Nelia Gapke

Eva Sofie


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vor ihr verheimlicht hatte? Aber warum sollte sie das? Sie hatten sich doch immer gut verstanden und nie irgendwelche Geheimnisse voreinander gehabt. Was sollte sie nur ihren Eltern sagen, falls sie anrufen sollten? Sollte sie ihnen erzählen, dass Sofie verschwunden war? Oder vorerst doch lieber nicht, damit sie sich nicht unnötig Sorgen machten? Vielleicht würde Sofie ja schon bald wieder auftauchen. Das hoffte Laura sehr. Sie fühlte sich für ihre Schwester verantwortlich und hatte ein schlechtes Gewissen, dass sie nicht gut genug auf sie aufgepasst hatte.

      ***

      Die Dame an der Information des Pärnu Krankenhauses legte den Telefonhörer auf und blickte Andres fragend an.

      „Guten Tag. Wie kann ich Ihnen helfen?“

      „Guten Tag“, grüßte er zurück. „Ich wollte gern wissen, wo ich das junge Mädchen, das hier gestern schwer verletzt eingeliefert wurde, finden kann?“

      „Wie ist der Name des Mädchens?“

      „Das weiß ich leider nicht. Ich hatte sie verletzt im Wald gefunden und hatte daraufhin den Krankenwagen gerufen.“

      „Einen Moment, ich frage in der Notfallaufnahme nach.“

      Sie wählte am Telefon eine Nummer und unterhielt sich kurz mit jemandem.

      „Die junge Frau wurde noch gestern nach Tallinn in die Spezialklinik geflogen“, sagte sie, nachdem sie den Telefonhörer wieder aufgelegt hatte.

      „Könnten Sie mir bitte die Adresse der Klinik geben?“

      „Ja, natürlich.“

      Die Frau notierte die Adresse auf einem Zettel und reichte ihm diesen mit einem freundlichen Lächeln. Andres bedankte sich und ging zu seinem Wagen. Bis Tallinn waren es etwa einhundertdreißig Kilometer und er würde in ungefähr eineinhalb Stunden da sein. Er wollte gerne wissen, wie es der jungen Frau ging.

      *

      In der Zentralklinik von Tallinn angekommen, ging Andres gleich zur Information und erkundigte sich nach der gestern eingelieferten, jungen Frau. Auch hier wurde nach dem Namen des Mädchens gefragt.

      „Den Namen der jungen Frau kenne ich leider nicht. Ich habe sie mit einer Kopfverletzung im Wald gefunden und habe daraufhin den Krankenwagen gerufen. Sie wurde gestern aus Pärnu hier eingeflogen.“

      „Ach, diese junge Frau meinen Sie. Sie liegt auf der Intensivstation und da können Sie leider nicht hinein. Sie können allerdings mit Doktor Ulven reden, wenn er noch in seinem Büro ist. Zweite Etage, den Gang entlang und dann die zweite Tür rechts.“

      Andres bedankte sich und ging den ihm beschriebenen Weg. Doktor Ulven war zum Glück noch in seinem Büro, doch er konnte ihm zum Zustand des Mädchens noch nicht viel sagen.

      „Die junge Frau hat ihr Bewusstsein noch nicht erlangt. Sie hat eine geschlossene Schädelfraktur und ein schweres Hirn-Trauma erlitten. Es war ihr Glück gewesen, dass sie sie gefunden haben, denn noch ein paar Stunden hätte sie höchstwahrscheinlich nicht überlebt. Sie hatte viel Blut verloren und war bereits stark unterkühlt.“

      „Wird sie es schaffen?“, fragte Andres besorgt. Irgendwie war es ihm wichtig, dass dieses Mädchen am Leben blieb. Er hatte sie gefunden, sie gerettet, doch es wäre alles absolut sinnlos gewesen, wenn sie sterben sollte.

      „Es ist schwierig, eine allgemeine Aussage über die Prognose bei einem Schädel-Hirn-Trauma zu treffen, da eventuelle Folgen vom Ausmaß der Verletzung abhängen. Es stehen noch einige Untersuchungen an. Es wäre auch eine Hirnblutung nicht auszuschließen. Kommen sie am besten in ein paar Tagen wieder, dann werde ich Ihnen schon mehr sagen können.“

      Andres bedankte sich bei dem Doktor und verabschiedete sich von ihm.

      Draußen vor seinem Wagen zögerte er kurz, zog dann sein Handy heraus und wählte die Nummer seiner Mutter.

      „Hallo, Andres! Dass du dich auch mal von alleine bei mir meldest?!“

      „Hallo, Mutter. Ich bin gerade in Tallinn und da habe ich mir gedacht, du hättest vielleicht Zeit und Lust mit mir irgendwo einen Kaffee zu trinken?“

      „Das wäre schön. Komm doch einfach bei mir vorbei.“

      „Nein, lass uns lieber in ein Café gehen. Ich kann dich abholen.“

      „Mein Mann ist nicht zu Hause, also kannst du mich ruhig in meiner Wohnung besuchen.“

      Andres schloss das Auto auf.

      „Also gut. Bin dann in circa zehn Minuten bei dir.“

      *

      Andres zögerte kurz und betätigte dann die Klingel an der Wohnungstür. Einige Sekunden später ging die Tür auf und seine Mutter trat lächelnd auf ihn zu. Perfekt gestylt, wie immer, und von einer duftenden Parfümwolke umgeben, umarmte sie ihn und blickte ihm dann ins Gesicht.

      „Es ist schön dich wieder zu sehen, mein Junge! Wie lange ist es her, dass du mich zuletzt besucht hast? Drei, vier Monate?“

      Andres sah sie ernst an.

      „Du könntest mich doch auch besuchen.“

      Sie schnitt eine Grimasse.

      „Das würde ich, wenn da nicht der Drachen, mit dem Namen Milvi wäre!“

      Andres lachte.

      „Sag bloß, du hast Angst vor Tante Milvi?“

      Sie schnaubte.

      „Natürlich habe ich keine Angst vor ihr. Aber ihre feindlichen Blicke und ihre spitzen Bemerkungen empfinde ich einfach als sehr störend. Und wenn sie sich wenigstens nicht ständig bei dir aufhalten würde.“

      „Sie kommt nur vorbei, um die Kuh zu melken.“

      „Ich hatte beim letzten Mal als ich da war den Eindruck, als würde sie sich den ganzen Tag bei dir aufhalten. Sie hat mir immer noch nicht verziehen, dass ich ihren Bruder damals verlassen habe und einen anderen geheiratet habe. Aber genug davon. Lass uns auf die Terrasse gehen. Ich bringe gleich den Kaffee.“

      Andres nahm auf einem der Stühle, auf der Terrasse Platz und blickte sich um. Die Terrasse war recht geräumig und man hatte von hier eine schöne Aussicht. Das Wetter war heute etwas freundlicher und im Moment blickte sogar die Sonne zwischen den Wolken durch. Seine Mutter kam mit der Kaffeekanne und zwei Tassen in der Hand heraus.

      „Ist es nicht schön, mitten in der Stadt eine große Wohnung, mit einer so hübschen Terrasse zu haben?“

      „Ja, ihr habt euch, im Vergleich zu der anderen Wohnung, wirklich verbessert.“

      Seine Mutter schenkte den Kaffee ein und setzte sich Andres gegenüber hin.

      „Ich warte immer noch auf die Nachricht von eurer Verlobung“, sagte sie und reichte ihm den Kaffee.

      Er nahm die volle Tasse dankend entgegen und blickte sie etwas verwundert an.

      „Silvie kann sich nicht einmal entschließen zu mir zu ziehen und du redest von einer Verlobung?“

      „Nun, wenn du ihr einen Heiratsantrag machen würdest, dann würde es bestimmt die ganze Sache beschleunigen.“

      „Ich finde es okay so, wie es gerade ist.“

      Die Mutter blickte ihn streng über den Rand ihrer Tasse an.

      „So einfach ist es für euch Männer, was? Hauptsache, ihr habt jemanden, der euer Bett wärmt und alles andere interessiert euch nicht. Deine Freundin wünscht sich aber mehr von eurer Beziehung. Sie möchte eine Familie und Kinder.“

      Andres hob spöttisch die Augenbrauen.

      „Hat sie dir das erzählt?“

      „Ja, das hat sie.“

      Andres schnaubte abfällig.

      „Sie kommt nicht einmal mit meiner Hündin klar und dann will sie noch Kinder haben?“