Tonda Knorr

Totenwache 2.Teil


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des Krieges gab es bei den Juden Anlaufstellen, wo sie versucht haben, ihre Wertgegenstände vor den Nazis zu verstecken. Wie so eine Art Schutzfond. Ähnlich wie es jetzt diese Banque pour l‘art wohl handhabt, bloß dass die Beweggründe heute andere sind. Man sollte davon ausgehen, dass es dann in den Nachkriegswirren nicht immer nachvollziehbar war, wer die rechtmäßigen Besitzer sind oder waren. Bei diesen Kunstgegenständen waren zwar Unterlagen dabei, aber die sind unvollständig und geben keinen genauen Aufschluss darüber, wer die rechtmäßigen Besitzer sind. Es sind nur Auflistungen der Gegenstände, keine Angaben zu den eigentlichen Eigentümern.

      Davon abgesehen, Unterlagen die die Besitzer identifizierten könnten, konnte man auch damals schon manipulieren oder sogar verschwinden lassen. Ein gefundenes Fressen für die, welche ihren eigenen Nutzen daraus ziehen wollten.“

      Während Kuntz mit einem nachdenklichen Kopfnicken den Ausführungen Waschkows zustimmte, klappte er die vor ihm liegende Akte zu, schob sie zu Frank rüber, verschränkte seine Arme und wandte sich kurz an ihn, ohne Sarah noch eines Blickes zu würdigen:

      „Donnerstag früh, 8.45 Uhr geht der Flieger von Tempelhof. In der Akte steht alles drin. Wie gesagt, alle Kosten und das Organisatorische vor Ort übernimmt diese Bank. Letztendlich aber seid ihr, oder auch nur du, da ganz auf dich allein gestellt.“

      Jetzt drehte er sich dann doch zu Sarah. Seine Stimme wurde etwas leiser:

      „Es sind zwei Flugtickets in der Akte. Ich kann dir nicht mehr sagen, was du zu tun oder zu lassen hast. Ich muss heute noch nach Schwerin, versuche aber Donnerstag früh da zu sein. Ob du da bist, musst du entscheiden.“

      Sarah hob langsam ihr Gesicht und wandte sich Bernhard zu. Sie erhob sich.

      „Es wäre schön, wenn mich hier jemand rauslassen würde. Ich habe alles gesagt. Für mich ist der Fall erledigt.“

      Kuntz versuchte erst gar nicht Sarah umzustimmen. Schließlich kannte er sie lange genug. Er drehte sich wieder zu Frank.

      „Dann musst du da alleine durch. Einen zweiten Polizisten kann ich im Moment dazu nicht abstellen.“

      Die Männer erhoben sich. Die Stimmung war auf dem Tiefpunkt. Waschkows Enttäuschung war ihm ins Gesicht geschrieben, er schwieg aber. Kuntz schien sachlich gleichgültig, hatte aber innerlich nicht weniger mit Sarahs Abfuhr zu kämpfen, als er. Und Frank machte den Eindruck, als wolle er Sarah doch noch irgendwie überzeugen, hielt sich aber zurück, weil er allein damit zu tun hatte, dass sie ihn seit ihrer Rückkehr keines Blickes würdigte.

      Ohne ein weiteres Wort zu verlieren durchschritten die Vier die endlosen Flure. Jeder schien mit seinen Gedanken beschäftigt. Auch die Verabschiedung im Foyer fiel ohne viele Worte aus. Kuntz und Waschkow schauten Frank und Sarah noch einen Augenblick hinterher und selbst als sie nicht mehr zu sehen waren, verharrten sie noch für den Moment.

      „Schade“, erhob Waschkow leise seine Stimme. „Wir hätten sie gebraucht.“

      „Sie wird da sein.“

      „Meinst du? Meinst du, dass er sie überzeugen kann?“

      „Frank? Auf keinen Fall!“

      Waschkow schien von Bernhards Bemerkung irritiert, hakte aber nicht nach. Während er ihn musterte, schien es ihm, als bemerkte er den festen Glauben an das, was er sagte, in dessen Gesicht. Der Polizeidirektor starrte immer noch auf die Ausgangstür.

      „Ich kenn das Mädchen schon eine Ewigkeit und ich kann mich nicht erinnern, dass man sie je überzeugen musste.“

      „Du irritierst mich.“

      Kuntz drehte sich zu Waschkow. Ein sicheres Lächeln verbreitete sich in seinem Gesicht.

      „Sie hat ein fast einmalig ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden. Das ist nicht immer leicht für ihr Umfeld, aber von der Sache her ja nichts Schlechtes. Die musst du nicht überzeugen, die überzeugt sich selbst“.

      Skeptisch wackelte Waschkow mit dem Kopf. „Meinst du?“

      „Ich hoffe. Ich hoffe, dass ich mich nicht irre. Ohne sie ist Frank in Bern aufgeschmissen. Ich kann nur hoffen, ihre Liebe ist schon so stark, dass sie das weiß. Aber in seiner Haut will ich jetzt nicht stecken. Der Arme kann sich bestimmt erstmal was anhören. Wenn Frauen schmollen...“

      *

      Frank spürte, während sie einander herliefen, dass der seelische Abstand zwischen ihm und Sarah weit größer war als der räumliche. Sein zögerlicher Versuch ihre Hand zu berühren, scheiterte an Sarahs unmissverständlicher Geste, ihre Hand so tief es ging in der Hosentasche zu vergraben. Sie benutzte sonst nie ihre Hosentaschen. Ab und zu steckte sie mal die Hälfte ihrer Finger in die Gesäßtaschen, das war‘s dann aber auch schon. Jetzt und hier, wie sie so neben ihm herlief, war er sich bewusst, dass es eine ganz klare Ansage war, nicht angefasst werden zu wollen. Während er an der offenen Autotür vor sich hin grübelte, beobachtete er, wie sie ihre Jacke und ihre Tasche von der Rückbank nahm.

      „Wo willst du hin?“

      Sarah erhob sich, legte ihre Sachen aufs Autodach und wandte sich Frank zu.

      „Ich treffe mich mit Lisa. Du brauchst nicht warten. Ich komm schon irgendwie nach Hause.“

      Frank bemerkte die gereizte Stimmlage in Sarahs Stimme.

      „Sarah…, wollen wir nicht darüber reden?“

      „Es gibt nichts zu reden. Vielleicht hätten wir vorher reden sollen, dann hätte ich mir das sparen können. Außerdem solltest du die Akten durchlesen, und packen musst du auch noch.“

      „Soll das heißen, dass wir uns nicht mehr sehen, bevor ich dahinfliege? War es das jetzt mit uns oder ist das nur für diesen Moment? Kommt jetzt die wir nehmen uns eine Auszeit-Phase? Ich hasse sowas nämlich. Mir wäre lieber, wenn wir darüber reden.“

      Sarah drehte sich ab. Sie schien genau zu überlegen, was sie jetzt sagen sollte. Mehr noch, wie sie es sagen wollte. Sie wandte sich ihm wieder zu.

      „Ich will aber nicht reden und nein, das war es nicht mit uns. Ich liebe dich nämlich. Ich liebe dich, wie ich noch nie geliebt habe. Und umso mehr tut es mir weh. Ich will meine Wunden lecken und das geht am besten bei Lisa.“

      „Ich liebe dich auch und obwohl ich schon mal so geliebt habe…“

      Sarah unterbrach Frank mit einem kurzen Fingerzeig.

      „Nein! Man kann eine Liebe nicht mit einer anderen Liebe vergleichen. Ich will auch nichts von deinen Erfahrungen mit der Liebe hören. Für mich ist das neu, und genau so neu ist für mich diese Situation. Also lass mich in Ruhe. Lass mir den Freiraum, gib mir den Abstand.“

      „Für mich ist das auch neu, aber du sollst wissen, dass…“

      Wieder unterbrach Sarah ihn mit einem kurzen Fingerzeig.

      „Wenn du mich wirklich liebst, dann darfst du mich nicht belügen.“

      „Ich habe dich nicht belogen. Ich habe dir bloß nicht alles gesagt.“

      „Du kannst es nennen wie du willst, Geheimnisse zu haben heißt, nicht zu vertrauen.“

      „Aber das war doch kein Geheimnis.“

      „Und? Warum hast du dann eins draus gemacht?“

      Frank reagierte nicht. Er sah ihr zu, wie sie ihre Sachen vom Dach nahm und ums Auto herumkam. Am liebsten hätte er sie in den Arm genommen, wenn denn da nicht die eigene Unsicherheit gewesen wäre. Behutsam strich sie ihm über die Wange, küsste ihn und ging. Ein paar Schritte weiter drehte sie sich nochmal um:

      „Pass auf dich auf. Ich wünsche dir viel Glück. Wenn du zurück bist, sehen wir weiter. Vielleicht ist so eine Phase ja doch ab und zu mal nötig.“

      Kapitel 3

      Sarah stand vor Lisas Tür und musterte den Schlüssel in ihrer Hand.