zu verweigern. Die nördlichen Kleinkönige sind zu sehr auf ihre Eigenständigkeit bedacht, aber der einzige Hochkönig bin und bleibe nun mal ich! Auch Ahearn und der Norden müssen sich mir beugen.“
Tatsächlich lag bereits am frühen Nachmittag des nächsten Tages Cair Ebrauc vor ihnen in der Sonne. Die Regenwolken hatten sich gänzlich aufgelöst. Die mächtigen römischen Mauern ragten grau und drohend aus der hellen Sommerlandschaft. Ceretic konnte das Rechteck des alten Militärlagers im Norden der Stadt, zwischen den beiden Flüssen Ouse und Foss gelegen, von ihrem erhöhten Standort aus gut erkennen. Eboracum selbst erstreckte sich inzwischen über die Ufer beider Flüsse hinweg und die Mauern reichten im Süden fast bis an den Zusammenfluss. Das Umland der großen Stadt dagegen lag eigentümlich leer und verlassen zu ihren Füßen.
„Sie beobachten uns voller Sorge. Vermutlich halten sie uns für Kolomans siegreiche Pikten“, kommentierte Vortigern mit hämischem Grinsen. „Schwärmt aus und lasst unsere Banner wehen!“, ordnete er dann an und die Kolonne marschierte in ganzer Breite auf. Die Britannier entfalteten ihre Flaggen. Heilige, Kreuze, Tiere und Drachen flatterten auf bunten Tüchern über ihnen.
„Vorwärts!“, befahl der Hochkönig und die britannische Streitmacht marschierte mit breiter Front auf das große Torgebäude im Südwesten von Eboracum zu. Die Fahnen knallten im Wind und in Ceretics Brust machte sich ein erhabenes Gefühl breit, zu dieser siegreichen Macht zu gehören. Und nicht nur das. Er selbst, Ceretic ap Ruohim, hatte all dies überhaupt erst ermöglicht!
Schließlich kamen sie bis auf Rufweite an die abweisenden Mauern heran. Mächtige Türme flankierten das doppelte Tor. Zwischen den Zinnen auf der Mauerkrone sahen sie dicht gedrängt die Krieger des Nordens.
„Wer seid ihr?“, rief ihnen ein Mann mit dröhnender Stimme entgegen.
„Wer fragt?“, hielt Vortigern mit lauter Stimme dagegen. Er wollte sich offensichtlich nicht wie ein Bittsteller ausfragen lassen.
„Ich bin Ahearn, König von Elmet und Herr in Cair Ebrauc“, erhielt er zur Antwort.
„Und ich entbiete dir und den Kriegern des Nordens meinen Gruß. Ich bin Vortigern, euer Hochkönig und führe die Macht Britanniens herauf, um euch von den Pikten zu befreien!“
Einen Atemzug lang herrschte Stille, dann brandete lauter Jubel von den alten Mauern Eboracums auf. Bald öffnete sich das Tor und allen voran eilte Ahearn dem Hochkönig entgegen.
„Ihr habt die Pikten umgangen?“, fragte er staunend, als er Vortigern und einige britannische Edle erkannte.
„Ich habe sie vernichtet“, antwortete Vortigern stolz. „Prinz Koloman liegt erschlagen am Ufer des Abus. Ihr Krieger des Nordens könnt getrost in eure Weiler und Höfe zurückkehren. Euer Hochkönig hat euch Frieden gebracht und eure Feinde zertreten.“
Ahearn starrte ihn mit offenem Mund an, während seine Begleiter wiederum in Jubel ausbrachen. Schließlich fasste er sich. „Seid uns umso mehr willkommen … König Vortigern.“
Ceretic hatte die etwas zu lange Pause im Satz bemerkt. Der König von Elmet hatte sich noch nicht dazu durchgerungen, Vortigern als Hochkönig anzuerkennen. „Seid uns willkommen in Cair Ebrauc. Du und deine Krieger aus dem Süden.“ Neugierig ließ er den Blick über Vortigerns Heer schweifen. „Viele deiner Banner kenne ich“, bemerkte er, „doch wer sind die Riesen mit den runden Schilden und blonden Bärten?“
Vortigern schaute grinsend zu den Sachsen hinüber, die nun zu seiner Rechten Aufstellung bezogen hatten. Dann spielte er den nächsten Trumpf aus. „Das sind Sachsen, sie leisten mir Gefolgschaft, wie bald auch schon die Pikten“, behauptete er listig.
Ahearn erbleichte und das aufgeregte Geplauder seines Gefolges erstarb augenblicklich. „Du hast diese Geißel Gottes tributpflichtig gemacht?“, fragte er erschrocken.
Gut, dass der stolze Hengist das nicht versteht, dachte Ceretic, während er gespannt die Unterredung verfolgte.
„Im Kampf sind sie ganz nützlich“, bemerkte Vortigern mit einer wegwerfenden Handbewegung. „Nicht wahr, Ceretic?“ Dabei sah er ihn Bestätigung heischend an. „Ceretic ist einer meiner Ritter. Er versteht ihre Sprache und befehligt sie“, erklärte er.
Ceretic reckte stolz die Brust. „So ist es, Herr“, bestätigte er.
Hinter ihm sog Vortimer fauchend die Luft ein und als Ceretic sich kurz umwandte, sah er, dass der Prinz ebenfalls zum Platzen gespannt war, wenn auch nicht vor Stolz, sondern vor Neid.
Doch Ahearn lenkte seine Aufmerksamkeit wieder nach vorn. „Mein Hochkönig“, brachte er hervor und sank auf die Knie. „Willkommen im Norden deines Reiches. Wenn es dir gefällt, kannst du in die Stadt einziehen, aber gewähre uns eine Bitte: Lass deine Sachsen draußen vor den Toren!“
Eboracum, Juni 441
Ordulf
Eboracum war mit Mauern befestigt, die denen von Londinium glichen. Bewundernd glitt Ordulfs Blick über die Ecktürme des Tores. Achteckige Steinsäulen von unglaublicher Größe. Wie hatten diese sagenhaften Römer den Stein in solch eine Form gezwungen?
Ceretic hatte ihnen erklärt, dass sie vor der Stadt lagern sollten. Ordulf war enttäuscht, er hätte gerne auch die Gebäude im Inneren dieser Stadt bestaunt. Thiadmar dagegen war erleichtert. „Mir sind diese Steinklötze nicht geheuer“, gestand er.
Gerolf, der sich seit dem Tode Ypwines bei den beiden jungen Männern hielt, schnaufte zustimmend: „Das ist eine unnatürliche Art zu leben, hinter diesen Steinklötzen.“
Zwei Wochen später befanden sie sich wieder in Thanet. Vortigern hatte sie auf Pferden zurück nach Londinium geschickt, wo sie ihre wartenden Schiffe bestiegen. Diesmal ruderten sie die Schiffe direkt in das Fleet hinein, das Ypwine vor ihrem Marsch nach Norden entdeckt hatte.
„Endlich können wir den armen Ypwine beisetzen“, sagte Gerolf zu seinen beiden jungen Freunden, als sie die Heritog aufs Land zogen. „Wir wollen ihm einen Hügel aufschichten, hier, wo er sich einen Hof bauen wollte.“
Das Fleet war tatsächlich ein hervorragender Winterhafen und Hengist entschied sich, ein dauerhaftes Lager zu errichten, für welches sich bei den Sachsen bald der Name „Ypwinesfleet“ durchsetzte.
Auf Vortigerns Befehl hin organisierte Ceretic britannische Handwerker, die den Sachsen beim Fällen der Bäume und beim Häuserbau zur Hand gingen und noch bevor sich die Blätter verfärbten, stand Hengists Halle. Das frisch geschlagene Holz leuchtete weiß bis weit auf die See hinaus und diente den Sachsen als Landmarke für die Ansteuerung des Ypwinesfleets, wenn sie mit ihren Schiffen ausfuhren, um neues Baumaterial, Kleidung oder Nahrung vom Festland zu holen. Ordulf bemühte sich stets auf solchen Fahrten dabei zu sein, denn die Seefahrt gefiel ihm besser als die Arbeit auf der Baustelle und er zeigte großes Geschick beim Steuern eines Schiffes. Hengist, der Ordulf inzwischen zu einem seiner wichtigsten Unterführer gemacht hatte, vertraute ihm bald die Heldir an. Ordulf wunderte sich manches Mal, warum ihm gerade der einäugige Halvor, der bis vor kurzem doch sein ärgster Feind war, hilfreich zur Seite stand. Halvor war bereits in Dithmarschen zum Fischen aufs Meer gefahren und kein unerfahrener Seemann.
So kam es, dass er eines Herbsttages zusammen mit Ordulf am Strand unterhalb von Rutupiae stand, wo sie Versorgungsgüter für die kleine sächsische Ansiedlung auf Thanet luden, als sich Ceretic raschen Schrittes näherte.
„Ceretic, alter Freund“, begrüßte ihn Ordulf. „Wie schön dich zu sehen!“
„Wie geht es dem Priester Tallanus?“, wollte Halvor wissen.
Ceretic schüttelte beiden die Hände. „Gut, gut“, erwiderte er. „Prächtig, dass ich euch beide hier antreffe. Gerade zu euch wollte ich.“
Die beiden Sachsen sahen Ceretic erstaunt an, als dieser fortfuhr: „Vortigerns Rat, also ich und die übrigen Ratgeber, haben überlegt, dass es doch sehr unpraktisch ist, wenn nur ich allein zwischen euch Sachsen und uns Britanniern übersetzen kann. Daher hat mir Vortigern befohlen, einigen Sachsen die britannische Sprache