Sven R. Kantelhardt

Brand und Mord. Die Britannien-Saga


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Hinweis auf unser gestriges Abenteuer hättest du dir sparen können. Ich wäre auch so drauf gekommen.“

      „Und was meinst du, was ich bin?“, drängte Ordulf. Das Rätsel war eines seiner besten.

      „Ein Schild natürlich“, entgegnete Thiadmar und Ordulf musste enttäuscht gestehen, dass der junge Haduloher richtig geraten hatte.

      Unter diesem und anderen Zeitvertreiben plätscherte der Vormittag langsam dahin. Ein jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Erst am frühen Nachmittag wurde Ordulf plötzlich durch den dumpfen Klang schlagender Hufe aus seiner Lethargie gerissen. Er blickte auf und erkannte einen Reiter, der sich ihnen von Westen her rasch näherte. Bald zügelte er sein Pferd. Die Niederung zwischen ihnen war zu sumpfig, um sie auf dem Pferderücken zu überwinden.

      „Es ist Wedigo“, kommentierte Halvor, der auch heute wieder zu Ordulfs Gruppe gehörte. Der verdammte Ebbingemanne muss ungeheuer scharfe Augen haben, dachte Ordulf. Oder vielmehr ein ungeheuer scharfes Auge, korrigierte er sich und lächelte grimmig.

      Erst eine ganze Weile später konnte er den Reiter ebenfalls erkennen. Er strebte an Ordulfs Gruppe vorbei, direkt dem Lager zu.

      Kurze Zeit später kam Hengist selbst auf seinem britannischen Pferdchen zu ihnen hinausgetrabt. „Prinz Koloman will uns die Ehre eines Besuches geben“, berichtete er.

      „Kolomans Heer soll fast tausend Mann zählen“, bemerkte Ordulf. Seine Männer wechselten unruhige Blicke.

      Ungerührt fuhr Hengist fort: „Vortigern will, dass wir hier auf der Hügelkette warten, bis er seine Männer hinter uns zur Schlacht formiert hat. Wir Sachsen stehen wieder ganz vorn. Du, Ordulf, wirst deine Leute hier und die nächste Gruppe dort rechts anführen. Ihr bildet einen Schildwall und haltet diesen Hügel, ganz egal, was auch passiert. Klar?“

      „Und wenn die Pikten nicht angreifen wollen?“, fragte Ordulf. Er konnte sich kaum vorstellen, dass sie direkt nach dem Eilmarsch, der sie bis hier gebracht hatte, durch den Sumpf und den Hügel hinauf, einen Angriff wagen würden.

      Hengist sah ihm fest in die Augen. „Keine eigenwilligen Aktionen. Vortigern will abwarten. Wenn die Pikten gegen alle Vernunft Vortigerns Angebot zur Schlacht auf diesem Boden annehmen, falle ich ihnen mit den Reitern in die Flanke. Du bleibst mit deinen Männern hier oben, bis ich euch etwas anderes befehle.“ Als Ordulf nickte, fuhr er fort. „Aber du hast recht. Das werden sie nicht tun, zumindest nicht mehr heute. Es ist ohnehin schon erstaunlich, wie sie so rasch hier sein konnten. Aber egal, du bleibst mit deinen Leuten, wo ihr seid, nämlich auf diesem Hügel.“

      Das war nun wirklich die längste Rede, die Ordulf jemals von Hengists Lippen vernommen hatte. Er würde also auf dem Hügel bleiben. Komme, was wolle. Schade nur, dass er seinen eisenbeschlagenen Schild und die beiden Wurflanzen nicht mehr holen konnte.

      „Wir bilden einen doppelten Schildwall!“, rief er seinen Leuten zu. Das Befehlen fühlte sich ungewohnt an und er hoffte inständig, dass es niemandem auffiel. Zu seiner Erleichterung gehorchten die Männer aber sofort. Die strengen Übungen in Beufleet zahlten sich aus. Ordulf trat einen Schritt vor und ließ seinen Blick über die Aufstellung schweifen. Seine etwa dreißig Männer standen ganz am rechten Flügel. Von hier konnte er gut beobachten, wie die Britannier ihre Schaufeln und Hacken davonwarfen und zu den Waffen eilten. Einige Zeit später tauchten die Schnellsten von ihnen wieder auf. Sie nahmen links neben den Sachsen Aufstellung. Ordulf beobachtete gespannt, wie es immer mehr wurden.

      Vortigerns Haustruppen, die Catuvellaunen, waren nicht in Besatzungen oder Sippen, sondern in Centurien gegliedert, wie sie es nannten. Sie bildeten den Kern des britannischen Heeres. Nun rückten sie dicht zusammen und schlossen ihre Reihen unter den jeweiligen Fahnen. Die übrigen Britannier ließen dagegen keine klare Ordnung erkennen. Aber auch sie präsentierten stolz eine Reihe bunter Wimpel, auf denen Drachen, Kreuze und Adler prangten. Vor jeder der catuvellaunischen Centurien stand ein besonders kräftiger Krieger. Offensichtlich die Anführer von Vortigerns Streitmacht.

      Neidvoll ruhte Ordulfs Blick auf ihren bunten Helmbüschen. Er war nun auch Unterführer einer eigenen Abteilung, aber seine einfache Kleidung und der schmucklose Holzschild konnten sich nicht einmal mit den polierten Brünnen oder den breiten Wangenklappen der gemeinen Catuvellaunen messen. Immer, wenn sich ein schwacher Sonnenstrahl durch die Wolken kämpfte, blitzten die britannischen Waffen nur so zu ihm herüber. Ein prächtiger Anblick. Doch trotz seiner minderwertigen Ausrüstung fühlte Ordulf Zuversicht und Stolz, nun auch ein Anführer dieses Heeres zu sein.

      Mühsam riss er sich von dem erhabenen Anblick los und richtete seinen Blick auf die ihm anvertrauten Männer. Sie standen ruhig auf ihren Plätzen im Schildwall und warteten. Der rechte Rand eines jeden Schildes überlappte den linken seines Nachbarn. Nur sein eigener Platz vorne in der Mitte der Aufstellung war noch frei. Einen Augenblick verweilte Ordulfs Blick auf Halvor. Konnte er ihm trauen?

      Einige Männer zeigten plötzlich hinter ihm ins Tal.

      „Sie kommen!“, rief Thiadmar.

      Ordulf fuhr herum. Tatsächlich, da bewegte sich etwas. Und dann waren sie auf einmal klar zu erkennen. Diesmal war es anders als in dem Gefecht bei Lindum oder am Vortag am Flussufer. Die Sachsen standen hoch über den Pikten auf dem Hügel und hatten ausreichend Zeit, ihren Gegner zu beobachten – und zu zählen. Die Pikten waren bei weitem in der Überzahl, doch der Geländevorteil lag eindeutig auf Seite der Sachsen. Die Feinde müssten erst einmal die sumpfige Niederung passieren, bis an die Knöchel im Morast, und dann wäre auch noch der Hang zu erstürmen, bevor sie als erstes auf Ordulfs dünnen Schildwall träfen. Nur ein völlig kopfloser Führer würde unter diesen Umständen eine Schlacht beginnen. Doch kopflos war ein Wort, über das Ordulf im Zusammenhang mit den Pikten lieber nicht nachdenken mochte.

      Das Tal vor ihnen füllte sich mit den blauen Gestalten. Viele stiegen auf der gegenüberliegenden Seite der Talsohle von ihren Pferden, andere warfen ihre bunt karierten Mäntel ab, bevor sie sich zu Fuß in den Sumpf wagten. Ordulf glaubte immer noch an einen Scheinangriff.

      Da ertönte die piktischen Kriegspfeifen. Es handelte sich um mit langen Pfeifen und einem Mundstück versehene Fellsäcke, die ein langgezogenes Quietschen von sich gaben. Dann setzten Trommeln und das schrille Kreischen der mehr als mannshohen, Carnyx genannten Kriegstrompeten ein. All das mischte sich mit den Schlachtrufen der Pikten zu einem ohrenbetäubenden Lärm.

      Ordulf fühlte, wie sich seine Nackenhaare aufrichteten. Unter sich im Tal erreichten die ersten Krieger den Hügel. Ordulf schluckte und griff seinen Schild fester. Hätte er doch den guten, eisenbeschlagenen mitgenommen! Und warum hatten sie keine Wurflanzen? Von ihrer erhöhten Stellung hätten sie damit den Pikten den Aufstieg verderben können. Doch nun war es zu spät.

      Von der Höhe her gesehen muteten die Bewegungen der Feinde noch seltsam langsam an. Wenn wir mehr Bogenschützen hätten, käme keiner von denen hier oben an, überlegte Ordulf, doch auch die hatten sie nicht. Bald erkannte er die seltsamen Muster auf den Schilden, die blaue Bemalung der Krieger und ihre wie Eberborsten zurückgekämmten Haare. Die Schalltrichter der fürchterlichen Kriegstrompeten liefen in wilden Eberköpfen aus, die dem Feind ihre scharfen Zähne entgegen fletschten. Die Bewegungen des Feindes wurden immer schneller und mit einem Mal waren sie heran.

      Hart schlug ein Schwert auf Ordulfs erhobenen Schild. Der Aufprall ließ ihn nach hinten taumeln und ein Kribbeln durchlief seinen linken Arm bis zur Schulter. Die Männer in der zweiten Reihe fingen ihn auf und stießen ihn wieder nach vorn, doch der Druck der Pikten ließ nicht nach. Schritt für Schritt wurde der sächsische Schildwall zurückgedrängt. Neben sich hörte Ordulf einen Schrei. Wahrscheinlich von Howart, einem jungen Haduloher von der Heritog, aber ihm blieb keine Zeit, sich nach ihm umzuwenden. Irgendetwas stimmte nicht.

      Er parierte fast schon verzweifelt Schlag auf Schlag und konnte keinen eigenen Rhythmus finden; das Geschrei und der Gestank von Blut und verschwitzten Männern machten ihm zu schaffen. Vor sich sah er nur die blauen Fratzen und kalkverkrusteten Borsten der Pikten. Bei Lindum waren ihm diese Details gar nicht aufgefallen. Furcht schlich sich in sein Herz. Doch es erging nicht nur ihm so. Der sächsische Schilderwall hatte sich unter dem Anprall