „Ja, sie ist gestern nicht mehr nach Hause gekommen und hat sich seitdem nicht mehr gemeldet. Ich kann sie auch nicht erreichen, da ihr Handy aus zu sein scheint.“

      „Wie alt ist Ihre Schwester und wo war sie zuletzt, bevor sie verschwunden ist?“

      „Sie ist achtzehn und sie war zuletzt in der Schule. Ich habe gestern Abend ihre ganze Klasse angerufen und erfahren, dass ihre Schulfreundin, Tina, sie als Letzte gesehen hat. Sie sagt, dass meine Schwester von einem jungen Mann, den sie gut zu kennen schien, nach der Schule abgeholt wurde. Seitdem hat sie niemand mehr gesehen.“

      „Kennen Sie den jungen Mann, mit dem sie weggefahren war? War das vielleicht ihr Freund?“

      Laura schüttelte verneinend den Kopf.

      „Sie hatte keinen Freund. Zumindest hat sie mir nie etwas von einem Freund erzählt.“

      „Kennt diese Tina vielleicht den Mann?“

      Laura schüttelte abermals den Kopf.

      „Das habe ich sie auch schon gefragt, aber sie kennt ihn nicht. Sie meint, dass Sofie, meine Schwester, mit dem Mann Küsschen ausgetauscht hatte und dann zu ihm in den Wagen gestiegen war. Tina konnte mir das Gesicht des Mannes nicht beschreiben, da sie weiter weg stand. Die Automarke des Wagens konnte sie mir auch nicht nennen, sie hat gar nicht darauf geachtet, da sie sich nichts dabei gedacht hat.“

      Der Polizist sah sie direkt an.

      „Ich kann leider nicht viel für Sie tun. Ihre Schwester ist erwachsen und kann tun, was sie will. Außerdem ist sie freiwillig zu dem Mann ins Auto gestiegen. Wenn Sie Ihnen nichts von ihrem Freund erzählt hat, dann wollte sie es anscheinend nicht. Und dass sie sich bei Ihnen nicht meldet, ist auch allein ihre Entscheidung.“

      „Nein, Sie verstehen mich nicht!“, entgegnete Laura leicht aufgebracht, „Sofie ist ganz bestimmt etwas zugestoßen! Wir haben ein gutes Verhältnis zueinander und ...“

      „Beruhigen Sie sich bitte“, unterbrach sie der Polizist. „Ich kann Sie sehr wohl verstehen. Sie machen sich Sorgen um ihre jüngere Schwester, doch verstehen Sie mich bitte auch. Es sieht nicht danach aus, dass ihre Schwester gegen ihren Willen von zu Hause wegbleibt. Wenn kein Verbrechen vorliegt, ja es nicht einmal einen Verdacht dafür gibt, dann kann ich leider nichts tun. Wir klären nämlich keine familiären Angelegenheiten, sondern bekämpfen Verbrechen. Sie können natürlich Ihre Schwester bei uns als vermisst melden. Bei Erwachsenen leiten wir jedoch nur dann eine Fahndung ein, wenn eine Vermutung vorliegt, dass die Person in Gefahr oder möglicherweise bereits Opfer einer Straftat geworden ist. Andernfalls geht die Polizei grundsätzlich davon aus, dass jeder Erwachsene seinen Aufenthaltsort frei wählen kann, ohne seine Angehörigen und Freunde zu informieren. Dies mag für Sie sonderbar klingen, doch steht jedem dieses Recht zu – auch Ihnen. Vielleicht ist Ihre Schwester frisch verliebt und denkt im Moment gar nicht an ihre Familie? Ich werde ihre Daten aufnehmen, doch das nützt nur dann etwas, wenn Ihre Schwester in irgendeinen Delikt verwickelt