Tonda Knorr

Totenwache 2.Teil


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      „Schade für Berlin. Ich habe Herbert immer bewundert. Er hat‘s echt draufgehabt. Der ist manchmal rumgesprungen wie ein HB-Männchen. Termin hier, Termin da, Telefon an einem Ohr, Handy am anderen. Aber das was er gemacht hat…, seine Entscheidungen…, immer im richtigen Augenblick, immer durchdacht und sehr professionell!“

      „Also ein bisschen wie du?“

      „Oh nein! Meine Entscheidungen sind an Gesetze und Vorschriften gebunden. Da ist meistens wenig Spielraum. Oder denkst du, ich hätte dich einfach so gehen lassen? Glaub mir mal, das ist mir sehr schwer gefallen. Da hast du es als Unternehmer erheblich einfacher. Du musst zwar mehr ins Risiko gehen, aber dafür bist du dann auch mit dem Ergebnis zufrieden. Meistens jedenfalls.“

      Während Sarah Bernhard zwar noch zuhörte, waren ihre Gedanken aber bei dem hängen geblieben, was er zu ihrer Versetzung in den Ruhestand sagte. Sie musste sich eingestehen, dass sie noch nie darüber nachgedacht hatte, ob es Bernhards persönliche Entscheidung war oder ob er gar keine andere Wahl hatte, sie für immer aufs Abstellgleis zu schieben. Aber schließlich war sie heute hier, weil er sie brauchte. Trotzdem passte das alles irgendwie nicht recht zusammen.

      „Warum bin ich heute hier?“

      Kuntz ließ sich Zeit mit seiner Antwort. Er konzentrierte sich darauf, seine Zigarette auszudrücken. Vielleicht wollte er auch noch nicht antworten.

      „Sag schon, warum bin ich heute hier?“

      Kuntz wandte sich Sarah zu. Während sie ihn erwartungsvoll, von Neugierde besessen anschaute, zeichnete sich in seinem Gesicht ein wenig Ratlosigkeit ab.

      „Ich brauche dich. Wirklich. Wir stehen unter Zeitdruck. Es ist auch gut, dass du heute gleich gekommen bist. Nicht gut für Büttner, aber für mich.“

      „Na dann leg los.“

      „Gleich. Habe noch einen Augenblick Geduld. Ich will euch erst mal was zeigen.“

      Behutsam nahm er Sarah wieder an den Arm um mit ihr zurück ins Foyer zu gehen, hielt aber vorher kurz noch mal inne.

      „Sarah…, wenn Büttner da jetzt noch irgendwo rumsteht, dann gehen wir da ganz ruhig vorbei.“

      „Mal sehen.“

      „Nicht mal sehen. Vielleicht sollte ich dir mal klarmachen, dass du gerade einen Polizeibeamten umgehauen hast.“

      „Vielleicht bekomme ich ja mildernde Umstände?“

      „Warum? Bloß weil der Büttner größer als zwei Meter ist?“

      Mürrisch blickte Sarah drein, während sie dem Polizeidirektor folgte.

      Keine Spur von Büttner. Frank gesellte sich ohne ein Wort zu verlieren zu den beiden. Auch ein Sicherheitsbeamter, der von Kuntz herbeigewinkt wurde, folgte den Dreien. An der Sicherheitsschleuse vorbei ging es, zu Sarahs Überraschung, nicht zum Fahrstuhl.

      „Wo gehen wir hin?“

      „Wart’s ab.“

      Neugierig blickte sie sich um. Sie musterte die Schilder an den Wänden. Auch an jeder Glastür, die sie bis dato durchschritten, standen Begriffe, die sie nicht einordnen konnte. Ihr fiel nur auf, dass der Sicherheitsbeamte unter der akribischen Beobachtung von Kuntz von Tür zu Tür immer längere Codes auf den angebrachten Sicherheitspaneelen einhämmerte.

      „Technischer Bereich? Hauswirtschaft? Tiefgarage? Wo sind wir hier? Gehen wir zur Besenkammer? Willst du mir einen Job als Hausmeister anbieten?“

      „Keine Angst“, antwortete Kuntz beiläufig.

      „Ha…, ich hätte nur Angst, wenn in der Besenkammer ein alter Tennisspieler lauert.“

      Mit einem schlichten Lächeln quittierte Kuntz Sarahs Bemerkung.

      „Na wenigstens hast du deinen Humor nicht verloren.“

      Die Gänge zwischen den Türen wurden immer länger und immer eintöniger. Ein wenig Beklemmung machte sich bei Sarah breit. Sie näherten sich einer Fahrstuhltür. Während sie geduldig auf den Fahrstuhl warteten rutschte Frank ein leises „also doch“ heraus.

      Kuntz konnte mit der Bemerkung nichts anfangen.

      „Also doch?“

      „Es gibt es also doch, das Pentagon.“

      „Na klar gibt es das Pentagon.“

      „Hier.“

      „Hier?“

      „Man munkelte, dass es hier im Haus noch ein paar Etagen nach unten geht. Eine Art unterirdischer Bunker, für den Fall der Fälle. Naja…, und wie das so ist hier in Berlin. Alles bekommt einen Namen, man nennt es das Pentagon.“

      „Pentagon?“

      „Genauso.“

      „Da soll mir mal noch einer sagen, dass unsere Polizei keinen Intellekt hat.“

      Die sich öffnende Fahrstuhltür lenkte Kuntz davon ab, weiter über das Gesagte nachzudenken. Ab hier ging es nur noch zu dritt weiter. Der Sicherheitsbeamte blieb zurück. Die leuchtende Anzeige über der Tür bestätigte Sarah darin, dass es sich hier mit allem anderen, aber nicht im entferntesten mit der Größe des Pentagon vergleichen ließ. Keine zwei Etagen ging es runter. Wieder so ein endloser Flur. Keine Fenster, keine Stühle, Nichts. Kuntz öffnete eine Tür zu einem kleinen Raum, der auf einer Seite zur Hälfte verglast war. Ähnlich so, wie sie es aus den Verhörraumen kannte. Bloß das es hier zusätzlich noch eine Glastür in eben dieser Wand gab. Hinter den Scheiben schien es dunkel zu sein.

      „So. Ihr seid die ersten und vielleicht letzten Außenstehenden, die das so zu Gesicht bekommen.“

      Ohne seinen Blick von der dunklen Scheibe zu nehmen, betätigte Kuntz einen Schalter, der den Raum dahinter nach und nach in hellem flackerndem Neonlicht erstrahlen ließ.

      Sprachlos starrten Frank und Sarah durch die Scheibe. Dem Leuchten in ihren Augen und den offenen Mund entnahm Bernhard die Wirkung, die dieser Anblick bei den beiden verursachte.

      „Das ist euer Fund. Das sind die Kunstgegenstände, die jahrzehntelang in Glostelitz eingemauert waren.“

      Sorgsam aufgetischt, aneinandergereiht, offenbar stundenlang poliert und aufgemotzt standen die Sachen im ganzen Raum verteilt. Hier und da ließen die unterschiedlichsten Utensilien auf eine bereits in Angriff genommene Restaurierung schließen. Für einen Augenblick herrschte bei den Dreien absolute Ruhe. Das lauteste im Raum war das Surren der Neonlampen. Sarah und Frank waren fasziniert von dem Anblick. Keine Spur mehr von den über die Jahre in alten Stofffetzen und vergammelten alten Holzkisten gelagerten Sachen.

      Während Sarah schon die Türklinke in der Hand hielt drehte sie sich zu Kuntz.

      „Darf ich?“, fragte sie in leisem Flüsterton.

      Mit einem kurzen Nicken bewahrte Kuntz die andächtige Ruhe. Vorsichtig, gefolgt von Frank und dem Polizeidirektor, betrat Sarah den Raum. Behutsam berührte sie den Kerzenständer, den Frank damals als erstes aus einer der Kisten rausgewühlt hatte. Es waren drei der gleichen Art. Sie sahen heute und hier ganz anders aus. Der mattglänzende Bronzeton wirkte sauberer, ordentlicher, fast wie neu.

      Das einzige, was sie unterschied, waren die kunstvollen Verzierungen und vor allem ein mitten im Davidstern angebrachtes, kaum zu erkennendes Zeichen. Vielleicht ein hebräischer Buchstabe oder eine Ziffer. War Sarah damals gar nicht aufgefallen. Auch die tellergroße Platte am unteren Ende hatte ähnliche Verzierungen, die vielleicht in der jüdischen Kultur irgendeine Bedeutung darstellten.

      „Kandelaber“, kommentierte Kuntz Sarahs aufmerksame Begutachtung.

      „Ich dachte, Kandelaber sind Straßenlaternen?“

      „Dachte ich auch. Die Kunstfritzen haben mich aber eines Besseren belehrt.“

      „Das alles war da drin?“

      Frank